Was für ein Start in die neue Saison für Sebastian Vettel! Erstes Rennen für Ferrari, erstes Podium - besser geht es fast nicht. Mercedes wurde seiner Favoritenrolle gerecht und war wie erwartet unschlagbar, doch dahinter sorgte Vettel für Jubelstimmung in Rot. Begünstigt war der Sturm des Heppenheimers auf das Treppchen allerdings durch die Schützenhilfe eines alten Bekannten. Motorsport-Magazin.com analysiert den Saisonauftakt in Melbourne.

Massa stoppt früh - und verliert

Nach einem durchwachsenen Qualifying startete Vettel von der vierten Position in den Grand Prix. Gleich nach wenigen Metern musste der Heppenheimer eine Schrecksekunde überstehen: In Kurve eins kam er seinem Teamkollegen Kimi Räikkönen gefährlich nahe, konnte jedoch gerade noch eine Kollision verhindern. Trotz des Malheurs büßte Vettel keinen Platz ein und blieb hinter dem enteilenden Silberpfeil-Duo sowie Felipe Massa an der vierten Stelle.

Ricciardo nahm Massa entscheidende Zeit ab, Foto: Sutton
Ricciardo nahm Massa entscheidende Zeit ab, Foto: Sutton

An dieser Reihenfolge sollte sich bis zum Boxenstopp nichts ändern. Williams beorderte Massa bereits in Runde 21 herein, was sich als rennentscheidend erwies. Der Brasilianer wechselte von den weichen auf die Medium-Reifen und kam unmittelbar hinter Daniel Ricciardo zurück auf die Strecke, der noch nicht gestoppt hatte. Hinter dem Red-Bull-Piloten, der seinem Ex-Teamkollegen Vettel damit Schützenhilfe leistete, verlor Massa entscheidende Zeit, anstatt sich mit den frischen Reifen weiter von Vettel abzusetzen.

Unmittelbar vor dem Reifenwechsel hatte Massa noch 1,6 Sekunden Vorsprung auf Vettel gehabt. Nachdem der Deutsche drei Runden später an der Box gewesen war, lag aber plötzlich er eine Sekunde voran und sollte im weiteren Rennverlauf nicht mehr in die Verlegenheit geraten, sich gegen einen Überholversuch Massas zur Wehr setzen zu müssen.

Aus dem Diagramm geht gut hervor, dass Massa seine langsamste Rennrunde (mit Ausnahme der absoluten Anfangsphase nach dem Safety Car) unmittelbar nach dem Reifenwechsel einstreute, weil er hinter Ricciardo festhing, was rund anderthalb Sekunden kostete. Vettel legte außerdem um einige Zehntel zu, womit das Duell um Platz drei entschieden war.

"Ich schloss auf ihn auf und versuchte zu überholen. Er hat aber einfach die Tür zugemacht und ich habe mehr als 1,5 Sekunden verloren - genug, um auch die Position drei abgeben zu müssen", ärgerte sich Massa auf Nachfrage von Motorsport-Magazin.com über das Duell mit Ricciardo. "Ich bin enttäuscht, die Position auf diese Weise verloren zu haben."

Große Freude bei Vettel, Foto: Ferrari
Große Freude bei Vettel, Foto: Ferrari

Später zu stoppen, um Ricciardo aus dem Weg zu gehen, wäre laut Williams-Performance-Chef Rob Smedley allerdings keine Option gewesen, da man das Tempo Vettels fürchtete und versuchen wollte, mit den frischen Reifen einen entscheidenden Vorteil herauszufahren. "Die einzige Möglichkeit war für uns früh zu stoppen und zu versuchen, ihn hinter uns zu halten", erklärte Smedley, der aber weder mit Ricciardo noch dem so stark zulegenden Vettel gerechnet hatte. "Die Entscheidung war für uns wirklich einfach."

