Kimi Räikkönen hat seinen Zenit überschritten. Wenn Sebastian Vettel den Finnen 2015 nicht in Grund und Boden fährt, dann ist es das auch mit seiner Karriere gewesen. Meine erste Reaktion: "Was für ein Bullshit." Das gilt für die Aussage über Vettel als auch über Räikkönen. Vor allem die abgedroschenen Sätze zu Kimi Räikkönen kann ich nicht mehr hören.

Ein fauler, unmotivierter Rennfahrer, der lieber sich auf Partys die Kante gibt, als im Simulator zu testen, holt keinen WM-Titel, 20 GP-Siege, 16 Pole Positions und 77 Podestplätze. Fakt ist, dass Räikkönen der bis dato letzte Ferrari-Weltmeister ist - ein Erfolg, der Fernando Alonso in fünf Jahren verwehrt geblieben ist. Und wer den Titelgewinn 2007 als Glücksfall ansieht, nur weil der Finne mit einem Punkt Vorsprung gewann, den erinnere ich an Niki Lauda. Dem Österreicher reichte 1984 ein halber Punkt zum dritten Titel.

Räikkönen 2003 im McLaren, Foto: Sutton
Räikkönen 2003 im McLaren, Foto: Sutton

Räikkönen wäre schon 2003 reif für den WM-Titel gewesen, doch McLaren konnte ihm weder damals, noch später ein zuverlässiges Siegerauto hinstellen. Aber lassen wir, das hätte, wäre, wenn und bleiben wir bei den Tatsachen. Tatsache ist, dass Räikkönen über ein unfassbar natürliches Talent verfügt. Er wechselt von einem F1-Boliden in einen Straßen-, Rallye- oder NASCAR-Wagen und findet sofort die Limits. Ein Beispiel: Räikkönen absolvierte 2011 einen NASCAR-Test. Er ging auf abgenutzten Reifen auf die Strecke und fuhr schnellere Rundenzeiten als die Kerle, die dort normal fahren.

Genauso ist es eine Tatsache, dass Räikkönen 2014 im Schatten von Fernando Alonso gestanden hat. Das hat mehrere Gründe: erstens ist Alonso einer der besten Fahrer seiner Generation, zweitens hatte Räikkönen öfters Pech als sein Ferrari-Teamkollege - sowohl in punkto Standfestigkeit als auch in punkto Zweikämpfe - und drittens kam Räikkönen mit der elektronisch gesteuerten Hinterradbremse des F14T nicht klar. Bei letzterem Punkt kann man Räikkönen höchstens ankreiden, dass er mit der Abstimmung seines Wagens sehr pingelig ist.

Tut sich dann noch ein Problem mit der Zuverlässigkeit auf, dann geht Räikkönen oftmals die Zeit aus, um all jene Abstimmungsdetails, die für ihn wichtig sind, auf die Reihe zu kriegen. Dieses Manko kann er auch nicht immer mit seinem Talent wettmachen. Wenn das Auto passt, dann tritt auch das intergalaktische Talent - eine Bezeichnung von Motorsport-Magazin.com-Experte Christian Danner - zu Tage. So legte Räikkönen ein bedeutend besseres Comeback hin als Siebenfach-Champion Michael Schumacher.

Räikkönen mit Lotus auf dem Podium, Foto: Sutton
Räikkönen mit Lotus auf dem Podium, Foto: Sutton

Trotz zweijähriger Formel-1-Pause kam der Finne sofort mit dem Auto klar - obwohl dieses auf einmal mit 150 Kilogramm Sprit vollgetankt war und auf einem Reifen fuhr, der überhaupt nichts mit dem zu tun hatte, was Räikkönen kannte. Während Michael Schumacher tagelang in einem GP2-Boliden getestet hat, hat sich Räikkönen einfach reingesetzt und ist losgefahren. Wenn man weiß, zu was man mit einem F1-Auto imstande ist, fällt einfach viel Zeit für das Herantasten weg. Das macht Räikkönen nicht zu einem faulen Rennfahrer, sondern zu einem Spitzenpiloten. Deshalb lautet mein Rat an seine Kritiker: Leave him alone!