Es ist in jedem Jahr das gleiche: Die gesamte Motorsportwelt blickt gespannt auf das erste Kräftemessen bei den Wintertests. Sobald die ersten Zeiten gesetzt sind, wird von allen Seiten betont, wie wenig Aussagekraft die Zeiten doch hätten. Ohne Zweifel, Rundenzeiten sind beim Testauftakt sekundär. Dennoch gibt es einige interessante Daten und Eindrücke aus Jerez. Motorsport-Magazin.com analysiert den ersten Wintertests.

Überrascht hat Mercedes niemanden. Die Silberpfeile machten von Beginn an wieder den besten Eindruck. Der F1 W06 Hybrid fuhr mit Abstand die meisten Runden, funktionierte vom Umspringen der Ampel an bis zum Abwinken. 516 Runden drehte Mercedes an vier Tagen und damit 134 mehr als Sauber - das immerhin noch die zeitmeisten Umläufe bewältigte.

Ganz ohne Zuverlässigkeitsprobleme kam aber auch Mercedes nicht über den Test. Ein Wasserleck, ein paar Telemetrieprobleme und Kühlprobleme sind aber allesamt Kleinigkeiten, die erstens relativ schnell behoben werden konnten und zweitens keine fundamentalen Probleme darstellen.

Allerdings waren die Zeiten von Lewis Hamilton und Nico Rosberg nicht übermäßig schnell. Das muss aber noch absolut gar nichts bedeuten. Die Spritlevel sind unbekannt, außerdem haben die Teams freie Auswahl bei den Reifen. In Jerez kamen Soft, Medium, Hart und ein Winterreifen zum Einsatz.

Kombinierte Bestzeiten

PlatzFahrerTeamZeitRückstand
1 Räikkönen Ferrari 1:20.814
2 Vettel Ferrari 1:20.984 +0.170
3 Nasr Sauber 1:21.545 +0.731
4 Rosberg Mercedes 1:21.982 +1.168
5 Ericsson Sauber 1:22.018 +1.205
6 Hamilton Mercedes 1:22.272 +1.358
7 Massa Williams 1:22.276 +1.462
8 Bottas Williams 1:22.319 +1.505
9 Verstappen Toro Rosso 1:22.553 +1.739
10 Maldonado Lotus 1:22.713 +1.899
11 Sainz Toro Rosso 1:23.187 +2.373
12 Ricciardo Red Bull 1:23.338 +2.524
13 Grosjean Lotus 1:23.802 +2.988
14 Kvyat Red Bull 1:23.975 +3.161
15 Button McLaren 1:27.660 +6.846
16 Alonso McLaren 1:35.553 +14.739

Bei den Zeiten gibt es definitiv zu viele Unbekannte, um ernsthafte Schlüsse daraus ziehen zu können. Anders als an den Rennwochenenden wissen wir nicht, welcher Fahrer bei welchem Stint mit welchem Reifen gefahren ist und wie viele Kilometer diese Reifen schon abgespult haben. Das macht eine genaue Analyse schlichtweg unmöglich.

Gutierrez schilderte seine Eindrücke von der Strecke, Foto: Motorsport-Magazin.com
Gutierrez schilderte seine Eindrücke von der Strecke, Foto: Motorsport-Magazin.com

Die Eindrücke von der Strecke sind schon eher ein Anhaltspunkt. Jerez ist von der Streckencharakteristik eine gute Strecke, um Autos beurteilen zu können. Motorsport-Magazin.com sah sich selbst einige Passagen vor Ort an. Wir teilen die Einschätzung, die uns Ferrari-Testfahrer Esteban Gutierrez von seinen Beobachtungen geschildert hat. "Mercedes sieht in den Kurven sehr stark aus, Red Bull auch - und wir."

Ferrari war das am meisten diskutierte Team im Paddock. Fuhren Kimi Räikkönen und Sebastian Vettel nur Showrunden? Am Ende lagen die Ferrari-Piloten auf Platz eins und zwei. Bei Ferrari versicherte man stets, dass man das normale Testprogramm abspulen würde. Bestzeitenjagd stünde da nicht auf dem Programm.

Auch wenn alle Teams betonten, ein konservatives Programm abzuspulen: Dass Ferrari generell etwas aggressiver zu Werke geht, zeigte sich im vergangenen Jahr fast an jedem Rennwochenende. Am Freitag waren Fernando Alonso und Kimi Räikkönen immer vorne dabei. Auch bei den Testfahrten vor einem Jahr in Jerez setzte Räikkönen die Bestzeit, bei den letzten Testfahrten in Abu Dhabi ebenfalls. Wie stark Ferrari 2014 tatsächlich war, ist bekannt.

Trotzdem bleibt der Eindruck, dass Ferrari einen großen Schritt gemacht hat. Vettel ist positiv überrascht, hat allerdings noch keine Referenz aus dem Vorjahr. Da ist Räikkönens Feedback aufschlussreicher. Und der Finne war fast schon euphorisch. Die Vorderachse, das große Problem, das Räikkönen über die komplette letzte Saison hinweg begleitete, scheint Ferrari in den Griff bekommen zu haben. Abgesehen von Räikkönens absolut schnellster Runde - die bei einem vier-Runden-Stint auf weichen Reifen entstanden ist - sind die Ferrari-Bestzeiten auf längeren Stints entstanden. Vettel fuhr seine Bestzeit auf einem elf Runden langen Stint mit Medium-Reifen - bemerkenswert.