Einfach war es danach auch für Vettel, Massa in Schach zu halten. Dem Brasilianer gelang es nicht mehr, ins DRS-Fenster zu kommen, und war demensprechend nicht in der Lage, einen Angriff zu lancieren. Verantwortlich dafür war auch Ferraris guter Top-Speed, sodass Vettel mit 306 km/h die exakt gleiche Höchstgeschwindigkeit wie Massa erreichte. Für den ehemaligen Red-Bull-Piloten vermutlich ein ungewohntes Gefühl. Dass es ihm gelang, trotz des späteren Stopps an Massa vorbeizukommen, bezeichnete Vettel als "orthodox."

Hat Mercedes geblufft?

Während Vettel Platz drei entgegenfuhr, ließen Lewis Hamilton und Nico Rosberg an der Spitze des Feldes nichts anbrennen. Schlussendlich betrug Hamiltons Vorsprung auf Vettel 34,5 Sekunden und war damit knapp zehn Sekunden größer als jener Vorsprung, den Rosberg im Vorjahr auf den Zweitplatzierten (und später disqualifizierten) Ricciardo gehabt hatte.

Alonso im bestplatzierten Ferrari war 2014 übrigens 35,2 Sekunden zurückgelegen und damit praktisch auf Augenhöhe mit Vettel. Berücksichtigt werden muss beim Vergleich der absoluten Abstände allerdings, dass das Safety Car im Vorjahr später als diesmal (Runde 12 - 15) zum Einsatz kam. Andererseits konnte Rosberg in der Vorsaison wegen Hamiltons frühem Ausfall ohne Druck an der Spitze fahren und musste nicht ans Limit gehen.

Trotz der Überlegenheit stellt sich die Frage, ob Mercedes in Melbourne überhaupt das gesamte Potenzial aufgedeckt hat oder die Konkurrenz nicht noch weiter distanzieren hätte können. Zum Vergleich: Im Qualifying nahm Hamilton Massa, Vettel und Räikkönen je rund 1,4 Sekunden ab, wobei die Ferrari-Piloten ohne ihre Fahrfehler wohl nur eine Sekunde verloren hätten. Im Rennen büßte Vettel in den 55 Runden nach dem Einsatz des Safety Cars hingegen "nur" etwas mehr als sechs Zehntel pro Umlauf ein, was sich auf dem Niveau des zweiten und dritten Trainings bewegte.

Zwar zeigte Ferrari in den Longruns am Freitag eine gute Performance und kam Mercedes durchaus nahe (wenngleich über die Spritmenge nur gemutmaßt werden kann), aber waren die Silberpfeile schlussendlich nicht doch etwas schaumgebremst unterwegs?

Nein, sagt Motorsportchef Toto Wolff. "Es gab keine Sekunde im Rennen, in der wir nicht gefahren sind, was das Auto konnte", erklärte er auf Nachfrage von Motorsport-Magazin.com. Aufgrund des hohen Spritverbrauchs habe das Team versucht, den größtmöglichen Puffer herauszufahren, um für den Fall eines erneuten Safety-Car-Einsatzes gewappnet zu sein. Wolff: "Das war das Leistungspotenzial."

Eine andere Sicht der Dinge vertritt man hingegen im Williams-Lager. Rob Smedley ist fest davon überzeugt, dass die Silberpfeile trotz der Beteuerungen nicht alle Karten aufgedeckt haben und noch über einige Reserven verfügten. "Die Realität haben wir im Qualifying gesehen", urteilte Smedley.

Unter dem Strich bleibt, dass Mercedes die Konkurrenz beim Saisonauftakt nach Belieben dominierte und noch schneller war, als so mancher Gegner erwartet hatte. "Das haben alle gesehen", sagte Massa. "Wenn sie im Qualifying eineinhalb Sekunden schneller als der Dritte sind, gibt es nichts, was man dagegen tun kann." Die Frage nach den Favoriten ist somit weiterhin eine rein rethorische.

Hamilton und Rosberg enteilten der Konkurrenz früh, Foto: Sutton
Hamilton und Rosberg enteilten der Konkurrenz früh, Foto: Sutton