Wer waren die Kilometer-Könige von Jerez?

Nackte Zahlen, klare Antwort: Mercedes. Der F1 W06 fuhr - mit wenigen Ausnahmen - wie ein Uhrwerk. Insgesamt spulten Nico Rosberg und Lewis Hamilton - trotz eines Defektes und einem Ausrutscher - 2.285 Kilometer ab. Red Bull und Toro Rosso schafften zusammen für Renault lediglich elf Kilometer mehr. Nimmt man Williams und Lotus mit Mercedes-Motor noch dazu, addieren sich weitere 2.072 Kilometer auf die ohnehin schon gute Bilanz.

Platz zwei sicherte sich Ferrari - allerdings mit kleinem Vorsprung des Kundenteams Sauber. Der Schweizer Rennstall absolvierte in Jerez 1.691 Kilometer und lag somit vor seinem Motorenlieferanten. Kimi Räikkönen und Sebastian Vettel kamen auf 1.545 Kilometer in vier Tagen. Damit holte sich Ferrari aber mit 3.236 Kilometern klar Rang zwei der Motorenhersteller. Schlusslicht wurde Honda. McLaren kam mit seinem neuen Motorenpartner nur auf 350 Kilometer und erzielte damit gerade einmal 15 Prozent der Laufleistung des Weltmeisterteams Mercedes. Das Ergebnis hätte aber deutlich schlechter ausfallen können. Im Vergleich: Bei der Neueinführung der Renault-Power-Unit 2014 gelangen Red Bull, Toro Rosso und Caterham zusammen nur 668 Kilometer in vier Tagen.

Wie lief Vettels Ferrari-Debüt?

Der erste offizielle Einsatz des Vierfach-Weltmeisters bei der Scuderia wurde mit großem Interesse verfolgt und der Deutsche lieferte: Die ersten beiden Testtage saß der Heppenheimer in seinem neuen Arbeitsgerät und ließ kräftig aufhorchen. Insgesamt legte Vettel an seinen beiden Einsatztagen 149 Runden zurück, setzte jeweils Tagesbestzeiten und versetzte die Tifosi in einen Anflug von Euphorie, um gleichzeitig mahnend den Finger zu heben: "Insgesamt waren es zwei gute Tage. Aber man darf das jetzt nicht falsch interpretieren. Wir müssen auf dem Boden bleiben. Das ist erst der erste Test. Es ist zu früh, um einschätzen zu können auf welchem Niveau wir uns mit dem Auto bewegen", sagte Vettel am Montagabend.

Vettel zeigt Ferrari den Weg an die Spitze, Foto: Ferrari
Vettel zeigt Ferrari den Weg an die Spitze, Foto: Ferrari

Zwar versteckte sich an einen oder anderer Stelle noch der Fehlerteufel, weshalb der Deutsche am Sonntag aufgrund von Telemetrieproblemen 'nur' derer 60 Runden absolviert. Letztlich sprechen die abgespulten 659 Test-Kilometer bei seinem Debüt aber eine klare Sprache: Es geht bergauf. "Wir haben viel verändert und viel gelernt. Es ist im Moment einfach wichtig, viel zu fahren, zu lernen und das Auto zu verstehen", zeigte sich Vettel mit dem Lernfortschritt im SF15-T durchaus zufrieden.

Welche Probleme gab es bei McLaren?

Das Debüt am Sonntag ging für McLaren-Honda gewaltig nach Hinten los. Fernando Alonso umrundete zum Testauftakt den Kurs in Jerez lediglich sechs Mal. Grund für die misslungene Premiere war ein völlig neuartiges Elektronik-Problem. "Wir haben ein neues Problem gefunden - komplett neu", sagte Honda-Motorenchef Arai-san.

Schienen die Probleme von Sonntag behoben, unterbrach ein neuerlicher Defekt den Arbeitstag von Jenson Button. Nach einer langen Suche wurde ein fehlerhaftes Nebenaggregat des Motors als Ursache ausgemacht. Wie schon am Sonntag absolvierte der MP4-30 nur sechs Runden. Nach gelungener Installationsrunde und behobenen Problemen herrschte am Abend erneut Optimismus. "Wir wissen jetzt, was das Problem war und das ist gut. Nun hoffen wir, dass die Tage drei und vier produktiver werden", sagte Button.

