Zum Europa-Auftakt kommen die ersten großen Updates. Jeder kündigt ein Paket an, am Ende wird sich an der Rangordnung dann aber doch nicht viel ändern, oder?
Christian Danner: Hier gibt es zwei Dinge. Das eine ist die Aerodynamik: Ich glaube, dass bei Red Bull etwas mehr kommen wird. Sie bringen ein großes Aero-Update. Mit kurzer Nase und dem ganzen Paket drum herum. Die anderen werden ihre normale Update-Geschwindigkeit beibehalten, wie das gesamte Jahr über.

Das zweite sind die Motoren. Da glaube ich, dass sowohl bei Ferrari, als auch bei Mercedes eine Stufe kommt, die schlichtweg mehr Leistung hat. Denn die erste Spezifikation ist aufgrund der Vier-Motoren-Regel logischerweise eher konservativ. Ferrari muss vielleicht noch etwas warten, weil sie in Bahrain erst einen neuen Verbrennungsmotor eingesetzt haben.

Ändert sich durch die neuen Spezifikationen etwas am Kräfteverhältnis?
Christian Danner: Man darf sich davon nicht zu viel erwarten. Meinen Informationen zufolge hat Ferrari über den Winter gut 40 PS gefunden. Das ist eine Menge Holz. Mercedes hat nur knapp 10 PS zugelegt. Die Latte lag für Mercedes viel höher, als für alle anderen. Deswegen ist der Schritt, den Ferrari über den Winter gemacht hat, so eklatant groß. Nur jetzt liegt die Ferrari-Latte fast so hoch wie die Mercedes-Latte. Da brauchen wir nicht erwarten, dass noch einmal 30 PS kommen, das ist Schwachsinn. Es kommt eine normale Motorweiterentwicklung, die in allen drei Bereichen - MGU-H, MGU-K und Verbrennungsmotor und auch in deren Zusammenspiel - eine höhere Maximalleistung hat. Aber da reden wir von ungefähr 10 PS.

Red Bull hofft bei Renault vermutlich auf mehr. Aber auch in Relation zu Toro Rosso läuft es nicht. Red Bull ist nicht wirklich besser als Toro Rosso, oder?
Christian Danner: Im Moment sicher nicht. Sie haben natürlich völlig berechtigter Weise über Renault geschimpft. Aber: Das, was ich beurteilen kann: Ich gehe am Freitag meist um die Strecke und schaue, wie die Autos liegen. In den vergangenen Jahren war es immer offensichtlich, wo der Red Bull seine Vorteile hatte. Wie der auf der Straße gelegen ist, wie viel Abtrieb der hatte. Das war mit bloßem Auge sichtbar. Und das ist jetzt eindeutig nicht mehr sichtbar. Die Aussage, sie hätten das beste Auto und den schlechtesten Motor, die stimmt so nicht mehr.

Was kann Red Bull in diesem Jahr noch schaffen?
Christian Danner: Schwer zu sagen. Red Bull geht im Moment davon aus, dass sie acht Motoren brauchen. Kvyat hat jetzt schon den vierten Motor. Der fährt den vierten Motor, ohne dass sie das Kolbenbolzen-Problem gelöst haben. Das heißt: Der wird wahrscheinlich auch wieder hochgehen. Ab dann gibt es Strafen. Und Renault hat ja nicht nur das eine Problem. Es sind so viele verschiedene Sachen kaputt gegangen. Deshalb kann man eigentlich nicht davon ausgehen, dass sie das alles gleichzeitig hinbekommen.

Red Bull fliegen die Renault-Motoren um die Ohren, Foto: Sutton
Red Bull fliegen die Renault-Motoren um die Ohren, Foto: Sutton

Dass sie acht Motoren für diese Saison benötigen, halte ich für sehr realistisch. Vielleicht sogar noch mehr. Demnach werden Strafen bei ihnen zum Standardprogramm gehören. Sie werden kaum mehr dort losfahren, wo sie sich qualifizieren. Red Bull muss die Saison abhaken und hoffen, dass sie für das nächste Jahr vor dem Engine-Freeze einen Motor haben, der doch wieder konkurrenzfähig ist. Dieses Jahr kann man knicken, das ist vorbei.

Wenn ich Renault oder Red Bull wäre, würde ich diese Saison einfach komplett abhaken - und wenn ich 12 Motoren brauche in diesem Jahr. Hauptsache am Ende hält das Ding und ist schnell. Und dann kann man mit den Tokens für das nächste Jahr noch weiterentwickeln. Das ist zwar bitter, ist aber eine ganz realistische Herangehensweise.

Ein anderes Sorgenkind ist McLaren Honda...
Christian Danner: Die sehe ich nicht so sehr als Sorgenkind. Alonso ist nicht so weit weg von ordentlich. Natürlich nicht perfekt, aber so unterirdisch sind sie auch nicht. Und bei ihnen ist es genauso: Sie werden irgendwann an den Punkt kommen, an dem es völlig egal ist, wie viele Motoren sie brauchen.

Für die Problematik der vier Motoren gibt es zwei Gründe: Erstens die Kosten, die sind Honda egal. Wenn sie zehn Motoren brauchen, dann brauchen sie eben zehn. Dann gibt es die Problematik auf sportlicher Seite mit den Power-Unit-Strafen. Aber ganz ehrlich: Wenn ich als McLaren eine Startplatzstrafe bekomme, weil ich zu viele Motoren gebraucht habe, dann mein Gott. Dann bin ich vier Plätze weiter hinten - na und? Es geht darum, dass ich jetzt, in diesem Jahr, in dem es ohnehin um nichts geht, so viel aufhole, wie nur möglich. Das ist das gleiche wie bei Renault - nur noch krasser.

Was ist denn, wenn ich ganz brav bin und mit den vier Motoren durch die Saison komme? Wenn ich dann im ersten Rennen als 18. losfahre und im letzten Rennen als 17. losfahre, dann bin ich im Jahr 2016 genauso schlecht. Dann bringt es nichts, dass ich 2015 nur vier Motoren gebraucht habe. So bitter das ist: Aber wenn ich rein technisch strategisch denke, sind mir die ganzen Strafen 2015 egal und ich schaue nur, dass ich Leistung und Zuverlässigkeit bekomme. Und dann, am Ende des Jahres, bin ich so weit vorne, dass ich wieder vernünftig auf Punkte und Ergebnis fahren kann.

Das Entscheidende ist, dass man 2016, wenn die Motoren wieder eingefroren werden, auf einem Niveau mit Mercedes ist. Wenn der Mercedes-Motor mit 20 PS Vorsprung eingefroren wird, dann hat man mit Zitronen gehandelt und definitiv etwas falsch gemacht. Die 20 PS zieht man dann nämlich während der nächsten Homologations-Periode wieder mit. Das strategische Ziel für Renault und Honda kann nur sein, bis Ende 2015 absolut auf Mercedes-Niveau zu sein. Wie man dort hinkommt und wie hart und bitter der Weg dorthin ist, ist völlig Wurschd.