Die Definition eines Schock-Moments erlebte Nico Rosberg beim zweiten freien Training in Spa-Francorchamps: Zwischen Stavelot und Blanchimont explodierte dem Mercedes-Piloten der rechte Hinterreifen bei 300 km/h. Der Mercedes W06 geriet sofort ins Trudeln, drehte sich von der Strecke, doch zu einem Einschlag kam es nicht. Nico Rosberg kam mit dem Schrecken davon - allerdings einem großen. Er hatte zudem großes Glück, dass der Reifen vor der ultraschnellen Blanchimont geplatzt ist und nicht in der Kurve selbst.

"Das war ein richtiger Mega-Schock, bei voller Geschwindigkeit so die Kontrolle zu verlieren", sagte Rosberg direkt nach dem Unfall und gab zu: "Das hatte nichts mit Fahrkönnen zu tun; es war pures Glück, dass ich nicht eingeschlagen bin. Ich dachte, dass ich in der Mauer landen würde. Wenn man 300 km/h fährt und etwas schiefläuft, ist das ein schreckliches Gefühl." Es habe keinerlei Vorwarnung gegeben, fügte er hinzu. Er selbst wusste zu dem Zeitpunkt noch gar nicht, dass es ein Reifenschaden war und sagte lediglich, dass "irgendetwas hinten rechts" kaputtgegangen sei. Pirelli versprach eine sofortige Analyse des Reifens und möglichst schnell mit Informationen an die Öffentlichkeit zu treten.

Rosberg befand sich mit dem Soft-Reifen in seiner 13. Runde, als das Unglück geschah. Bereits eine halbe Runde zuvor löste sich auf der Innenseite an der Schulter des Pneus ein kleiner Teil der Karkasse ab. "So etwas habe ich noch nie zuvor gesehen", sagte Mercedes-Technikdirektor Paddy Lowe. "Die große Frage bleibt, was das verursacht hat. Pirelli hat den Reifen bereits mitgenommen und ihn zur Analyse gebracht. Wir werden unsererseits Checks am Fahrzeug machen, um auszuschließen, dass das Auto auf irgendeine Art ein Faktor war. Wir werden mit Pirelli hart daran arbeiten, um heute Abend herauszufinden, was geschehen ist und wie wir sicherstellen können, dass wir für den Rest des Wochenendes sicher weiterarbeiten können." Ein erster Mercedes-interner Verdächtiger ist der Kerb ausgangs Eau Rouge/Raidillon.

Strenge Vorgaben seit 2012

Ärgerlich für Rosberg und Mercedes: Wertvolle Longrun-Daten werden am Ende des Tages fehlen, da für den werdenden Vater das Training mit der Schrecksekunde beendet war. Das Team wechselte daraufhin auch bei Lewis Hamilton die Herangehensweise. "Es geht ihm gut - er ist ja nicht eingeschlagen - aber es ist schon ein Schock, wenn es einem bei 300 km/h den Reifen zerreißt", sagte Toto Wolff. "Man sieht in der Zeitlupe, dass sich an der Schulter etwas gelöst hat und dann reißt es. Ob es ein strukturelles Problem ist oder er sich etwas eingefahren hat, muss noch analysiert werden."

Die Lauffläche blieb fast vollständig im wahrsten Sinne des Wortes auf der Strecke, Foto: Sutton
Die Lauffläche blieb fast vollständig im wahrsten Sinne des Wortes auf der Strecke, Foto: Sutton

Es ist nicht das erste Mal, dass Reifenhersteller Pirelli beim freien Training zum Belgien GP im Fokus steht: Bereits 2012 fiel an den Fahrzeugen von Red Bull ein Problem mit den Vorderreifen auf. Wie sich herausstellte, fuhren die Bullen damals mit einem höheren Reifensturz als von Pirelli empfohlen. Seitdem gelten die von Pirelli empfohlenen Werte als bindende Obergrenze.

So auch an diesem Wochenende: Charlie Whiting betonte, dass den Teams die exakten Parameter bereits mitgeteilt worden sind: "Wir wurden abermals von Pirelli gebeten, aus Sicherheitsgründen sicherzustellen, dass alle Reifen so verwendet werden wie in einem Schreiben mitgeteilt, das bereits am 28. Juli an die Teams versendet worden ist." Es erfolgten Checks nach dem Zufallsprinzip. Whiting verkündete zudem, dass diese Checks von nun an bis auf weiteres bei jedem Rennen erfolgen werden.

Fahrer kündigen Debatte über Reifen an

Auch andere Fahrer werden die Analysen genau beobachten, schließlich gilt es herauszufinden, ob ein generelles Problem mit den Reifen vorliegt. "Wir werden heute Abend ein Fahrer-Meeting abhalten und ich bin mir sicher, dass wir das dort diskutieren werden", kündigte Daniel Ricciardo an. "Wenn das in einer anderen Kurve passiert, kann es schlimmer ausgehen. Da sammelt sich schon ein bisschen Feuchtigkeit in den unteren Bereichen."

Auch Sebastian Vettel äußerte eine gewisse Besorgnis: "Die Frage [ob es hier ein Problem mit den Reifen gibt] stellt sich schon. Bei uns gab es keine Probleme, aber so wie es aussieht, kam es bei ihm ohne Voranmeldung. Das wird jetzt im Laufe des Nachmittags noch geklärt werden müssen." Die Entscheidung von Pirelli, statt wie in den Vorjahren, als der mittlere und der harte Reifen in Spa zum Einsatz kam, den weichen und mittelharten Reifen zur Verfügung zu stellen, kritisierte er nicht.

Nico Rosberg blieb als Trost die Bestzeit in beiden freien Trainings zum Großen Preis von Belgien. Bis zum Unfall lief der Freitag für den 30-Jährigen nämlich sehr gut. "Es gab nur ein kleines Motorproblem am Auto von Nico, welches das Team jedoch sehr schnell lösen konnte", so Lowe. "Unsere Pace war ermutigend, wir werden allerdings wie immer genau auf unsere Gegner achten. Ferrari und Red Bull sehen an diesem Wochenende ganz besonders stark aus. Wenn wir bestehen wollen, benötigen wir eine gute Pace und müssen uns am Ende der langen Geraden verteidigen können.