Rückblende. Nürburgring, 2011. Franz Tost steht Motorsport-Magazin.com Rede und Antwort. Im Verlauf des Gesprächs kommen wir auch auf Daniel Ricciardo (damals bei HRT) und Jean-Eric Vergne (noch in der Renault World Series) zu sprechen. Der Toro-Rosso-Teamchef sagt: "Ich freue mich schon darauf, irgendwann mit beiden zusammen zu arbeiten."

Drei Jahre später sitzen wir wieder gemeinsam hier. Mittlerweile haben sie mit beiden Fahrern zusammengearbeitet. Hat sich die Vorfreude von damals gelohnt?
Franz Tost: Absolut. Beide waren schon damals in ihren jeweiligen Teams und Rennserien sehr erfolgreich. Bereits zu diesem Zeitpunkt ihrer Karrieren hat es mir viel Spaß gemacht, mit ihnen zusammenzuarbeiten. Die Kooperation hat sich im Laufe der Jahre als sehr erfolgreich herausgestellt. Beide hatten eine sehr gute Lernkurve und haben sich enorm weiterentwickelt - sowohl vom Fahrerischen als auch mit Blick auf die Persönlichkeit. Ich schätze beide Fahrer sehr hoch ein.

Aus diesem Grund hat es Sie wahrscheinlich auch nicht überrascht, dass Daniel bei Red Bull auf Anhieb so gut zurechtgekommen ist...
Franz Tost: Nein, das habe ich erwartet. Ebenso Red Bull. Deshalb haben sie ihn ins Team geholt. Daniel kam mit Sicherheit das neue Reglement entgegen. Er ist ein Fahrer, der sehr viel technisches Verständnis aufbringt, ins Detail geht und ein sehr gutes Gefühl für die einzelnen Abläufe im Fahrzeug entwickelt hat. Beim technischen Feedback ist er sicherlich einer der besten Fahrer, mit denen ich je zusammengearbeitet habe. Zu Saisonbeginn hatte er aber auch das Glück, dass er mehr fahren konnte als Sebastian Vettel. Das war sicherlich ein wesentlicher Schlüssel zum Erfolg.

Sie haben die Persönlichkeit angesprochen. Daniel ist stets am Lächeln, hat immer einen witzigen Spruch auf den Lippen. Wie wichtig ist das?
Franz Tost: Daniel und Jean-Eric sind vom Charakter her zwei Fahrer, mit denen man sehr gut zusammenarbeiten kann. Sie besitzen eine gerade Linie, arbeiten zielgerichtet. Ich wüsste keinen Vorfall, wo wir Schwierigkeiten gehabt hätten. Beide sind sehr pflegeleicht.

Für einen Rennfahrer ist es natürlich wichtig, schnell Auto zu fahren und sich mit der Technik auszukennen. Aber es scheint genauso wichtig zu sein, den Spaß nicht zu verlieren, oder?
Franz Tost: Der Spaßfaktor ist sicherlich wichtig. Wenn jemand keinen Spaß bei der Arbeit hat, ist er auch nicht erfolgreich. Sehr positiv ist, dass es nie irgendwelche Streitigkeiten gegeben hat - selbst wenn die Technik mal streikte. Wir haben stets sachlich und ruhig diskutiert, um so das bestmögliche Resultat zu erzielen.

Kvyat steigt von Toro Rosso zu Red Bull auf, Foto: Sutton
Kvyat steigt von Toro Rosso zu Red Bull auf, Foto: Sutton

Junge Fahrer lernen natürlich am meisten, wenn sie im Auto sitzen und fahren. Toro Rosso ist dafür ein gutes Beispiel. Sie lassen Ihre Piloten auch im Regen auf die Strecke, wenn andere an der Box Däumchen drehen...
Franz Tost: Ein Fahrer kann nur etwas lernen, wenn er mit dem Auto unterwegs ist. Ein Crash gehört dazu. Das ist Teil des Spiels. Wenn ein Fahrer nie abseits der Strecke ist, fährt er auch nicht am Limit. Wie soll ein junger Fahrer das Limit herausfinden, wenn du ihm verbietest, dass er abfliegt? Wenn er abfliegt, fliegt er eben ab. Dann kommt das Auto an die Box, wird zerlegt und neu aufgebaut. Ich sehe da keine Probleme. Deswegen habe ich auch noch nie einem Fahrer einen Vorwurf gemacht. Wenn er schnell ist, darf er auch abfliegen.

