Nach dem Abstecher ans untere Ende der Power-Unit-Rangordnung blicken wir wieder auf die Spitze. Hat Mercedes bei den Power Units auch in diesem Jahr diese klare Vorreiterrolle wie im letzten Jahr?
Christian Danner: Ja, wenn auch nicht mehr ganz so klar. Man muss sich nur mal anhören, was die Piloten über Mercedes sagen. Wenn ich an zwei Piloten denke, die sich darüber geäußert haben, war auf der einen Seite Romain Grosjean, der natürlich an seinen Renault-Motor gewohnt war: "Das ist ja sagenhaft! Wenn ich Gas gebe, passiert auch was." Der ist glücklich. Der ist noch nicht ganz glücklich mit seinem Auto - aber er denkt sich: "Okay, das ist jetzt einmal ein Motor, mit dem man fahren kann und der auch nicht kaputt geht." Valtteri Bottas, der ja den Mercedes-Motor aus der letzten Saison sehr gut kennt, sagt, dass der Motor in allen Bereichen noch einmal deutlich besser geworden ist. Vor allem bei der Fahrbarkeit. Und der Mercedes-Antrieb ist einfach so toll zu fahren, dass ich da nach wie vor einen klaren Vorteil sehe. Allerdings hat die Konkurrenz deutlich aufgeholt. Sie wissen ja, was Mercedes da so macht. Deswegen würde ich sagen: Ja, Mercedes hat bei der Power Unit immer noch die Nase vorne, aber bei weitem nicht mehr so dramatisch wie im vergangen Jahr.

Erwarten Sie, dass sich über die Saison durch diese aufgesparten Tokens noch etwas verschieben kann oder wird das relativ wenig ausmachen?
Christian Danner: Ich glaube, es wird nicht so wahnsinnig viel ausmachen, weil es natürlich nach wie vor ein paar grundsätzliche Sachen gibt: Mercedes hat nach wie vor die Turbine und den Verdichter getrennt - das haben die anderen nicht gemacht. Es wird schon Entwicklungen geben, aber die werden auf ähnlichem Niveau stattfinden.

Nur auf Renault bin ich natürlich gespannt, was Mario Illien dort macht. Der kommt ab Barcelona mit einem ganz eigenen Zylinderkopf. Das find ich schon sehr spannend. Speziell natürlich deshalb, weil das eine ungemeine politische Brisanz hat. Die Franzosen müssten sich also von einem externen Motoreningenieur sagen lassen, wie man einen Verbrennungsmotor baut... Da ist noch viel Luft nach oben und für die Verfolger - natürlich mehr als für Mercedes. Wenn du eh fast unter der Decke bist, dann kann es nicht mehr so viel nach oben gehen.

Beim Gesamtpaket Motor und Chassis sieht Mercedes aber einmal mehr unschlagbar aus. Ist das auch Ihr Eindruck?
Christian Danner: Unschlagbar ist immer ein blöder Ausdruck, den ich nicht mag. Niemand ist unschlagbar, und auch Mercedes ist schlagbar. Es gibt ein schönes englisches Zitat: "From now on you can only lose races." Also: "Von jetzt an, kann man nur noch Rennen verlieren." Und diesen Moment hat Mercedes im vergangenen Jahr nach dem dritten, vierten oder fünften Rennen verstanden. Das Gewinnen war eigentlich die Normalität. Und an diese Mentalität müssen wir uns schon ein bisschen gewöhnen, auch wenn der Abstand deutlich geringer ist als letztes Jahr. Ich glaube nicht, dass Mercedes mit einem derartigen Polster auf die Konkurrenz unterwegs ist, wie im vergangenen Jahr. Wobei das Polster nicht nur die Performance ist, sondern natürlich auch die Zuverlässigkeit. Das war bei den Testfahrten klar zu sehen, dass Mercedes - im Hinblick auf die vier-Motoren-Regel - unglaublich viel Wert auf Zuverlässigkeit gelegt hat.

Wie weit liegt Mercedes 2015 noch vor der Konkurrenz?, Foto: Sutton
Wie weit liegt Mercedes 2015 noch vor der Konkurrenz?, Foto: Sutton

Bei Mercedes kommt intern noch eine ganz spannende Geschichte hinzu. Letztes Jahr war es schon interessant zu sehen, wie das zwischen Lewis Hamilton und Nico Rosberg funktioniert. Glauben Sie, das könnte in diesem Jahr wieder für Gefahr sorgen?
Christian Danner: Gefahr? Ich würde es eher Entertainment nennen. Ich hab das ja furchtbar gerne. Niki [Lauda] kann sich ja keine Haare mehr ausreißen! Aber ich meine, Niki und Toto [Wolff] sind nicht zu beneiden, weil das Ding natürlich weitergeht. Erstens ist Nico Rosberg im vergangenen Jahr am Anfang der Saison ein bisschen zu blauäugig an die Geschichte herangegangen. Lewis war da von Anfang an viel abgebrühter (Bahrain, Barcelona etc.). Diese Lektion hat Nico gelernt. Das Zweite ist, dass Nico die Fehler, die er in der Vergangenheit gemacht hat - und da waren schon ein paar dabei, wie in Sochi, wie in Monza , etc. -, die hat er sich schon ordentlich hinter die Ohren geschrieben. Ich erwarte eigentlich einen noch engeren Kampf zwischen den beiden. Hamilton ist dieses Fahr-Genie und Rosberg ist das Brain-Genie, der sich immer ran arbeitet und das Pferd von einer anderen Seite aufzäumt, als der Hamilton das macht.

