Es ist die Zeit seines Lebens und doch eine Phase tiefer Bitterkeit. Nico Rosberg fährt in den letzten Zügen der Formel-1-Saison 2015 zum ersten Mal in seiner F1-Karriere drei Siege in Folge ein. Gar sechs Mal nacheinander steht der Deutsche auf Pole Position.

Mehr als eine gewisse innere Befriedigung nach dem Motto 'Seht her, ich kann es noch!' bringt die späte Galaform Rosberg jedoch nicht mehr. Lewis Hamilton hat sich beim viertletzten Rennen in den USA bereits zum alten und neuen Weltmeister gekrönt. "Austin war der Tiefpunkt der Saison. Seitdem bin ich stärker zurückgekommen und glücklich, wie es gelaufen ist", sagt Rosberg beim Saisonfinale in Abu Dhabi.

Ein Jahr zuvor sah die Situation komplett anders aus. Die WM-Entscheidung fiel zwar ebenfalls gegen Rosberg, allerdings erst im letzten Saisonrennen. 2014 fuhr Rosberg viel konsequenter auf einem Niveau mit Lewis Hamilton. Die Punktekonten der Mercedes-Kontrahenten entwickelten sich nahezu gleich schnell. Erst zum Saisonende brach Rosberg ein. Hätte er sein starkes Finale aus 2015 in der Vorsaison hingelegt, er wäre Weltmeister gewesen.

Doch warum ist das ein Jahr später plötzlich nicht mehr genug? Wie kommt es, dass Rosberg in den ersten 15 Rennen Hamilton hinterherhechelt? Was spricht dafür, dass es 2016 zum Angriff auf den Titel kommt? Motorsport-Magazin.com hat Faktoren und Stimmen zusammengestellt.

Rosberg fehlt 2015 im entscheidenden Moment der Biss, Foto: Sutton
Rosberg fehlt 2015 im entscheidenden Moment der Biss, Foto: Sutton

Rosberg fehlt es 2015 an Aggressivität

Hört man sich in der Szene um, so fällt ein Wort immer wieder geht es um den Unterschied zwischen den beiden Piloten der Silberpfeile in der abgelaufenen Saison: Aggressivität. "Lewis ist sehr aggressiv und aufgrund dieser Aggression hat er mehr Rennen gewonnen", sagt Sir Jackie Stewart.

Jacques Villeneuve bestätigt im Exklusiv-Interview mit Motorsport-Magazin.com: "Lewis hatte dieses Jahr eine einfache Meisterschaft, da wir im ersten Teil der Saison nicht den kämpfenden, aggressiven Nico aus dem letzten Jahr sahen. Er fing damit erst nach dem US GP an, als er seinen Tiefpunkt erreichte. Seit er dort die WM verloren hat, hat es ihn möglicherweise geändert. Danach war er ein Killer. Vielleicht liegt das daran, dass er sein Baby bekommen hat, denn jetzt genießt er das Leben. Erst als es zu spät war, wurde er wieder der aggressive Nico, den wir mögen, den wir vergangenes Jahr gesehen haben, der Nico, der Lewis die Weltmeisterschaft wegschnappen kann. Das hätte Druck auf Lewis ausgeübt, auch auf psychologischer Ebene." Hamilton sei durchaus anfällig. Wenn es hart auf hart komme, gerate selbst der Brite ins Straucheln, meint Villeneuve.

Nico Rosberg erwartet ein ewig enges Duell gegen Hamilton, Foto: Sutton
Nico Rosberg erwartet ein ewig enges Duell gegen Hamilton, Foto: Sutton

Rosberg erwartet ewigen Kampf mit Hamilton

Rosberg muss seine starke Form des Saisonendes also zwingend über den Winter retten, will er Hamilton 2016 vom Saisonstart weg fordern. Das Momentum spielt in einem so engen Duell wie zwischen den Mercedes-Fahrern stets eine Rolle. "Plötzlich hat er den Schalter umgelegt und geht ab. Solche Dinge passieren mit Fahrern. Manchmal kämpfst du mit dir selbst. Plötzlich ist dein Kopf frei, und dann geht's ab - weil er genauso schnell ist wie Lewis", sagt Niki Lauda.

"Wenn man den letzten Teil der Saison nimmt mit dem ganzen Erfolg, wurde Nico von Rennen zu Rennen erfolgreicher, stärker, während Lewis schwächer wurde. Mit dem Gefühl in den Winterurlaub zu gehen, ist für Nico fantastisch. Er hat bewiesen, dass er sich nicht zerquetschen lässt, dass er reagieren kann", bestätigt Villeneuve.

"Es ist immer schwierig gegen Lewis", ergänzt Rosberg. "Er ist einer der besten Fahrer im Feld. Umso besser fühlt es sich an, gegen ihn zu gewinnen. Das wird wahrscheinlich ein ewiger Kampf gegeneinander. Ich freue mich jetzt schon auf die kommende Saison, da werden wir wieder ein tolles Auto bekommen", frohlockt er. Dass der 30-Jährige es schaffen kann, daran zweifelt Jackie Stewart keineswegs: "Es gibt nichts, was Rosberg am Gewinnen hindert. Er ist schnell. Nico ist gut, die Frage stellt sich nicht." Allerdings fehle ihm noch das letzte Prozent. "Die Schwierigkeit besteht darin, sehr gut zu sein. Er muss dieses kleine Bisschen noch finden", sagt Stewart.