In Silverstone hat Daniil Kvyat einige starke Reaktionen auf nasser Strecke gezeigt. So können junge Fahrer sich auch beweisen.
Franz Tost: Er hat das Auto in Silverstone zweimal aus sehr brenzligen Situationen sensationell gut abgefangen. Andere sind mit einem ähnlich querstehenden Auto ordentlich abgeflogen. Das spricht für sein Talent und seine Klasse. Damit hat er bei vielen Leuten Eindruck gemacht.

Sie haben viel mit jungen Fahrern zu tun. Was kann man ihnen noch beibringen, sobald sie in der Formel 1 angekommen sind?
Franz Tost: Die Arbeit mit einem jungen Fahrer ist natürlich wesentlich intensiver, als wenn ein Pilot schon längere Zeit in der Formel 1 gewesen ist. Es beginnt bei Gesprächen über seine Tagesplanung, das Training, die Ernährung, der Umgang mit Jetlag bei Überseerennen. Kurzum: Man muss die Fahrer auf alle Eventualitäten vorbereiten. Wenn ein neuer Fahrer ins Team kommt, treffe ich mich öfter mit ihm. Dann gehen wir zusammen essen und unterhalten uns über verschiedene Themen. Im Zuge dieser Gespräche gebe ich Erfahrungswerte weiter und hoffe, dass der Fahrer diese optimal umsetzen kann.

Was gehört zu diesen Erfahrungswerten?
Franz Tost: Die Grundvoraussetzung ist, dass der Fahrer Talent mitbringt. Der zweite wichtige Punkt ist, dass er 24 Stunden am Tag und 365 Tage im Jahr an die Formel 1 denkt. Es darf nichts anderes geben. Er muss eine hundertprozentige Leidenschaft dafür mitbringen. Der dritte Punkt ist die Disziplin. Es ist ganz wichtig, den Fahrern diese Disziplin einzuimpfen. Damit meine ich nicht, dass er pünktlich zu einem Meeting erscheint.

Das ist sowieso eine Grundvoraussetzung. Vielmehr geht es darum, im Qualifying das Auto nicht zu überfahren, die Kerbs im richtigen Winkel anzufahren oder den Grenzbereich nicht zu überschreiten, weil er dann langsamer wird. Vieles kann man aber hundertmal sagen. Letztlich muss es der Fahrer selbst erleben. Du kannst noch so oft sagen, dass er nicht zu spät bremsen darf. Irgendwann stehen die Räder dann doch im Qualifying, weil er zu spät gebremst hat. Aber diese Selbsterfahrung gehört zum Lernprozess dazu. Sonst glaubt es der Fahrer nicht.

Es betrifft aber auch die Trainings-Disziplin. Man muss den Fahrern klar machen, dass das körperliche und das mentale Training der Schlüssel zum Erfolg sind. Ich glaube, dass wird von der Außenwelt gerne unterschätzt. Wenn ein Fahrer in der Vorbereitungsperiode zwischen Dezember und Februar nicht täglich vier bis sechs Stunden trainiert, wird er die Saison nicht durchstehen.

Ich sage meinen Fahrern immer: Ihr zehrt die ganze Saison von der Substanz, die ihr euch in den Wintermonaten aufbaut. Wenn ihr euch da nicht hundertprozentig reinhängt, wenn ihr euch da im Training nicht extrem verausgabt, werdet ihr die Saison nicht gut überstehen. Während der Saison gibt es so viele Überseerennen, die den Fahrer aus dem Gleichgewicht werfen können. Um den Körper und den Geist darauf vorzubereiten, musst du im Winter intensiv arbeiten. Nur dann kannst du in einer so guten Verfassung sein, dass du nicht krank wirst, den ganzen Stress bewältigst und erfolgreich Rennen fahren kannst.

