Das Jahr 2015 war aus sportlicher Sicht bislang das prägendste in der Karriere von Nico Hülkenberg. Der Force-India-Pilot, dem seit Anbeginn seiner Karriere großes Potenzial nachgesagt wurde, feierte bei seinem Gaststart bei den 24 Stunden von Le Mans sensationell den Gesamtsieg und trug sich damit in die Geschichtsbücher ein. In der Formel 1 dagegen reihte sich der 28-Jährige erstmals seit 2010 in der Endabrechnung hinter seinem Teamkollegen ein.

Le-Mans-Sieg nach schwachem Saisonstart

"Ich bin sehr froh, dass der Formel-1-Kalender dieses Engagement 2015 zulässt, und ich bin meinem Formel-1-Team Sahara Force India sehr dankbar für die Freigabe. Das ist nicht selbstverständlich. Jetzt ist es an mir, hart zu arbeiten, um beiden Engagements gerecht zu werden." So äußerte sich Nico Hülkenberg im November 2014, als feststand, dass er ein halbes Jahr später erstmals bei den 24 Stunden von Le Mans antreten würde. Die Entscheidung, Hülkenberg ins das dritte Auto zu setzen, wurde von Porsche bewusst gewählt. "In seine fahrerischen Qualitäten haben wir vollstes Vertrauen, und er wird auch ganz bestimmt gut in unser Werksteam passen", erklärte Fritz Enzinger, Leiter LMP1 bei Porsche, damals.

Nico Hülkenberg feierte in Le Mans einen sensationellen Sieg, Foto: Sutton
Nico Hülkenberg feierte in Le Mans einen sensationellen Sieg, Foto: Sutton

Das Ergebnis ist bekannt, zusammen mit Earl Bamber und Nick Tandy gewann Hülkenberg den Klassiker an der Sarthe. Der Höhepunkt seiner bisherigen Karriere. "Ich bin sprachlos, mir fehlen die Worte. Es ist gewaltig, hier im ersten Anlauf zu gewinnen. Ich kann meine Gefühle nicht in Worte fassen", war er danach begeistert. Für den Emmericher war es jedoch auch eine Wohltat nach einem völlig missratenen Saisonstart in der Formel 1. Zum Zeitpunkt seines Sieges in Frankreich war er nur zweimal in die Punkte gefahren, insgesamt standen nur zehn mickrige Zähler zu Buche.

Zwar gab es in den folgenden Rennen in Spielberg und Silverstone zwei Top-Ten-Ergebnisse, doch entwickelte sich danach eine Achterbahnfahrt sondergleichen. Fünf Ausfälle mischten sich unter fünf Punkteresultate. Entsprechend durchwachsen fiel seine Saisonbilanz aus. "Dieses Jahr ist mit dem Le-Mans-Sieg sehr, sehr gut - das war der größte Erfolg meiner bisherigen Laufbahn. Die Formel-1-Saison hatte hingegen Ups und Downs. Die erste Saisonhälfte war eher zäh und schwierig, aber dann haben wir Schwung aufgenommen und es sieht viel besser aus", resümierte Hülkenberg Anfang November im Exklusivinterview mit Motorsport-Magazin.com.

Zu viele Ausfälle

Force India konnte zwar dank einer B-Version des Boliden im Saisonverlauf zulegen, doch profitierte davon besonders Hülkenbergs Teamkollege Sergio Perez. Der Mexikaner fuhr ab dem Belgien GP viermal in die Top fünf, in Sochi stand er gar auf dem Podium. Während sich Perez immer mehr in den Vordergrund fuhr, konnte Hülkenberg nicht mehr mithalten. Zwischen dem Rennen in Spa sowie dem USA GP büßte er 35 Zähler auf Perez ein. Verheerend aus Sicht des Deutschen: Während Perez im Saisonverlauf nur ein einziges Mal das Rennen nicht beenden konnte, standen für Hülkenberg sechs Ausfälle zu Buche - teilweise technisch bedingt, teilweise jedoch auch selbstverschuldet.

Bezeichnend für den gesamten Saisonverlauf kann der Russland GP betrachtet werden. In der ersten Kurve kam Hülkenberg neben die Strecke, drehte sich zurück und wurde von Marcus Ericsson getroffen, der nicht mehr ausweichen konnte. Für beide war das Rennen zu Ende. Sergio Perez nutzte dagegen die zweite Safety-Car-Phase, um einen frühen Stopp einzulegen. Der taktische Kniff brachte ihn weit nach vorne, nachdem alle anderen ihren Boxenstopp eingelegt hatten. Zwar schien gegen Rennende das mögliche Podium verpasst, doch Valtteri Bottas und Kimi Räikkönen, die rundenlang versucht hatten, an Perez vorbeizukommen, schossen sich in der letzten Runde gegenseitig aus dem Rennen. Für den Mexikaner war der Weg frei auf das Podest. Nico Hülkenberg war da schon längst mit allen Interviews fertig. Allein in diesem Rennen sammelte Perez 15 Punkte mehr als der Deutsche.

