Ging es bei Mercedes in Sochi darum, die Kräfte als Team zu bündeln und die zweite Konstrukteurs-WM hintereinander zu sichern, könnte Lewis Hamilton bereits am Sonntag Weltmeister werden. Rechnerisch könnten zwar Sebastian Vettel und Teamkollege Nico Rosberg dem Briten noch ein Schnippchen schlagen.

Folgende Szenarien sind möglich: Sollte Hamilton gewinnen, so muss Vettel mit einem Rückstand von 66 Punkten mindestens Zweiter werden, um den Ausgang der Weltmeisterschaft noch offen zu halten. Rang zwei würde dem Briten allerdings für den Titelgewinn ausreichen, sollte der Ferrari-Pilot als Sechster oder schlechter ins Ziel kommen. Bei Platz sechs müsste sich der amtierende Weltmeister allerdings gedulden, unabhängig davon, ob Vettel besser oder schlechter abschneidet.

Für Nico Rosberg wird es nach seiner Nullrunde in Sochi schwieriger. Ihm fehlen 73 Punkte auf Hamilton. Sollte sein Teamkollege den US Grand Prix gewinnen, hat Rosberg keine Chance mehr. Selbst mit Rang sechs könnte der Brite Meister werden, solange er den Deutschen hinter sich lässt. Aber ganz unabhängig von den Rechenspielen wird es für die Verfolger schwierig, Hamilton abzufangen. Der Brite konnte vergangenes Jahr in Austin gewinnen und fährt 2015 bislang die beste Saison seiner Karriere.

Ein Kurs für Liebhaber

Zwei lange, ein paar kürzere Geraden und eine Vielzahl unterschiedlicher Kurven - eine Runde auf dem Circuit Of The Americas ist eines definitiv nicht: langweilig. Fernando Alonso schwärmt von der 5,516 Kilometer langen Strecke: "Die Strecke ist ein Hybrid aus Kurven, die man von großartigen Kursen weltweit kennt." Tatsächlich erinnert die Kurvenkombination drei, vier und fünf eine wenig an eine etwas entschärfte Form der Esses auf dem Silverstone Circuit. Die Haarnadelkurve elf ähnelt dagegen der Kurve zehn auf dem Bahrain International Circuit. Der Circuit Of The Americas geht also durchaus als ein Best-Of-Kurs durch.

Der US GP ist bei den Piloten sehr beliebt, Foto: Sutton
Der US GP ist bei den Piloten sehr beliebt, Foto: Sutton

Faktor Wetter

Das Wetter könnte nach heutigem Stand ein entscheidender Faktor werden, ob Hamilton den Titel vorzeitig sichern kann. Denn für Freitag und Samstag ist ganztags mit Regen zu rechnen. Das Regenrisiko steht bei 90 Prozent. Für Sonntag sind ein paar Lichtblicke vorhergesagt, aber auch zum Rennen besteht eine Regenwahrscheinlichkeit von über 60 Prozent. Ein Segen für die von Dürre und Trockenheit geplagten Texaner, Leid für die Teams und Fahrer. Immerhin kommt dadurch ein zusätzliches Quäntchen Spannung ins Spiel. Damit könnte der US GP 2015 als erstes Regenrennen seit dem F1-Debüt 2012 in die Geschichte eingehen.

Mercedes, Ferrari und dann?

Kann man für das kommende Rennen tatsächlich eine eindeutige Hackordnung festmachen? Werden die Silberpfeile das Geschehen diktieren, gefolgt von Ferrari, Williams und Red Bull? So eindeutig lässt sich die Frage nicht beantworten. Anzunehmen ist, dass die Mercedes-Piloten die Plätze eins und zwei unter sich ausmachen werden, sollten ihnen keine gravierenden Fehler unterlaufen oder die Zuverlässigkeit ihnen einen Streich spielen. Doch wie schnell ein Ausfall passieren kann, hat Nico Rosberg beim Russland Grand Prix erleben müssen. Ein defekter Gaspedaldämpfer zwang den Deutschen in Führung liegend zur Aufgabe.

