Normalerweise stehen den Teams und Piloten an einem Formel-1-Rennwochenende drei Trainingssitzungen mit insgesamt 240 Minuten zur Verfügung, um sich auf den Grand Prix vorzubereiten. In Russland ist hingegen alles anders. Das erste Training in Sochi wurde von ausgelaufenem Diesel massiv beeinflusst, in der zweiten Session regnete es und das dritte Training musste wegen des Unfalls von Carlos Sainz vorzeitig abgebrochen werden.

Während sich die Auswirkungen auf das Qualifying in Grenzen hielten - die Spitzenpiloten konnten in Q1 und Q2 für Q3 üben -, gehen die Teams praktisch ohne Daten in das Rennen. Normalerweise finden die Longruns mit vollen Tanks im zweiten Training am Freitag statt, was wegen des schlechten Wetters aber unmöglich war. Und auch der "Ersatztermin" am Samstagvormittag fiel nach der roten Flagge flach. Die Teams stehen somit vor einem Start ins Ungewisse.

Spannender Sprint nach dem Start

Bei Mercedes war im Vorfeld des Rennwochenendes die Sorge groß, in Russland könnte sich das Schauspiel aus Singapur wiederholen, als die Silberpfeile mangels Grip chancenlos waren und deutlich am Podium vorbeifuhren. Nach dem Qualifying lässt sich jedoch konstatieren, dass es in Sochi wohl kein unliebsames Déjà-vu geben wird. "Es gibt keine Anzeichen, es ist eine ganz andere Strecke", beruhigte Motorsportchef Toto Wolff. "Die Pace sieht gut aus."

Die Top-3 des Qualifyings, Foto: Sutton
Die Top-3 des Qualifyings, Foto: Sutton

In der Tat war die Pace der Silberpfeile im Qualifying gut. So gut, dass Pole-Sitter Nico Rosberg dem ersten Piloten eines konkurrierenden Teams, Valtteri Bottas, acht Zehntel abnahm. Wie schon in Suzuka hatte Rosberg im Qualifying das bessere Ende für sich und konnte seinen Teamkollegen Lewis Hamilton bezwingen. Dass der Start vom Platz an der Sonne aber nicht gleichbedeutend mit dem Sieg ist, musste der Deutsche vor zwei Wochen schmerzlich erfahren. Rosberg kam nach dem Erlöschen der Ampeln schlecht weg und fiel nach einem harten Duell mit Hamilton sogar bis auf den vierten Platz zurück.

Der Weg bis zum ersten Bremspunkt beträgt in Sochi etwas mehr als einen Kilometer und bietet somit viel Spielraum für Überholmanöver. Im Vorjahr verbremste sich Rosberg nach dem Start massiv, was bereits die Entscheidung zugunsten Hamiltons bedeutete. Diesmal will es Rosberg besser machen. "Ich habe nicht vor, einen Fehler zu machen", betonte der Deutsche. Und Niki Lauda ergänze im Gespräch mit Motorsport-Magazin.com: "Ich gebe ihnen nichts mit auf den Weg. Nico wird morgen versuchen, den gleichen Fehler nicht noch einmal zu machen, gut zu starten und die Pole Position umzusetzen."

Doch selbst sollte Rosberg fehlerfrei bleiben, macht Hamilton keine Dummheiten beziehungsweise wird er nicht vom Technikteufel heimgesucht und kommt als Zweiter ins Ziel, wäre es für Rosberg zu wenig, um in Sachen Weltmeisterschaft entscheidenden Boden gutzumachen. "Ich könnte ein bisschen Hilfe von Williams oder einem roten Auto gebrauchen", ist sich der Wiesbadener bewusst. Dennoch würde sich Rosberg im Falle eines Doppelsiegs wohl zumindest ein bisschen freuen - und sei es nur, weil Mercedes den Konstrukteurs-Titel fixiert. Holen die Silberpfeile drei Punkte mehr als Ferrari, sind sie in der Team-Wertung nicht mehr von der Spitze zu verdrängen.

Hamilton könnte sich seinerseits eine Wiederholung des Japan-Ergebnisses wenig überraschend gut vorstellen. "Der Weg bis zur zweiten Kurve ist weit. Also werden wir beide die Linie heute Nacht genau studieren", wartete der WM-Leader mit einer subtilen Kampfansage in Richtung seines Stallgefährten auf.

