Der Großbritannien GP war für Ferrari enttäuschender als Kanada und Österreich - obwohl zum ersten Mal seit zwei Rennen wieder ein Ferrari-Pilot auf dem Podium stand. Aber Ferrari weiß, dass Vettels dritter Platz in Silverstone mehr den glücklichen Umständen geschuldet ist, als der eigenen Performance. Bei den beiden vorangegangenen Rennen war es anders: Ferrari ließ sich das Podium durch Missgeschicke entgleiten, die Pace war da.

Die Pace in Silverstone war erschreckend: 1,131 Sekunden lag Kimi Räikkönen hinter Pole-Setter Lewis Hamilton, Sebastian Vettel sogar 1,299 Sekunden. Nach Australien war das der größte Rückstand der gesamten Saison. Gut, Silverstone ist die zweitlängste Strecke im Kalender, da kann der Rückstand proportional anwachsen.

Nur in Australien war Ferrari weiter weg, Foto: Ferrari
Nur in Australien war Ferrari weiter weg, Foto: Ferrari

Australien weggelassen betrug der durchschnittliche Rückstand des besten Ferrari auf die Pole 0,56 Sekunden. Dass Ferrari in Silverstone doppelt so weit weg war, lässt sich nicht mit der Streckenlänge erklären - zumal auch noch Williams vor Ferrari rutschte.

Mit der Länge lässt sich der Rückstand nicht erklären, mit der Streckencharakteristik eher. Der ein oder andere vermutete, dass Ferrari auch wegen Pirellis Reifenwahl zurückfiel. Zum ersten Mal seit dem Spanien GP kamen wieder Medium und Hart zum Einsatz, zuvor fiel die Wahl dreimal auf Supersoft und Soft. Ja, Ferrari profitiert von weicheren Reifen und leidet ein wenig unter den härteren Mischungen, allerdings gewann Vettel den Malaysia GP und dort wurde mit den beiden härtesten Reifentypen gefahren.

Mehr als die Reifen macht Ferrari allerdings die Streckencharakteristik zu schaffen. Schon in Spanien fiel die Scuderia weiter zurück. Während sie Mercedes in Bahrain noch unter Druck setzen konnten, offenbarte der aerodynamisch anspruchsvolle Kurs die Schwächen des SF15-T.

In Silverstone wiederholte sich dieses Phänomen, nur noch etwas deutlicher. Ferrari dachte, nach dem Spanien GP die Probleme mit dem Update aussortiert zu haben, allerdings wurden die Italiener auf den Boden der Tatsachen geholt. "Wir waren auf den Geraden nicht schnell und haben in den Kurven trotzdem keine Zeit gutgemacht", analysierte Teamchef Maurizio Arrivabene am Sonntag

Das belegen auch die Zahlen. Weil im Rennen die Werte oftmals durch Windschattenfahrten verfälscht sind, gibt das Qualifying besser Aufschluss darüber, welches Auto wo schnell ist. Bei der Höchstgeschwindigkeit rangierte Ferrari in Silverstone nur im Mittelfeld. Dabei war diese Disziplin bislang das Steckenpferd der Roten.

Auch Williams musste hier übrigens federn lassen. Sowohl Ferrari, als auch Williams haben Topspeed für mehr Downforce geopfert. Ferraris Problem: Es hat sich nicht gelohnt. Wie Arrivabene sagte: Auf der Geraden verloren, in den Kurven nicht gewonnen. Auch das belegen die Zahlen.

Ferrari hat Chassis-Problem, kein Motor-Problem

Von den 1,131 Sekunden Rückstand im Qualifying verlor Räikkönen alleine im Mittelsektor 0,543 Sekunden. Das ist jener Abschnitt mit Copse, Maggots, Becketts und Chapel, also den vielen Highspeed-Kurven. Interessanter aber: die Geschwindigkeitsmessungen an den Sektoren.

In der Formel 1 wird an vier verschiedenen Stellen die Geschwindigkeit gemessen. Am Ende jedes Sektors und an der Stelle der voraussichtlich höchsten Endgeschwindigkeit (in Silverstone 140 Meter vor Stowe). Meistens sind die Enden der Sektoren auf kurzen Verbindungsgeraden. Deshalb sind die Messstellen nicht besonders interessant.

Topspeeds Qualifying - Gemessen 140 Meter vor Stowe

FahrerTeamMotorTopspeed
Romain GrosjeanLotusMercedes327,4 km/h
Lewis HamiltonMercedesMercedes326,3 km/h
Nico RosbergMercedesMercedes326,2 km/h
Felipe NasrSauberFerrari325,5 km/h
Pastor MaldonadoLotusMercedes325,0 km/h
Felipe MassaWilliamsMercedes324,4 km/h
Kimi RäikkönenFerrariFerrari323,8 km/h
Sergio PerezForce IndiaMercedes322,7 km/h
Marcus EricssonSauberFerrari322,7 km/h
Nico HülkenbergForce IndiaMercedes322,5 km/h

In Silverstone gibt es allerdings zwei aufschlussreiche Zeitnahmestellen: Das Ende von Sektor zwei befindet sich direkt hinter der Kurvenkombination Maggots, Beckkets, Chapel. Nur 50 Meter hinter dem letzten Linksknick wird die Zeit gemessen. Der zweite interessante Punkt ist Start und Ziel, weil die Zeitnahmelinie ungewöhnlich früh kommt.