Bei McLaren lief noch nicht alles reibungslos, Foto: Sutton
Bei McLaren lief noch nicht alles reibungslos, Foto: Sutton

Der vorletzte Testtag begann für die Truppe aus Woking hingegen vielversprechend: Bis zur Mittagsstunde absolvierte Fernando Alonso 32 Runden. Allerdings zwang ein Verlust des Kühlwasserdrucks die Crew zum Ausbau der Power-Unit, was das Ende des Arbeitstages bedeutete. Der Mittwoch begann erneut mit kleinen Problemen am Öl-Level im Motor, ehe die Formkurve nach 35 Runden mit konstanten Runs sowie annehmbaren Zeiten leicht nach oben zeigte. Eine defekte Benzinpumpe beendete dann jedoch die vier Testtage vorzeitig.

Warum freute sich Rosberg über den Mercedes-Defekt an Tag 3?

Kein Fahrer ist erfreut, wenn er mitten auf der Strecke plötzlich merkwürdige Geräusche hört und schließlich ohne Power ausrollt. Genau das ist am dritten Tag der Testfahrten Nico Rosberg passiert. Vom Frust, Ärger oder Sorge aber absolut keine Spur - im Gegenteil. Für Mercedes gab es in Jerez nur ein einziges Ziel: Runde an Runde reihen, jedes einzelne Bauteil auf Herz und Nieren prüfen und genau herausfinden, wann die einzelnen Komponenten ihre Lebensdauer überschritten haben.

Auch ein Mercedes-Motor hält nicht ewig, Foto: Sutton
Auch ein Mercedes-Motor hält nicht ewig, Foto: Sutton

Als der Motor ausging, hatte Rosberg bereits 250 Runden und Lewis Hamilton weitere 91 Runden - also insgesamt 1510 Kilometer - auf das Auto gefahren. Damit wäre die vom Reglement geforderte Lebensdauer erfüllt. "Irgendwann kommt der Punkt, an dem es auseinanderfällt", erklärte Rosberg. "Dinge gehen eben kaputt, wenn Verschleiß auftritt. Bis dahin müssen wir es treiben. Wir müssen sehen, wann und an welchen Stellen des Autos es beginnt." Ziel hinter dieser Untersuchung ist natürlich, dass der Mercedes während eines Rennens niemals plötzlich merkwürdige Geräusche macht und ohne Power ausrollt.

Warum fuhr Kvyat einen ganzen Tag ohne Frontflügel?

Daniil Kvyat feierte am Montag sein Debüt im Cockpit des Red Bull RB11, allerdings lief der Tag keineswegs so, wie sich der junge Russe das vorgestellt hatte. Kvyat kam auf seiner Installationsrunde von der kalten Strecke ab, touchierte die Mauern und beschädigte dabei seinen Frontflügel. Weil Red Bull kein Ersatzteil parat hatte, musste der 20-Jährige den gesamten Tag ohne Frontpartie bestreiten. Kvyat drehte insgesamt 18 ungezeitete Runden, die das Team für Systemchecks nutzte.

Ungewohntes Bild: Kvyat ohne Frontflügel, Foto: Sutton
Ungewohntes Bild: Kvyat ohne Frontflügel, Foto: Sutton

"Das war einer meiner kleinsten Zwischenfälle, aber einer der teuersten. Mir sind schon größere Fehler unterlaufen", nahm der Russe das Missgeschick auf seine Kappe. Glück im Unglück: Weil es am Nachmittag regnete, konnten auch die anderen Teams nicht den gesamten Tag nutzen. Red-Bull-Teamchef Horner nahm das Malheur sogar mit Humor: "Wir haben so viel Abtrieb, wir brauchen keinen Frontflügel", meinte der Brite. Über Nacht traf ein neuer Flügel aus der Fabrik in Milton Keynes ein, sodass Daniel Ricciardos Programm am Dienstag vom Missgeschick seines Teamkollegen nicht beeinträchtigt wurde.

Warum fuhr Red Bull im Zebra-Look?

Als Red Bull wenige Minuten vor dem Beginn der Testfahrten den RB11 präsentierte, war das Staunen groß. Anders als in den vergangenen Jahren ist der Wagen nicht in den markenüblichen Blautönen gehalten, sondern verfügt über eine schwarz-weiße Lackierung, die an ein Zebra erinnert. "Die Lackierung unterstreicht Red Bull, denn wir sind bekannt dafür, dass wir uns nicht davor schrecken, Neues auszuprobieren", erklärte Teamchef Christian Horner.

Der wahre Grund für den Tarn-Look ist allerdings nicht ästhetischer Natur, vielmehr soll es den Fotographen erschwert werden, Details des neuen Autos abzulichten. "Das ist zu einem Zeitpunkt der Saison, wo jeder versucht seine Geheimnisse zu bewahren, natürlich von Vorteil", so Horner. Wie die tatsächliche Lackierung des RB11 beim Saisonstart in Australien aussehen wird, wollte der Teamchef nicht verraten, kündigte aber verschmitzt an: "Die Lackierung wird noch stärker ausfallen. Mal sehen, ob es eine Revolution oder Evolution der aktuellen Lackierung sein wird."

