Sechs Poles in Folge, drei Siege hintereinander und die "Mini-WM" gewonnen. So sieht die Bilanz von Nico Rosberg im letzten Saisondrittel aus. Doch wie kommt es zum plötzlichen Aufbäumen des Vizeweltmeisters gegen seinen Teamkollegen Lewis Hamilton? Ist beim Weltmeister seit der Entscheidung in Austin die Luft raus, oder stecken technische Veränderungen hinter der Leistungssteigerung von Rosberg?

"Es gab viele Diskussionen, ob er einen Zahn zugelegt hat, das Auto in Sachen Entwicklung mehr in seine Richtung ging, oder Lewis es unbewusst einfach etwas lockerer angehen ließ", schilderte Mercedes-Motorsportchef Toto Wolff in Abu Dhabi. Eine Antwort hat Wolff allerdings nicht - noch nicht. Mercedes wird sich nun in den kommenden Wochen und Monaten zusammensetzen und genau analysieren, wie es zur Kräfteverschiebung innerhalb des Teams kommen konnte.

Für den Österreicher spielt die Entwicklungsrichtung des Autos seit Singapur allerdings eine Rolle in den Überlegungen. "Nach Singapur haben wir in eine andere Richtung entwickelt, denn wir haben aus dem Wochenende einige Lehren gezogen", sagte Wolff. "Ob das Auto jetzt mehr in Richtung Nico und entsprechend weiter weg von Lewis gegangen ist, kann ich nicht sagen, aber es könnte ein Faktor sein."

Klar ist: von der Überlegenheit des Weltmeisters zur Mitte der Saison war in den letzten Rennen wenig zu spüren. "Lewis erwähnte vor ein paar Tagen, dass sein Gefühl mit dem Auto nicht mehr so gut ist wie zuvor", räumte Wolff ein. Eine Tatsache, die das Team genau analysieren möchte und dabei auch die Daten zu Rate ziehen will. "Wir wollen das bestmögliche Ergebnis und dazu muss sich der Fahrer im Auto wohlfühlen. Beide werden versuchen, im Sinne des Setups zu verstehen, was ihnen entgegengekommen ist."

Nico Rosberg ließ seinem Teamkollegen in den vergangenen Rennen kaum eine Chance, Foto: Sutton
Nico Rosberg ließ seinem Teamkollegen in den vergangenen Rennen kaum eine Chance, Foto: Sutton

Keine massive Veränderung seit Singapur

Wolff unterstrich bei seinen Ausführungen, dass die neue Entwicklungsrichtung seit dem Singapur GP - dem mit Abstand schlechtesten Wochenende für das Weltmeisterteam - aber keineswegs gravierend sei. Singapur ist durch die Streckencharakteristik ohnehin eine sehr spezielle Strecke und die gewonnenen Erkenntnisse kann Mercedes nicht auf alle anderen Strecken mitnehmen. "Daher war es keine Änderung der Philosophie des Auto-Setups, sondern eine Bewusstseinserweiterung. Es sind keine großartig anderen Teile am Auto, sondern einfach unterschiedliche Wege, die marginal sind in der Autoabstimmung."

Anhand der Daten kann Mercedes erkennen, dass das Auto verbessert und schneller gemacht wurde. Dieser Faktor kann laut Wolff tatsächlich einem der Fahrer mehr als dem anderen entgegenkommen. Allerdings betonte der Mercedes-Motorsportchef, dass er die neue Situation in seinem Team nicht auf diesen einen Faktor reduzieren wolle, sondern vermutlich mehrere Dinge eine Rolle spielen.

Hamilton: Leistungsabfall durch Druckabfall?

Einer dieser anderen Faktoren könnte sein, dass Hamilton nach seinem dritten WM-Titel entspannter geworden ist. Das wollte Wolff dem Weltmeister allerdings nicht unterstellen - zumindest keine Absicht hinter diesem Vorgehen. "Er macht immer noch richtig Druck und ist noch der gleiche Kerl mit dem gleichen Talent und der gleichen Anstrengung in seinen Handlungen", bescheinigte der Österreicher. Ganz von der Hand weisen wollte Wolff diese These allerdings nicht. "Man müsste ihn fragen, aber es kann eine Rolle spielen."

Gegen diese These spricht aber klar Hamiltons Frust nach dem Qualifying. Er klagte über die fehlende Balance seines Silberpfeils und das wetterte teilweise gegen Mercedes - von verminderter Motivation oder gesunkenem Siegeswillen keine Spur. Wolff hakte diese Aussagen aber unter Ehrgeiz ab. "Die Fahrer sind wie sie sind und sie ärgern sich im Eifer des Gefechts. Wenn es nicht so gut läuft, kommt manchmal ein Satz, der einfach Zeugnis der Frustration und des Ärgers ist", rechtfertigte er. Ohnehin waren seiner Meinung nach alle großen Piloten der Formel 1 so gestrickt und das Team müsse entsprechend damit umgehen können.

Nico Rosberg gibt jetzt bei Mercedes den Ton an, Foto: Sutton
Nico Rosberg gibt jetzt bei Mercedes den Ton an, Foto: Sutton

Leistung konservieren oder aufstocken?

Welche Faktoren letztlich auch entscheidend für die Verschiebung der Kräfteverhältnisse bei Mercedes waren, sie haben an der WM-Entscheidung nichts mehr verändert. Für 2016 ergibt sich allerdings eine spannende Konstellation - sollte es Rosberg gelingen, den Vorsprung auf seinen Widersacher Hamilton zu halten. "Nico wird sehr stark darüber nachdenken, was in den letzten Monaten passiert ist. Er wird seine Lernkurve betrachten und überlegen, was ihm entgegengekommen ist, um diesen Vorteil ins nächste Jahr mitzunehmen", mutmaßte Wolff, der überzeugt ist, dass Rosberg dadurch an Stärke gewinnen wird.

Angesprochen, ob vielleicht - mit den Erkenntnissen der vergangenen Rennen - der falsche Pilot Weltmeister geworden sei, gab es von Wolff aber ein klares Nein. "Im Motorsport gibt es eine Stoppuhr und die lügt nie. Er hat die Punkte geholt, die nötig waren, um die WM zu gewinnen. Also ist er der richtige Mann", unterstrich der Mercedes-Motorsportchef bezüglich Hamilton. In zwölf Monaten werden wir auch wissen, wer 2016 der richtige Mann war...