Der Russland GP dauerte für Nico Hülkenberg nur wenige hundert Meter, Foto: Sutton
Der Russland GP dauerte für Nico Hülkenberg nur wenige hundert Meter, Foto: Sutton

Entsprechend deutlich liest sich die Gesamtwertung der 2015er-Saison. Sergio Perez belegte Rang neun mit 78 Zählern, Hülkenberg sicherte sich zwar noch Rang zehn, konnte angesichts von 20 Punkten Rückstand seinen Teamkollegen jedoch nicht gefährden. Verglichen mit seiner Vorsaison fuhr er zudem 38 Zähler weniger ein. Blickt man aber auf die Qualifying-Duelle der zu Ende gegangenen Saison, so sieht man, dass Hülkenberg seinen Teamkollegen zumindest samstags im Griff hatte: 11:8 lautet das Endergebnis aus Sicht des Deutschen. Nur im Rennen lief es nicht rund. Eine Situation mit Seltenheitswert für Hülkenberg. Denn abgesehen von seiner Debütsaison 2010, als er sich Rubens Barrichello beugen musste, hatte er seine Teamkollegen im WM-Ranking stets im Griff (siehe Tabelle). So auch Perez im vergangenen Jahr.

Nico Hülkenberg im Vergleich mit seinen Teamkollegen

SaisonTeamPlatzierung HülkenbergTeamkollegePlatzierung Teamkollege
2010Williams14. (22 Punkte)Rubens Barrichello10. (47 Punkte)
2012Force India11. (63 Punkte)Paul Di Resta14. (46 Punkte)
2013Sauber10. (51 Punkte)Esteban Gutierrez16. (6 Punkte)
2014Force India9. (96 Punkte)Sergio Perez10. (59 Punkte)
2015Force India10. (58 Punkte)Sergio Perez9. (78 Punkte)

Von seinen Fähigkeiten ist Hülkenberg jedoch weiterhin überzeugt. Ein Cockpit bei einem Top-Team habe er sich nach eigener Aussage verdient. "Als Rennfahrer muss man immer von sich selbst überzeugt sein, aber ich glaube, dass ich auch die nötigen Leistungen gezeigt habe", stellte er klar. "Ich bin jetzt 28 und habe noch gute Jahre in mir. Fahrerisch und vom Stand meiner Laufbahn bin ich gerade in der Blüte meiner Karriere. Von daher freue ich mich auf die Zukunft", so Hülkenberg weiter.

Diese liegt zumindest 2016 auf jeden Fall weiter bei Force India. Anfang September unterschrieb er einen neuen Zweijahres-Vertrag beim britisch-indischen Team. Zuvor galt er als möglicher Nachfolger von Kimi Räikkönen bei Ferrari, was sich nach der Verlängerung der Scuderia mit dem Finnen jedoch erledigt hatte. Doch es gab noch weitere Optionen zum Zeitpunkt seiner Unterschrift. Für Hülkenberg kein Thema. "Ich denke nicht, dass ich bei einem möglichen Renault Werksteam die Möglichkeit gehabt hätte, reinzukommen. Von daher gab es für mich keinen Grund länger zu warten. Ich habe mich dafür entschieden, meine beste Option zu nehmen", begründete er seine Wahl.

Redaktionskommentar

Motorsport-Magazin.com meint: Es ist schon grotesk. Im Jahr des größten sportlichen Erfolges, den ein Rennfahrer abseits der Formel 1 erreichen kann, zeigte Nico Hülkenberg ausgerechnet in der Königsklasse eine durchwachsene Leistung. Geschuldet war dies zu Beginn der Saison auch einem nicht konkurrenzfähigen Boliden. Doch im Vergleich zu den letzten Jahren fehlte die Konstanz, zu viele Ausfälle verhinderten mögliche Top-Resultate. Sein Teamkollege dagegen bestach durch eben diese Konstanz. Der Le-Mans-Sieg ist zwar mehr als nur ein Trostpflaster, aber da er diesen im kommenden Jahr nicht wiederholen kann, wird man noch genauer auf seine Leistung in der Formel 1 blicken. Und die muss besser sein als 2015. (Chris Lugert)