Deswegen fordert Mercedes-Motorsportchef Toto Wolff: "Wir als Team müssen absolut sicherstellen, dass unsere Fahrer alles zur Verfügung haben, damit am Ende ein Silberpfeil ganz oben steht. Zwei Ausfälle in den vergangenen drei Rennen entsprechen nicht unserem Standard und wir müssen gewährleisten, dass jedes noch so kleine Detail stimmt, um ihnen diese Möglichkeit zu geben."

Rechnerisch ist der Weltmeistertitel für Sebastian Vettel noch möglich, Foto: Sutton
Rechnerisch ist der Weltmeistertitel für Sebastian Vettel noch möglich, Foto: Sutton

Ferrari hat im Vergleich zum Vorjahr den Leistungsdefizit der Power Unit gegenüber Mercedes zwar nicht aufgeholt, aber den Rückstand merklich verringert. Die vier verbleibenden Token für diese Saison werden aber dennoch voraussichtlich erst für die letzten beiden Rennen in Brasilien und Abu Dhabi eingesetzt. Man schielt damit schon mit anderthalb Augen auf 2016. Bei Williams scheint man derzeit den Blick nach hinten zu richten statt nach vorn. "Wir müssen den Abstand zu Red Bull vergrößern und das Team muss weiterhin darum kämpfen, so viele Punkte wie möglich zu machen" sagte Performance-Chef Rob Smedley.

Die Gefahr, den dritten Platz in der Konstrukteurswertung zu verlieren, ist durchaus spürbar. Zwar hat Williams auf Red Bull einen Vorsprung von 71 Punkten, doch in vier verbleibenden Rennen kann einiges passieren. Die zwei langen Geraden werden den Williams zwar entgegenkommen. Aber die verschnörkelten langsamen bis halbschnellen Kurven sind bekanntlich die Paradedisziplin für Red Bull.

Klare Verhältnisse im Mittelfeld

Force India liegt derzeit auf einem sicheren fünften Platz unter den Konstrukteuren. Genauso sieht es mit Lotus auf Rang sechs und Toro Rosso auf dem siebten Platz. Da die ganz großen Punkte von keinem der drei Teams zu erwarten sind, wird sich nach dem US Grand Prix an der Konstellation nichts ändern. Und Force India-Pilot Nico Hülkenberg erwartet in Austin keinen Leistungsabfall. "Ich denke, wir sind gut in Form und werden hier konkurrenzfähig sein", sagte der Deutsche. Noch-Lotus-Pilot Romain Grosjean bekommt Sorgenfalten, wenn er auf das Thema Grip auf dem Circuit Of The Americas angesprochen wird: "Im letzten Jahr war die Herausforderung, unser Grip-Level zu finden", sagte der Franzose. "Wir haben gesehen, dass es in den letzten beiden Rennen ebenfalls schwierig war."

Felipe Nasr wurde in Russland Sechster, Foto: Sutton
Felipe Nasr wurde in Russland Sechster, Foto: Sutton

Und der Rest?

Saubers schwankende Form macht es 2015 nahezu unmöglich, eine Prognose zu treffen. Während beispielsweise in Russland Marcus Ericsson nach einem Startunfall ausschied, schaffte es Felipe Nasr dank des Ausfalls von Valtteri Bottas und der Strafe für Kimi Räikkönen auf Platz sechs. In Japan dagegen war der Schwede als bester Sauber-Pilot 14., Felipe Nasr wurde in der Schlussphase nach einem Ausfall als 20. gewertet. Bei McLaren ist alles klar. Das Team hat längst eingesehen, dass es dieses Jahr nichts mehr zu holen geben wird. Dennoch wird nichts auf die leichte Schulter genommen. "Nach Sochi war ich für einige Tage im McLaren Technology Center, habe mit meinen Ingenieuren hart gearbeitet und mich auf die Back-to-back-Rennen in Austin und Mexiko vorbereitet", sagte Jenson Button. Manors dritter Mann im Bunde, Alexander Rossi, hat die Ehre, seinen ersten Heim-GP in den Vereinigten Staaten zu fahren. Der US-Amerikaner ersetzt einmal mehr Roberto Merhi und wird seinem Teamkollegen Will Stevens wie in Singapur das Leben schwer machen.