Sauber: Wiedererstarkt im neuen Design?, Foto: Sutton
Sauber: Wiedererstarkt im neuen Design?, Foto: Sutton

Um die Kaffeesatzleserei zu beenden: Bei den Teams lässt sich noch keine seriöse Rangordnung erstellen. Fest steht nur: Mit Mercedes ist absolut wieder zu rechnen und Ferrari hat einen deutlichen Schritt gemacht. Der Red Bull sah einmal mehr in den Kurven gut aus, wie das aber mit mehr Leistung wird, bleibt abzuwarten.

Sauber, neben Ferrari die größte Überraschung, hat sich sicherlich ebenfalls verbessert. Allerdings gibt es keinen richtigen Vergleich mit den Teams, mit denen sich Sauber messen wird müssen. Toro Rosso hatte noch zu sehr mit dem Renault-Aggregat zu kämpfen, Lotus fuhr das erste Mal mit Mercedes-Power und verpasste den ersten Testtag, Force India war gar nicht anwesend.

Mercedes Power Unit erneut Nummer eins

Interessanter ist aber die Rangordnung bei den Motorenherstellern. Die Hersteller durften 48 Prozent am Package modifizieren. Alle Hersteller sagen, es wäre quasi eine komplett neue Power Unit. Die Aussagen werden vom neuen Sound unterstrichen. Die weiterentwickelten Motoren sind etwas lauter, klingen unterschiedlicher.

Einige Mercedes-befeuerten Fahrer klagten noch über ein nicht ganz perfektes Ansprechverhalten. Bei der Power scheint Brixworth aber erneut die Nase vorne zu haben. Die sechs Mercedes-Fahrzeuge tauchen bei den Topspeeds unter den ersten sieben auf. Zwar fallen die Differenzen recht gering aus, das liegt aber auch am generell niedrigen Topspeed in Jerez.

Topspeeds in Jerez

PlatzFahrerTeamMotorkm/h
1 Rosberg Mercedes Mercedes 307,6
2 Massa Williams Mercedes 307,6
3 Maldonado Lotus Mercedes 306,8
4 Bottas Williams Mercedes 305,9
5 Grosjean Lotus Mercedes 305,0
6 Ericsson Sauber Ferrari 303,3
7 Hamilton Mercedes Mercedes 303,3
8 Vestappen Toro Rosso Renault 303,3
9 Nasr Sauber Ferrari 302,5
10 Räikkönen Ferrari Ferrari 300,8
11 Sainz Toro Rosso Renault 299,1
12 Kvyat Red Bull Renault 294,2
13 Ricciardo Red Bull Renault 292,6
14 Alonso McLaren Honda 279,0
15 Button McLaren Honda 277,6

Dahinter folgen die Ferrari-befeuerten Autos, allerdings gibt es von Sebastian Vettel keinen seriösen Wert. Dahinter sortiert sich Renault ein, abgeschlagen ist Honda. Die Renault-Motoren waren in Jerez auch mit Abstand die leisesten. Ein Hinweis dafür, dass die Franzosen noch lange nicht mit voller Leistung gefahren sind, weil deshalb das Wastegate-Ventil die ganze Zeit geschlossen ist. Renault Motorenchef Remi Taffin bestätigte diesen Eindruck gegenüber Motorsport-Magazin.com.

Nicht nur die Leistung der Aggregate ist aber interessant, auch die Laufleistungen. Hier liegt Ferrari im Schnitt knapp vor Mercedes. Ferrari-Teams fuhren im Schnitt 91 Runden pro Testtag, Mercedes-Teams 89. Die Renault-Teams Toro Rosso und Red Bull sind mit durchschnittlich 65 Runden pro Tag schon abgeschlagen. McLaren kommt mit Honda gar nur auf 20 Runden.

Somit lässt sich bei den Antrieb schon eine erste Bilanz ziehen: Mercedes ist erneut die klare Nummer eins. Leistung und Zuverlässigkeit stimmen. Bei Ferrari stimmt zumindest die Zuverlässigkeit, bei der Power scheint den Italienern zwar ein großer Schritt geglückt zu sein, für Mercedes reicht es aber noch nicht. Renault hat in beiden Belangen noch größeren Aufholbedarf, wenn die Zuverlässigkeitsprobleme gelöst sind, kann allerdings schnell auch die Power kommen - denn dort haben die Franzosen noch lange nicht alles gezeigt.

Bei Honda sieht es derweil düster aus. Die Japaner scheinen exakt dort zu stehen, wo sich Renault vor einem Jahr befand. Auf den Prüfständen funktioniert alles, im Auto nicht. Die Kommunikation zwischen den einzelnen Power-Unit-Komponenten ist so komplex, dass Honda derzeit noch auf der Stelle tritt und ein Problem nach dem anderen entdeckt. Schade, da es interessant wäre, wie sich McLaren mit dem radikalen Design schlagen würde.