Die Pole Position war so viel mehr wert als nur die beste Ausgangslage für die anstehenden Spanien Grand Prix. Nico Rosberg muss ein großer Stein vom Herzen gefallen sein, nachdem er seinen Teamkollegen Lewis Hamilton endlich besiegt hatte. Knapp drei Zehntel nahm Rosberg seinem scheinbar übermächtigen Mercedes-Kontrahenten im Q3 ab. Der Weltmeister muss sich zum ersten Mal in diesem Jahr mit Startplatz zwei begnügen. Und Rosberg musste endlich einmal nicht auf die nervigen Fragen antworten, warum er dem Briten wieder einmal unterlegen war.

"Es kann sehr deprimierend sein, plötzlich konstant vom Teamkollegen besiegt zu werden", sagte Jackie Stewart. "Und mit Lewis war das der Fall. Nico hat das jetzt verdient, er war schon fast zu oft der zweite Mann." Der dreifache Weltmeister wusste genau, was solch eine Situation für einen Formel-1-Fahrer bedeuten kann. Stewart: "Das Wichtigste ist es, klar bei Gedanken zu sein. Du musst im Kopf klar sein und dich nicht ablenken lassen."

Beste Laune bei den Rosbergs nach der Spanien-Pole, Foto: Mercedes-Benz
Beste Laune bei den Rosbergs nach der Spanien-Pole, Foto: Mercedes-Benz

Bloß nicht ablenken lassen

Stewart lobte Rosbergs saubere Performance im Qualifying. Der amtierende Vize-Weltmeister ließ sich in der Tat nicht von den kniffligen Streckenbedingungen ablenken und fand die richtige Balance. Kollege Hamilton haderte unterdessen etwas mit dem Setup seines Silberpfeils, führte dies als Grund für seine erste teaminterne Niederlage in diesem Jahr an. Bloß nicht ablenken lassen, merkte Stewart dazu an: "Denn wenn dir das passiert, gibst du dem Auto nicht die beste Möglichkeit, das zu tun, wozu es in der Lage ist. Dann versuchst du stattdessen, Dinge zu forcieren."

Das Mercedes-Lager war unterdessen darauf bedacht, die Angelegenheit nicht hochzuspielen. Auf Geschichten á la 'Rosberg schlägt zurück' hatte niemand Lust. "Ich würde da nicht zu viel hineininterpretieren, ob nun jemand zurückschlägt oder die Dynamik sich verändert hat", sagte Toto Wolff nach dem Qualifying. "Das hier ist einfach nur ein anderes Rennen. Ich weiß, dass man sie rauf- und runterschreiben will. Aber das ist nicht die Wirklichkeit."

Ein Teamduell auf Messers Schneide, Foto: Mercedes-Benz
Ein Teamduell auf Messers Schneide, Foto: Mercedes-Benz

Wolff: Nichts Außergewöhnliches

Trotzdem lässt sich nicht von der Hand weisen, dass Rosberg zumindest einen Teilerfolg vorweisen musste, um nicht allgemeinhin als Nummer 2 abgestempelt zu werden. Auch Mercedes dürfte daran gelegen sein, zwei Fahrer im Team zu haben, die auf gleichem Niveau fahren und sich gegenseitig zu Höchstleistungen antreiben. Motorsport-Magazin.com wollte von Mercedes-Motorsportchef Wolff wissen, ob er selbst auch froh sei über Rosbergs Erfolg. Der Österreicher wiegelte ab.

Wolff: "Ich bin immer neutral. Ich freue mich für beide, wenn es gut funktioniert. Wenn notwendig, den einen zu beglückwünschen und den anderen aufzubauen. Wobei das beide nicht nötig haben, weil sie sich selbst wieder aufbauen. Insofern ist es für nicht so ein außergewöhnliches Ereignis, dass Nico auf Pole steht. Ich erinnere an das vergangene Jahr, als er die meisten Poles herausgefahren hat. Das ist also keine Überraschung."

Endlich kann Rosberg wieder am Samstag jubeln, Foto: Mercedes-Benz
Endlich kann Rosberg wieder am Samstag jubeln, Foto: Mercedes-Benz

Vergangene Stärke

In der Tat war der Samstag in der Saison 2014 Rosbergs große Stärke im Vergleich zu Hamilton. Rosberg nutzte seinen Speed auf einer Runde mehrmals als Argument, dass er seinem Teamkollegen im Auto nicht unterlegen ist. Zu Beginn dieses Jahr sah das allerdings anders aus, als Hamilton auch im Zeittraining die Oberhand behielt. Rosberg gingen langsam aber sicher die Gründe aus, warum er nicht die Nummer 1 innerhalb des Teams war.

Zwar sei die Pole ein psychologischer Vorteil, räumte Rosberg ein. Dabei gehe es allerdings nur um Barcelona und nicht die vorangegangenen Rennwochenenden. "Es fühlt sich großartig an, weil es einfach ein guter Arbeitstag war. Das ist alles", sagte er. "Es geht nicht um irgendwelche Rennen in der Vergangenheit. Es ist einfach wichtig für das morgige Rennen, weil es besser ist, von Platz eins als von zwei zu starten."

Gerade in Barcelona ist die Pole Position Gold wert, Foto: Mercedes-Benz
Gerade in Barcelona ist die Pole Position Gold wert, Foto: Mercedes-Benz

Diesmal keine bohrenden Nachfragen

Er habe keine andere Herangehensweise - sondern weiterhin den Sieg vor Augen. Doch was hätte Rosberg wohl auf die Frage nach der Überholproblematik in Barcelona geantwortet, wenn er das Qualifying-Duell zum fünften Mal in Folge verloren hätte. An diesem Samstag blieben die quälenden Nachfragen aus.

Nur Niki Lauda sprach offen aus, was nicht wenige im Fahrerlager dachten: Die Spanien-Pole war wie eine Befreiung für Rosberg. Der Mercedes-Aufsichtsratsvorsitzende unmittelbar nach dem Qualifying: "Nico hat alles richtig gemacht. Ich freue mich ganz besonders für ihn. Die Demütigung der ersten Rennen ist vorbei. Es war eine super Leistung, und das im richtigen Moment. Heute war Nico einfach besser. Das hat man schon gespürt, als es ins Training ging."

Redaktionskommentar

Motorsport-Magazin.com meint: Natürlich konnte Rosberg nach der Pole nicht öffentlich zugeben, dass der Erfolg einer Befreiung gleichkam. Damit hätte er Schwäche offenbart und das kann er sich im engen Duell mit Hamilton nicht leisten. Dementsprechend war es vom gesamten Mercedes-Team die richtig Lösung, Rosbergs Erfolg als nichts Ungewöhnliches hervorzuheben, mit Verweis auf 2014. Aber: Wir haben 2015 - und da wurde Rosberg seit Saisonbeginn vom Teamkollegen gebügelt. Das muss selbst bei einem starken Charakter wie Rosberg Spuren hinterlassen haben. Warum ich das glaube? Weil es nur menschlich ist. (Robert Seiwert)