Im Vorjahr verbremste sich Rosberg nach dem Start, Foto: Sutton
Im Vorjahr verbremste sich Rosberg nach dem Start, Foto: Sutton

Ferrari schielt auf Mercedes

Vorausgesetzt, Mercedes kann die Pace aus dem Qualifying auch im Rennen einigermaßen umsetzen, dürfte für Williams und Ferrari nur der Kampf um den letzten Platz auf dem Podium bleiben. Da Valtteri Bottas von Platz drei startet, während Sebastian Vettel und Kimi Räikkönen von den Rängen vier beziehungsweise fünf in den Grand Prix gehen, verfügt das britische Traditionsteam zwar über die etwas bessere Ausgangslage, hat nach Felipe Massas völlig verpatztem Qualifying dafür aber nur ein Eisen im Feuer.

"Das Auto sieht hier sehr schnell aus, daher müssen wir die Ausgangslage in ein Podium für Valtteri ummünzen", fordert Rob Smedley, Head of Performance Engineering. Zum Vorteil gereichen könnte Williams der gute Top-Speed: Massa wurde im Qualifying mit 334,4 km/h geblitzt und war damit der schnellste Mann im Feld, und auch Bottas brachte es auf 331,6 km/h. Räikkönen und Vettel kamen hingegen nicht über 326,7 km/h beziehungsweise 325 km/h hinaus. Ein nicht zu vernachlässigender Faktor in Sochi, wo sich die Überholmöglichkeiten abgesehen von den beiden langen Geraden in Grenzen halten.

Sochi: Die Top-Speeds im Qualifying

FahrerTeamMotorSpeed
Felipe MassaWilliamsMercedes334,4 km/h
Romain GrosjeanLotusMercedes332,8 km/h
Pastor MaldonadoLotusMercedes332,2 km/h
Valtteri BottasWilliamsMercedes331,6 km/h
Nico RosbergMercedesMercedes329,8 km/h
Lewis HamiltonMercedesMercedes329,4 km/h
Sergio PerezForce IndiaMercedes327,0 km/h
Kimi RäikkönenFerrariFerrari326,7 km/h
Nico HülkenbergForce IndiaMercedes325,3 km/h
Sebsastian VettelFerrariFerrari325,0 km/h

Im Ferrari-Lager will man allerdings nicht nur Williams Paroli bieten, sondern hat auch ein Auge auf Mercedes geworfen. "Auf eine Runde waren sie sehr schnell, im Rennen könnte es anders sein. Wir können nur unser Bestes geben. Wir werden versuchen, einen guten Start zu erwischen, dann hoffentlich ein starkes Rennen haben und in der Lage sein, den Kampf aufzunehmen", schickte Kimi Räikkönen eine Kampfansage in Richtung der Silberpfeile.

Schafft Ferrari den Sprung auf das Podium?, Foto: Sutton
Schafft Ferrari den Sprung auf das Podium?, Foto: Sutton

Teamkollege Sebastian Vettel hofft indessen, dass es zu einer Wiederholung der ersten Runde in Suzuka kommt, als die Top-4 ebenfalls in derselben Reihenfolge starteten. "In Suzuka habe ich Bottas beim Start überholt", erinnerte der Heppenheimer. "Es wäre schön, wenn es morgen genauso klappt, aber ich bin mir sicher, dass Valtteri bemüht sein wird, einen besseren Start hinzulegen. Es ist ein langer Weg bis zur ersten Kurve, etwas anders als in Japan."

Weichere Reifen - trotzdem wieder nur ein Stopp?

Das große Fragezeichen vor der zweiten Ausgabe des Großen Preises von Russland ist die strategische Herangehensweise. Zum einen, weil den Teams nur wenige Daten vorliegen, und zum anderen, weil die superweichen Reifen zum ersten Mal in Sochi gefahren werden. Im Vorjahr kamen die Piloten mit einem Stopp locker über die Runden, damals lieferte Pirelli aber noch härtere Mischungen.

Dennoch geht der italienische Fabrikant davon aus, dass die Mehrheit der Fahrer nur einmal die Boxen anlaufen wird, weil der Verschleiß in Sochi ob des glatten Asphalts so gering ausfällt. "Ein Boxenstopp sollte möglich sein", ist auch Pastor Maldonado überzeugt. Pirelli rechnet damit, dass die Top-Piloten zwischen Runde 18 und 22 stoppen und ihre superweichen Pneus gemäß dem Reglement gegen weiche Reifen eintauschen.