Sehen Sie die Gefahr, dass sich Lewis Hamilton neben der Strecke wieder etwas zu stark ablenken lässt, ähnlich wie 2011?
Christian Danner: Ich bin ganz sicher überhaupt nicht der Fachmann in Sachen Yellow Press und Regenbogenpresse, aber es sieht so ein bisschen danach aus, als würde Lewis jetzt ein wenig vom Kurs abkommen: Mit seiner on-und-off-Freundin ist es mal wieder off und die Tatsache, dass er sich selbst managt und absurde Summen ins Spiel bring, schafft für ihn viele Nebenkriegsschauplätze. Ob ihm das die Möglichkeit gibt, sich das Jahr über gegen einen durchaus gereiften Teamkollegen so durchzusetzen, wie ihm das in der Vergangenheit gelungen ist, das zu beobachten ist sicher spannend.

Man muss aber sagen: Die Art und Weise, wie er den Titel gewonnen hat, ist nicht aus dem Leben zu diskutieren. Dieser Hamilton ist schon eine ordentliche Hausnummer, darüber brauchen wir gar nicht reden. Wenn ich freitags an der Strecke stehe, ist es immer wieder eine Freude, ihn zu sehen. Er hat etwas Besonderes. Er ist ein absoluter Spitzenfahrer. Es gibt ja den Unterschied zwischen 'good' und 'great' und er gehört auf jeden Fall in die Abteilung 'great'.

Wenn wir von Mercedes weggehen: Dahinter scheint es richtig eng zuzugehen mit Ferrari, Williams und Red Bull. Wer hat hier die besten Chancen?
Christian Danner: Das kann man anhand der Testfahrten wahnsinnig schlecht analysieren. Ich habe mir die ganzen Zeiten angeschaut, ich habe mir die Longruns angeschaut, ich habe mit Leuten gesprochen und Ingenieuren telefoniert und bin sogar mit einem Freund Simulationen durchgegangen. Aber: Die Geschichte ist im Moment schlichtweg so eng, dass man es nicht vorhersagen kann. Mein Bauch sagt: Auch wenn Red Bull nicht so toll ausgesehen hat, ist es noch immer ein Adrian-Newey-Auto und es ist noch immer ein Team, welches die Ressourcen und das Organisationssystem hat, um unglaublich zuzulegen. Deshalb habe ich den Verdacht, dass am Ende doch Red Bull die Nummer zwei ist.

Christian Danner sieht Red Bull im Duell mit Williams und Ferrari vorne, Foto: Red Bull
Christian Danner sieht Red Bull im Duell mit Williams und Ferrari vorne, Foto: Red Bull

Bei den anderen beiden weiß ich nicht so recht. Williams sagt, sie seien besser geworden. Aber der Abstand zu Mercedes ist im Verhältnis noch genauso groß. Ferrari ist viel besser geworden, aber auch nicht näher an Mercedes dran als Williams. Aber wenn das Auto Mal richtig gut ist, dann wird die Luft nach oben hin natürlich dünner und die Fortschritte werden kleiner. Aber ich kann mich darauf freuen, weil es wahrscheinlich von Strecke zu Strecke variieren wird und weil es zwischen all den Verfolgern sehr eng wird.

Hinter den drei, die wir gerade genannt haben, gibt es wieder eine Lücke zu Lotus, Toro Rosso, Sauber und Force India.
Christian Danner: Ja, das scheint so. Lotus ist noch etwas dazwischen, der kann sich noch nicht so recht entscheiden: Kommt er noch vorne, wo er hin will, oder wird er von den Toro Rossos und Force Indias gefressen? Ich glaube, dass Force India am meisten Probleme haben wird. Denn die haben offensichtlich massive finanzielle Probleme und sind viel zu spät dran. Im letzten Jahr waren sie wegen des Mercedes-Vorteils zu Beginn des Jahres sehr gut, das sind sie dieses Jahr sicher nicht. Im Laufe des Jahres braucht man brutale Ressourcen, weil die anderen auch besser werden. Und das Abstauben am Anfang wird ihnen nicht gelingen. Ich sehe den Lotus dazwischen, dann kommen Toro Rosso, Sauber und Force India. Force India hat den Motoren-Vorteil, aber das ist auch nicht alles.