Warum hat Lotus den ersten Testtag verpasst?

Lotus startete mit einem Tag Verspätung in die Testfahrten. Während die anderen Teams am Sonntag bereits ihre Runden drehten, war der E23 noch per Flugzeug nach Spanien unterwegs. Am Samstag hatte das Team den neuen Wagen in der Fabrik in Enstone zum ersten Mal angelassen, wegen des straffen Zeitplans war es Lotus aber nicht möglich gewesen, rechtzeitig in Jerez zu erscheinen. "Wir sind mit dem E23 einem sehr engen und aggressiven Aufbauprogramm nachgegangen", erklärte Technikdirektor Nick Chester. Die Streckenpremiere feierte der neue Bolide, in dessen Heck ein Mercedes-Turbo steckt, am Montag mit Pastor Maldonado am Steuer.

Lotus stieg verspätet ins Testgeschehen ein, Foto: Sutton
Lotus stieg verspätet ins Testgeschehen ein, Foto: Sutton

Wie haben sich die Rookies geschlagen?

Drei Newcomer waren in Jerez am Start. Felipe Nasr für Sauber sowie das Youngster-Duo Max Verstappen und Carlos Sainz Jr. bei Toro Rosso.

Felipe Nasr pilotierte den C34 am Montag und am Dienstag. Den ersten Tag brachte der Brasilianer ohne Zwischenfälle über die Bühne. Nasr drehte 88 Runden, sammelte erste Erfahrungen unter nassen Bedingungen und lernte die verschiedenen Reifenmischungen und Power Unit Einstellungen kennen. Im Tagesklassement reichte es zur zweitschnellsten Zeit. Am Tag darauf legte Nasr nach und schnappte sich nach einem Marathon-Programm von 109 Runden gar die Tagesbestzeit. Allerdings gab es diesmal einen Zwischenfall als Nasr am Morgen den Sauber wegwarf und für eine rote Flagge sorgte. Unter dem Strich aber ein mehr als gelungenes Debüt.

Verstappen präsentierte sich stark, Foto: Sutton
Verstappen präsentierte sich stark, Foto: Sutton

Bei Toro Rosso wechselten sich Carlos Sainz Jr. und Max Verstappen mit der Testarbeit am STR10 ab. Sainz startete den Test am Sonntag eher mäßig. Nach durchschnittlichen 46 Runden reichte es nur zum vorletzten Rang im Zeitenklassement. Zudem sorgte der Spanier am Ende des Tages für eine rote Flagge. Nach einem Tag Pause lief es am Dienstag besser. Diesmal spulte Sainz 137 Runden ab, die schnellste reichte zum sechsten Platz. Sainz lobte sich selbst für seine Fitness.

Verstappen übernahm am Montag und Mittwoch das Steuer. Tag eins startete mit Bremsproblemen und endete mit einem Test der Intermediates auf nasser Strecke. Zwischendurch bestritt der 17-Jährige etliche Long Runs und feilte an der Balance des STR10. 73 Runden drehte der Niederländer, die beste reichte zum fünften Platz. Der abschließende Testtag lief nochmals besser. Verstappen mischte in der Spitzengruppe mit und brannte auf abtrocknender Strecke zwischenzeitlich eine Bestzeit nach der anderen in den Asphalt. Am Ende brachte er es auf 97 Runden und Rang vier.

Wie haben sich die Zeiten gegenüber dem Jerez-Test im Vorjahr entwickelt?

Eins vorneweg: Die Aussagekraft der Rundenzeiten bei Testfahrten ist mit großer Vorsicht zu genießen. Weder besteht Klarheit über die Spritmengen, noch das genaue Testprogramm der Teams. Weil Jerez der erste Test des Jahres war, kommt noch hinzu, dass die Teams vor allen an der Zuverlässigkeit arbeiten und hinsichtlich der Performance bis Melbourne noch zahlreiche Updates bringen werden, sodass Aussagen zum Kräfteverhältnis unseriös wären. Im Vorjahresvergleich sind zudem die unterschiedlichen Strecken- und Wetterbedingungen zu beachten.

