Das Qualifying war in diesem Jahr das Große Problem von Nico Rosberg. Bis zum Japan GP konnte er seinen Teamkollegen Lewis Hamilton nur einmal schlagen. Doch in Japan scheint Rosberg etwas gefunden haben: Beim Russland GP in Sochi geht der Deutsche zum zweiten Mal in Folge von der Pole Position aus ins Rennen.

"Ich habe aber leider nichts geändert", gibt sich Rosberg fast ein wenig enttäuscht. "Ich suche noch immer. Heute hat es einfach super gepasst, der Grip war gut, die Balance hat gestimmt. Und mit dem Abstand bin ich auch zufrieden", fügte er mit einem Zwinkern an. Drei Zehntel distanzierte der Vizeweltmeister den Weltmeister.

Der Geschlagene lässt sich von seiner dritten Quali-Niederlage aber wenig bis gar nicht beeindrucken. "Wie oft stand ich in dieser Saison bislang auf Pole? Elf Mal?", fragte er ganz subtil in die Runde, wusste die Antwort aber natürlich selbst. "Und wie viele Rennen sind wir gefahren? 15? Das ist ziemlich gut." Das Selbstbewusstsein ist also weiterhin riesengroß. "Bei 15 Rennen hatte ich 13 Mal die Pace, um auf Pole zu stehen. Also mach ich mir keine Gedanken darüber. Und in Suzuka hatte ich in Kurve eins die Nase schon vorne."

Es gibt eine Parallele zwischen Suzuka und Sochi, die über den Anfangsbuchstaben der beiden Austragungsstädte hinausgeht: An beiden Wochenenden gab es wenig Trainingszeit. In Suzuka war der Freitag verregnet, in Sochi war der Freitag verdieselt und verregnet, am Samstag gab es außerdem wegen dem Sainz-Unfall nur ein halbes FP3.

Rosberg kam in dieser Saison schon öfter besser ins Wochenende hinein, Hamilton konnte über das Wochenende hinweg aber aufholen und war dann im Qualifying meist der bessere. Kam Rosberg bei den letzten Rennen also entgegen, dass Hamilton weniger Zeit hatte, aufzuholen? "Darüber habe ich noch gar nicht nachgedacht, aber eigentlich mag ich es lieber, wenn wir viel trainieren können", sagte Rosberg zu Motorsport-Magazin.com.

Komplizierte Qualifying-Strategie

Viel trainieren konnte Rosberg auch im Qualifying nicht mehr. Vor allem im letzten Qualifyingabschnitt nicht: Beide Silberpfeil-Piloten hatten am Ende nur ein Outing. Dafür fuhren sie mehrere Runden am Stück, weil selbst der Supersoft-Reifen auf dem glatten Asphalt von Sochi deutlich länger als eine Runde hält.

Selbst im Qualifying kommt es auf die Strategie an, Foto: Sutton
Selbst im Qualifying kommt es auf die Strategie an, Foto: Sutton

"Nachdem wir im Freitagstraining keine sinnvollen Runden fahren konnten, verbrachten wir einen Großteil von Q1 und Q2 damit, um zu entscheiden, ob die erste, zweite, dritte oder vierte schnelle Runde am besten sein würde", erklärt Paddy Lowe. "Die größte Schwierigkeit war, dass es im Q3 nicht genügend Zeit gab, um mit beiden Autos zwei Runs zu je zwei gezeiteten Runden zu fahren."

Zwei Runs mit zwei gezeiteten Runden wäre die beste Variante gewesen. "Sie hätte den Nachteil aufgehoben, die Autos für die gesamte Session betanken zu müssen, und damit zusätzliches Gewicht auf dem ersten Run an Bord zu haben." Also gab es nur einen Run mit mehreren Runden. "Wir wollten die Rundenzeiten in den Runden zwei und vier setzen. Das reichte aus, um uns die erste Startreihe zu sichern, aber keiner unserer Fahrer verbesserte sich auf seiner zweiten Runde."

Ein Kilometer bis zum ersten Bremspunkt

Der Japan GP wurde am Start entschieden. Rosberg kam schlechter weg, Hamilton war bereits in Kurve eins vorne. Die schlechte Nachricht für Rosberg: Auf kaum einer anderen Strecke ist der Weg von Pole Position zum ersten Bremspunkt so weit wie in Sochi. Exakt 1029 Meter sind es bis zum Scheitelpunkt von T2. Also heißt es knapp einen Kilometer Vollgas vor dem ersten Bremspunkt.

In Spanien verteidigte Rosberg die Pole, Foto: Sutton
In Spanien verteidigte Rosberg die Pole, Foto: Sutton

Die gute Nachricht: Auch in Spanien, wo Rosberg seine erste Pole in diesem Jahr holte, war die Distanz bis zum ersten Bremspunkt überdurchschnittlich weit. 730 Meter musste Rosberg dort um die Führung zittern. Am Ende gewann er den Sprint und siegte später auch. Bei einem Fehler am Start bleibt aber auch viel Raum, um wieder aufzuholen. "Ich habe nicht vor, einen Fehler zu machen", beendet er die Diskussionen.