Rosbergs Laster 2015: Qualifying, Start und erste Kurve

Das fehlende Bisschen äußert sich im Lauf der Saison 2015 insbesondere an zwei Punkten. Erstens ist Lewis Hamilton mit Ausnahme des letzten Saisondrittels im Qualifying plötzlich fast unbezwingbar. 2014 war das noch Rosbergs Parade-Disziplin. Zweitens scheitert der Deutsche zu oft an schwachen Starts, mangelnder Courage in Kurve eins oder gleich beidem zugleich. In Erinnerung bleiben vor allem die Startduelle in Japan und den USA, wo Hamilton Rosberg mit harter Gangart hinter sich hält.

"Er war im entscheidenden Moment nicht so stark wie Hamilton. Das hat zu Unsicherheiten, zu Fehlern geführt. Ich hoffe, dass es sich da berappelt. Respekt ist da das Thema. Der Hamilton hat null Respekt. Vor niemandem. Das geht dann nur mit brutalem Dagegenhalten. Das muss er gegenüber dem Hamilton schaffen. Da muss er sich etwas einfallen lassen", sagt Motorsport-Magazin.com-Experte Christian Danner nach Rosbergs erstem Streich in Mexiko.

Von da an gelingt es Rosberg tatsächlich, das Ruder komplett herum zu reißen. Kein Zufall, wie er auf Nachfrage von Motorsport-Magazin.com bestätigt: "Es ist einfach so, dass ich jetzt immer der Schnellere bin und das eine Zehntel im Qualifying in Petto habe, wenn es sein muss. Und das macht den Unterschied aus. Da habe ich mich echt ins Zeug gelegt und einfach gesteigert."

Rosberg-Stärke oder Hamilton-Eskapaden und Setup-Klagen?

Den Auslöser des plötzlichen Turnarounds sucht manch einer jedoch eher bei Hamilton als bei Rosberg. "Man könnte sagen, dass Lewis alles wollte und seine Ziele erreicht hat. Da ist das Adrenalin vielleicht nicht mehr so hoch wie vorher", sagt etwa Toto Wolff. Hinzu kommen selbst für den Briten auffallend exzessive Aktivitäten nach Gewinn der WM, darunter Reisen, Feiern und sogar ein Autounfall.

Der Weltmeister selbst sieht jedoch einen ganz anderen Faktor. Wiederholt bemängelt Hamilton eine grundlegende Setup-Änderung bei Mercedes seit Singapur. "Ich habe im Moment einfach keine komfortable Balance im Auto. Vor Singapur betrug der Abstand zwischen mir und Nico im Qualifying drei bis sechs Zehntel. Bis auf Barcelona, wo es ein Problem mit den Reifenwärmern gab, war ich immer in der Position, auf Pole zu fahren. Das Setup wurde in Singapur modifiziert", klagt Hamilton in Abu Dhabi.

Recht hat er damit. Mercedes hat längst bestätigt, dass es entsprechende Änderungen gab. Allerdings sei noch lange keine neue Philosophie etabliert worden. "Es gibt Höhen und Tiefen, Dinge verändern sich. Es ist eine fortschreitende Entwicklung. Das Auto wird weiterentwickelt, und da siehst du eben mal Verschiebungen", sagt auch Rosberg. Noch dazu handelt es sich stets nur um solche Anpassungen, die das Auto laut Datenanalyse Mercedes' klar schneller machen. Daher bringt es Hamilton nichts, zurück zu bauen wie in Abu Dhabi. Für Rosberg sind dessen Äußerungen daher nichts als Ausreden: "Das ist ein schlauer Kerl. Der findet gute Argumente, wenn er sie braucht."

Jacques Villeneuve schlägt sich auf Rosbergs Seite. Hamilton solle darüber nachdenken, warum er denn vor Singapur so stark gewesen sei. Auch nur wegen des Setups? "Was auch immer das für ein Setup ist, es scheint Nico besser zu liegen, weil Nico daran gearbeitet hat, schätze ich. Aber von der mentalen Verfassung ist das nicht mehr derselbe Lewis. Wenn das der Fall ist, dann war er dieses Jahr gar nicht so überlegen. Er hatte einfach ein Setup, das ihm besser lag. Deswegen sollte er vorsichtig sein, wenn er so etwas behauptet", sagt Villeneuve zu Motorsport-Magazin.com.

Fazit

Schlägt 2016 also endlich die große WM-Stunde des Nico Rosberg? Wenn das Setup passt, er die jüngste Galaform über den Winter konserviert und bei Hamilton der abgefallene Druck nach der Titelentscheidung vielleicht doch nur eine Nebenrolle gespielt hat, gut möglich. Aber nicht sicher. Das ist nur eins: "Nico wird sehr stark darüber nachdenken, was in den letzten Monaten passiert ist. Er wird seine Lernkurve betrachten und überlegen, was ihm entgegengekommen ist, um diesen Vorteil ins nächste Jahr mitzunehmen", sagt Toto Wolff.