Räikkönen fuhr absolute Bestzeit, Foto: Ferrari
Räikkönen fuhr absolute Bestzeit, Foto: Ferrari

Dennoch: Die nackten Zahlen zeigen, dass die 2015er Boliden offensichtlich signifikant schneller geworden sind als ihre Vorgänger-Generation. Kevin Magnussen setzte 2014 im McLaren die Jerez-Bestzeit von 1:23.276. 2015 schaffte Kimi Räikkönen im Ferrari schon eine 1:20.841. Auch die schlechteste der vier Tagesbestzeiten war in diesem Jahr schneller: 1:22.620 (Vettel/2015) gegenüber 1:28.229 (Massa/2014) - allerdings bei regnerischen Bedingungen.

Sind die neuen Motoren lauter?

In diesem Punkt gehen die Meinungen auseinander. Der ein oder andere Betrachter will eine etwas verbesserte Geräuschkulisse vernommen haben, das entspricht aber wohl nicht der Realität. Mercedes Motorenchef Andy Cowell begründete dieses Phänomen mit der langen Geräusch-Abstinenz über den Winter. Ebenfalls könne es sein, dass der Schall durch die umliegenden Berge in Jerez verstärkt wird, während er sich noch bei den Testfahrten in Abu Dhabi in der Wüste verlief.

Auffallend ist hingegen, dass die Renault-Power-Unit sogar leiser als im Vorjahr wirkt. Laut Renault Motorenchef Remi Taffin ein Trugschluss. Durch effizientere Motoren seien alle Boliden lauter geworden. Variable Ansaugtrichter, weiterentwickelte Verbrennungsmotoren, Schmier- und Kraftstoffe und weniger Abgasgegendruck sorgen für höhere Drehzahlen. Mit bis zu 1000 Umdrehungen pro Minute könnte auch der Sound der Boliden in dieser Saison besser werden. Von diesem Effekt war in Jerez aber wenig zu hören. Grund ist, dass die meisten Teams zunächst auf Kilometer schielten und die Performance hintenanstellten. Demensprechend wurden weniger aggressive Motoreneinstellungen gefahren. Also können wir wohl frühestens in Barcelona hören, ob die Formel 1 in Sachen Sound einen Fortschritt erzielt hat.

Warum flogen in Jerez die Funken?

In Jerez fühlten wir uns in die 90er Jahre zurückversetzt: Der lange Jahre vermisste Funkenflug hinter den Autos kehrte zurück. Besonders beim Anbremsen, auf Bodenwellen und am frühen Morgen, wenn kalte Bedingungen herrschten, sprühten die Boliden Funken aus dem Heck. Ursache dafür sind die ab dieser Saison verpflichtend aus Titan gefertigten Skid Blocks. Skid Blocks sind Schleifblöcke, die dazu dienen, ein Abschmiergeln des Unterbodens zu verhindern. Titan ist rund dreimal leichter und damit sicherer als die bisher verwendeten Materialien. Allerdings verschleißt es schnell, sodass die Funken fliegen.

Funkenflug in Jerez, Foto: Sutton
Funkenflug in Jerez, Foto: Sutton

Warum waren Force India, Marussia und Caterham nicht am Start?

Die ersten Testfahrten der Saison gingen mit nur acht Teams in Szene, denn Force India, Marussia und Caterham glänzten durch Abwesenheit. Force India wollte in Jerez eigentlich mit dem Vorjahreswagen, dem VJM07, antreten, da sich die Fertigstellung des VJM08, von dem bislang nur die Lackierung bekannt ist, verzögert. Dieser Plan wurde dann jedoch gänzlich verworfen und das Team sparte sich die Reise nach Spanien.

Hülkenberg und Perez müssen sich gedulden, Foto: Force India
Hülkenberg und Perez müssen sich gedulden, Foto: Force India

Nun sieht der Plan vor, den ersten Barcelona-Test mit dem alten Auto zu bestreiten und erst eine Woche darauf, bei den finalen Testfahrten vor Saisonbeginn, das Streckendebüt mit dem VJM08 zu feiern. Als Grund für die Verzögerungen gelten Probleme mit Zulieferern, finanzielle Schwierigkeiten dementierte der Rennstall hingegen. Einem Start beim Saisonauftakt in Melbourne soll nichts im Wege stehen.

Marussia und Caterham kämpfen nach der Pleite im Herbst derweil um das finanzielle Überleben. Besser sieht es momentan offenbar bei Marussia aus, denn wie die Insolvenzverwalter mitteilten, wurde eine Vereinbarung mit einem Investor getroffen, der einen Start in Melbourne - vermutlich unter dem Namen Manor GP - ermöglichen soll. Auch Caterham befindet sich seit geraumer Zeit in Verhandlungen mit potenziellen Käufern, ein Abschluss ist aber nicht in Sicht. Beide Teams würden 2015 vorbehaltlich der Zustimmung der Strategy Group mit den Vorjahresautos antreten.