In Suzuka fuhren Hamilton und Rosberg Nase an Nase in die erste Kurve. Rosberg musste nachgeben, verlor dabei noch weitere Plätze. Von vielen Seiten erntete er dafür Kritik. Ob er an diesem Wochenende härter reinhalten würde? "Wir haben das klar durchgesprochen und halten uns an die FIA-Regeln", erklärt er. Heißt: Keine eigene Team-Anweisungen, es soll wie mit jedem anderen Gegner auch fair umgegangen werden. Das bestätigte auch Lauda im Gespräch mit Motorsport-Magazin.com: "Ich gebe ihnen nichts mit auf den Weg. Nico wird morgen versuchen, den gleichen Fehler nicht noch einmal zu machen, gut zu starten und die Pole Position umzusetzen."

Wegen des weiten Wegs bis Kurve 2 - dem ersten Bremspunkt - ist die Startphase in Sochi besonders knifflig. "Am Start ist es immer so, dass die Reifen und Bremsen nicht auf Temperatur sind. Aber hier kommt man viel schneller an", erklärt Hamilton. Der Brite schickt aber gleich eine Kampfansage hinterher: "Der Weg bis zur zweiten Kurve ist weit. Also werden wir beide die Linie heute Nacht genau studieren."

2014 tappte Rosberg in Russland in die Falle, Foto: Sutton
2014 tappte Rosberg in Russland in die Falle, Foto: Sutton

Im vergangenen Jahr machte hier Rosberg den Fehler: Beim Versuch, Hamilton auszubremsen, verbremste er sich so stark, dass seine Reifen komplett ruiniert waren und er schon nach der ersten Runde einen Boxenstopp einlegen musste.

Rosberg fürchtet keine Kühlprobleme

Rosberg war vor zwei Wochen am Start allerdings gehandicapt. Die Motortemperatur ging am Start zu stark in die Höhe, ihm stand nicht die volle Leistung zur Verfügung. Im Rennverlauf mussten beide Mercedes-Piloten ihre Motortemperatur managen, weil die Außentemperaturen deutlich höher waren, als die Ingenieure erwartet hatten.

"Es geht immer darum, die Balance zu finden", erklärt Toto Wolff. "Man kann mit weniger Kühlbedarf eine Menge Downforce holen. Das ist wie bei den Bremsen: Wenn man die Öffnung kleiner macht, gewinnt man Downforce, aber verliert Kühlleistung. Es ist die Balance, die beste Aerodynamik zu haben und dabei noch die Bremsen am Leben zu halten. Wenn es dann wärmer wird oder man im Verkehr fährt, ändert sich die Ausgangslage. "

Während des Qualifyings zum Russland GP wurden nur maximal 16 Grad gemessen. Am Sonntag soll es zumindest eine kleine Ecke wärmer werden. Sorgen macht sich Rosberg deshalb aber nicht. "Ich glaube, wir haben genügend Reserven einkalkuliert. Dass es hier viel Lift and Coast gibt, sollte uns zusätzlich helfen."

Nicht nur die Motortemperaturen könnten Lewis Hamilton aber Sorgen bereiten, sollte er hinter Rosberg herfahren müssen. "Turn 2 und Turn 13 sind vielleicht eine Chance, zu überholen. Auf dieser Strecke ist es generell schwer, zu folgen."

Rosberg braucht aber eigentlich mehr, als einen eigenen Sieg. Er muss auf einen gleichzeitigen Patzer von Hamilton hoffen. "Für die Meisterschaft könnte ich Hilfe von Williams oder einem roten Auto gebrauchen", weiß Rosberg. Doch realistisch ist dieses Szenario nicht wirklich. Valtteri Bottas fehlen auf Rang drei schon neun Zehntelsekunden.

Mercedes hat Weltmeister-Shirts bereits dabei

"Besser geht´s nicht, der Zeitunterschied ist relativ groß", freute sich Niki Lauda. Sein Pole-Kutscher zeigte sich darüber erstaunt: "Nach der wenigen Trainingszeit sah es eigentlich so aus, als würde es eng werden. Deshalb bin ich vom Vorsprung schon überrascht." Also keine Rede mehr von einem zweiten Singapur, das manch einer aufgrund des besonderen Asphalts befürchtet hatte. "Aber Singapur ist für uns kein Mysterium mehr, nur noch für euch", wirft Hamilton ein.

Passiert am Sonntag nichts unvorhergesehenes, wird Mercedes zum zweiten Mal in Folge Konstrukteursweltmeister - wie auch im vergangenen Jahr in Russland. Drei Punkte müssen die Silberpfeile mehr holen als Ferrari, dann ist der Titel im Sack. Mercedes muss mit mindestens 172 Punkten Vorsprung aus Sochi abreisen, um bei den letzten vier Rennen nicht mehr eingeholt werden zu können. "Die Weltmeister-T-Shirts liegen schon oben", gesteht Wolff. Eigentlich ein schlechtes Omen, zuvor darüber zu sprechen. "Aber sollen wir sagen, wir haben keine und dann morgen trotzdem mit ihnen rumlaufen?"