Mercedes ist überall schnell, Foto: Mercedes-Benz
Mercedes ist überall schnell, Foto: Mercedes-Benz

Messstelle zwei zeigt: Obwohl Ferrari mehr Luftwiderstand zugunsten der Kurvengeschwindigkeit in Kauf nimmt, wird die Kurvengeschwindigkeit nicht besser. Vettel und Räikkönen landen auch hier nur im Mittelfeld auf den Plätzen sieben und acht.

An der letzten Messstelle das umgekehrte Bild: Obwohl die Boliden die Linie mit fast der identischen Geschwindigkeit wie Sektor 2 passieren, ist die Rangordnung anders. Räikkönen ist plötzlich Schnellster, Vettel Vierter. Allerdings führen keine Hochgeschwindigkeitskurven auf Start/Ziel, sondern eine langsame Ecke, die immer weiter aufmacht. Die Traktion stimmt.

PositionSektor 1Sektor 2Sektor 3
1Hamilton327,9Hamilton257,6Räikkönen254,5
2Grosjean327,7Bottas257,4Bottas254,1
3Maldonado325,6Grosjean527,4Rosberg253,9
4Massa325,0Massa256,3Vettel251,8
5Rosberg324,9Maldonado255,3Massa251,6
6Bottas324,5Ericsson254,9Hamilton251,2
7Hülkenberg324,4Räikkönen254,8Hülkenberg250,8
8Perez322,3Vettel254,3Sainz250,4
9Räikkönen322,1Perez254,3Ricciardo249,8
10Ericsson320,7Nasr254,2Kvyat249,4

Dass das nichts mit der Motorcharakteristik zu tun hat, zeigt Sauber. Die Schweizer liegen im zweiten Sektor auf Ferrari-Niveau, auf der Ziellinie fallen sie deutlich ab. Bei den Topspeeds vor Stowe liegt Nasr hingegen auf Rang vier. Ferrari hatte in Silverstone ein Chassis-Problem, kein Motor-Problem, das zeigt der Vergleich mit Sauber. Auch wenn die Schweizer noch nicht den geupdateten Motor haben, so groß ist der Unterschied nicht.

Vettel kein Silverstone-Spezialist

Möglicherweise kam in Silverstone noch ein weiterer Faktor hinzu: Der Fahrer. Sebastian Vettel musste sich das erste Mal in dieser Saison am Samstag seinem Teamkollegen geschlagen geben - Kanada wegen des technischen Defekt ausgenommen. Im Schnitt war Vettel fast eine halbe Sekunde schneller im Qualifying-Trimm als Räikkönen. In Silverstone war dann plötzlich der Iceman vorne.

Vettel siegte nur 2009 in Silverstone, Foto: Sutton
Vettel siegte nur 2009 in Silverstone, Foto: Sutton

Sebastian Vettel zeigte in dieser Saison, wozu der Ferrari in der Lage war, Kimi Räikkönen hat noch immer - vor allem in der Qualifikation - mit dem Auto zu kämpfen. In Silverstone machte der Deutsche am Samstag einen kleinen Fehler. Das ist aber nur die eine Hälfte der Vettel-Geschichte.

Silverstone ist traditionell keine Vettel-Strecke. Nur einmal konnte er in der Wiege des Motorsports gewinnen, nämlich 2009. In seinen vier Weltmeisterjahren mit Red Bull konnte er keinen Sieg dort feiern. Bei sieben Starts vor dem diesjährigen GP überquerte er nur zweimal vor seinem Teamkollegen die Ziellinie. Für Vettel-Verhältnisse unterdurchschnittlich.

Am Ende kamen in Großbritannien bei Ferrari viele Faktoren zusammen: Die Streckencharakteristik zeigt die aerodynamischen Schwächen des SF15-T schonungslos auf. Die harten Reifen kommen Ferrari weniger entgegen. Mit weniger Downforce lassen sich die harten Pneus nicht besonders gut auf Temperatur bringen. Dazu kam Vettel, der - abgesehen vom feuchten Rennende - nicht sein bestes Rennwochenende der Saison hatte.

Ferrari verschläft Entwicklungsrennen

Allerdings muss sich Ferrari die Frage gefallen lassen, warum es Williams besser hinbekommen hat. Viel Abtrieb war in der Vergangenheit nie eine Stärke der Briten. Und auf der aerodynamisch anspruchsvollen Strecke von Malaysia war Ferrari deutlich näher dran. Ferrari hat im Entwicklungsrennen an Boden verloren. Die Updates schlagen nicht so ein.

Ein altbekanntes Problem in Maranello. "Letztes Jahr kann ich mich an kein Rennen erinnern, bei dem wir Teile an die Strecke gebracht haben, die funktioniert haben - und wir hatten viele neue Teile", sagte Felipe Massa im vergangenen Jahr über seinen ehemaligen Arbeitgeber. "Wir haben die Teile immer am Freitagabend wieder abgenommen."

Fernando Alonso kann davon ebenfalls ein Lied siegen. 2010 und 2012 verlor er die Weltmeisterschaften vor allem hinten raus, als Red Bull deutlich mehr zulegen konnte als Ferrari. Mercedes zieht nun wieder weiter weg. "Die anderen sollen nicht nörgeln, sondern ihre Autos schneller machen", fordert Niki Lauda in der Bild. Der Mercedes-Mann gewohnt salopp: "Was kann Mercedes dafür, wenn die bei Ferrari nur mit Spaghetti rumschmeißen und ihr Auto nicht richtig auf die Straße stellen?"