Für gewöhnlich hält sich die Spannung aus strategischer Sicht bei Ein-Stopp-Rennen in Grenzen. Ein Undercut, also ein um ein oder zwei Runden vorgezogener Boxenstopp, ist zumeist das Höchste der Gefühle. Anders verhält es sich jedoch, wenn das Safety Car auf den Plan tritt, so wie beim Großen Preis von Russland. Dann eröffnen sich plötzlich völlig neue Möglichkeiten, die auch ein Ein-Stopp-Rennen in einen Taktik-Leckerbissen verwandeln können. Motorsport-Magazin.com blickt auf den Russland GP zurück und zeichnet nach, wie Sergio Perez mit Glück und guter Strategie den Sprung auf das Podium schaffte.

Grosjean crasht, Perez stoppt

Grosjeans demolierter Lotus nach dem Unfall, Foto: Sutton
Grosjeans demolierter Lotus nach dem Unfall, Foto: Sutton

Den Zuschauern auf den Tribünen des Sochi Autodrom und vor den TV-Geräten stockte in Runde zwölf der Atem: Romain Grosjean hatte in der Omega-Kurve die Kontrolle über seinen Lotus verloren und war hart in die Streckenbegrenzung eingeschlagen. Glücklicherweise konnte der Franzose dem Wrack unverletzt entsteigen, dennoch musste naturgemäß das Safety Car auf die Strecke geschickt werden. Dies nahmen einige Piloten, unter ihnen der zu diesem Zeitpunkt auf Platz fünf liegende Sergio Perez, zum Anlass, ihren einzigen Boxenstopp zu absolvieren und von den superweichen auf die weichen Reifen zu wechseln.

Die Spitzenpiloten, Lewis Hamilton, Valtteri Bottas, Kimi Räikkönen und Sebastian Vettel, blieben indessen auf der Strecke und liefen nicht die Boxen an. Nach dem Restart des Rennens in Runde 17 gelang es dem Quartett seinen Vorsprung auf Perez, der wegen des Stopps bis auf Platz acht zurückgefallen war, sukzessive zu vergrößern, wobei vor allem Hamilton an der Spitze des Feldes Dampf machte und der Konkurrenz davon zog. Vettel schaffte es bald, seinen Teamkollegen Räikkönen zu überholen, und konnte in weiterer Folge zu Bottas aufschließen.

In Runde 26 kam der immer mehr unter Druck stehende Williams-Pilot schließlich zum Reifenwechsel und fiel nach diesem hinter Perez, Daniel Ricciardo und Carlos Sainz zurück, die allesamt bereits während der Safety-Car-Phase gestoppt hatten. Vettel reagierte auf den Schachzug der Williams-Mannschaft zunächst nicht, sondern steuerte erst in Runde 30 die Box an. Eine Maßnahme, die sich lohnen sollte. Der Ferrari-Pilot kam nämlich nicht nur vor Bottas, sondern auch vor Ricciardo und Sainz zurück auf die Strecke. Lediglich knapp hinter Perez musste sich Vettel einordnen, da sein Vorsprung auf den Mexikaner mit 21,5 Sekunden nicht groß genug gewesen war.

Perez kann Vettel nicht halten

Räikkönen absolvierte schließlich in Runde 31 seinen Stopp und reihte sich danach hinter Bottas ein. Vettel gelang es derweil, Perez zu überholen, dessen Reifen nach seinem frühen Stopp bereits abgefahren waren, und konnte dem Mexikaner in weiterer Folge deutlich davonziehen. Während der Heppenheimer klar Kurs auf Platz zwei nahm, entbrannte dahinter zwischen Perez, Ricciardo, Bottas und Räikkönen, die in dieser Reihenfolge das letzte Renndrittel in Angriff nahmen, ein heißer Kampf um den letzten Platz auf dem Podium.

In Runde 45 setzte sich Bottas an Ricciardo vorbei, drei Umläufe später tat es ihm Räikkönen gleich. Ricciardo schied kurze Zeit später mit einem Aufhängungsschaden aus und spielte somit im Kampf um das Podium keine Rolle mehr. Perez schaffte es trotz seiner schon stark abgefahrenen Reifen einige Zeit tapfer, Bottas und Räikkönen hinter sich zu halten, in Runde 52, dem vorletzten Umlauf, musste der Mexikaner das finnische Duo dann aber doch passieren lassen und fand sich plötzlich nur mehr auf dem undankbaren fünften Platz wieder.

Als es schon so schien als wäre der Traum vom Treppchen geplatzt, wurde Perez das Glück des Tüchtigen zuteil, das sich in Form einer Kollision zwischen Räikkönen und Bottas äußerte, für die der Ferrari-Pilot später eine Zeitstrafe von 30 Sekunden erhalten sollte. Räikkönen schoss Bottas in der letzten Runde des Rennens beim Angriff auf Platz drei ab, sodass Perez an den beiden havarierten Fahrzeugen vorbeifahren und sich doch noch über die insgesamt fünfte Podiumsplatzierung seiner Karriere freuen konnte.

"Als Valtteri und Kimi an mir vorbeigingen, dachte ich, das Ergebnis sei weg, wusste aber, dass ich während des Rennens alles gegeben hatte", ließ Perez nach dem Fallen der Zielflagge den turbulenten Grand Prix Revue passieren. "Es gab nichts, was ich tun konnte, weil ich mehr als 40 Runden auf den Reifen gefahren war. Als es mir am Ende doch gelang, den dritten Platz zurückzuholen, war es einfach ein unglaubliches Gefühl."

Glück + gute Strategie = Erfolg

Es liegt auf der Hand, dass Perez ohne den Zusammenstoß zwischen Räikkönen und Bottas nur als Fünfter ins Ziel gekommen wäre, was zwar auch ein schöner Erfolg, aber eben nicht der ganz große Wurf gewesen wäre. Der Jubel im Lager von Force India war nach dem Fallen der karierten Flagge nicht zuletzt deshalb so groß, weil die durchaus riskante Strategie mit dem frühen Boxenstopp aufgegangen war, wenn auch dank tatkräftiger Unterstützung der Konkurrenz.

"Wir haben natürlich einen Underdog-Status, aber in genau solchen Situationen wie heute mit den beiden Safety-Car-Phasen gibt es einen Podiums-Öffner und den haben wir genutzt. Andere haben ihn nicht gesehen und nicht schnell genug reagiert", analysierte Perez' Teamkollege Nico Hülkenberg, der bereits in der ersten Runde ausgeschieden war, im Gespräch mit Motorsport-Magazin.com. "Wir sind nicht auf dem Podium, weil wir Drittschnellster sind, sondern durch den Umstand, dass Williams mit der Strategie danebengehauen hat und durch ein paar andere glückliche Umstände."

Für kleine Privatrennställe bieten sich in Anbetracht der übermächtigen Werksteams von Mercedes und Ferrari derzeit kaum andere Möglichkeiten, Erfolge einzufahren, als durch die volle Ausschöpfung des strategischen Potenzials sowie das nötige Quäntchen Glück, das sich darüber hinaus hinzugesellen muss. Force India und Sergio Perez verstanden es am Sonntag in Sochi perfekt, diese Kombination zu ihren Gunsten zu nutzen.