Wichtig ist, dass du am Sonntag um 14:00 Uhr nicht müde bist. Auch das gehört zur Disziplin. Ebenso die Ernährung. Dafür gibt es keinen allgemeingültigen Plan. Man kann ihnen nicht sagen, du musst das essen und du das. Das ist individuell verschieden. Aber die Fahrer müssen sich so ernähren, dass sie von der aufgebauten Substanz das Jahr über zehren können. Es ist auch ein Gewichtsthema. Jedes Kilo zu viel bedeutet einen Performance-Verlust. Dabei ist es entscheidend, das richtige Gleichgewicht zu finden. Du darfst nicht zu untergewichtig sein, denn dann verlierst du Substanz und stehst das Rennen nicht durch. Gleichzeitig darfst du aber auch nicht zu viel Gewicht haben. Dabei hilft die richtige Disziplin.

Schnelles Umdenken gefragt

Diese Disziplin scheint der Formel 1 manchmal etwas zu fehlen. Mal sind Testfahrten erlaubt, mal nicht. Mal wird FRIC während der Saison verboten, mal der F-Duct zum Beginn des nächsten Jahres gestrichen. Monisha Kaltenborn sagt, dass dieses Hin und Her dem Ansehen der Formel 1 schadet. Sehen Sie das genauso?
Franz Tost: Die Formel 1 wird nie eine hundertprozentige, für alle akzeptable Stabilität haben. Sehen wir uns doch mal das FRIC-System an. Als es vor drei, vier Jahren eingeführt wurde, war es bereits im Grenzbereich der Legalität. Aber die Teams entwickeln ja weiter. In der Zwischenzeit haben sie ein Niveau erreicht, das genau betrachtet nicht mehr dem Reglement entsprochen hat - und da schließe ich Toro Rosso mit ein. Deshalb hat die FIA gesagt: Was ihr vor drei Jahren gemacht habt, war noch in Ordnung, aber was ihr jetzt macht, ist nicht mehr im Geiste des Reglements. Deswegen wurde es verboten. Das ist eine ganz normale Entwicklung. In der Formel 1 sehe ich das als völlig normal an: Die Teams suchen durch sehr intensive und gute Arbeit der Techniker das Limit, überschreiten es und werden dann von der Sporthoheit zurückgepfiffen.

Ein weiteres Beispiel sind die Testfahrten. Vor 10, 15 Jahren haben wir nach jedem Rennen für drei Tage mit zwei Autos getestet. Damals sind wir im Laufe eines Jahres über 50.000 Kilometer allein bei Tests gefahren. Das Geld dafür war da, also sind alle gefahren. Dann kam 2009 die Wirtschaftskrise. Jetzt musste sich die Formel 1 etwas einfallen lassen, weil sie zu viel Geld verbrauchte. Als Folge wurden die Testfahrten verboten. Das war eine ganz normale Reaktion auf äußere Einflüsse. Wenn weniger Geld vorhanden ist, muss man darauf reagieren. Sonst wären alle Teams bald tot gewesen. Danach beschwerte sich Ferrari darüber, dass es keine Testfahrten mehr gegeben hat. Aus diesem Grund wurden wieder begrenzte Testfahrten eingeführt. Für das kommende Jahr werden diese nun erneut etwas eingeschränkt.

Das ist der übliche Zyklus innerhalb der Formel 1. Es gibt Änderungen, die einmal abgeschwächt und dann wieder verstärkt werden. Die Formel 1 ist nicht nur bei der Technik die Spitze des Motorsports, sondern auch beim Management und Marketing. Du musst schnell umdenken und dich schnell auf neue Gegebenheiten einstellen. Wer das nicht kann, bleibt zurück. Ich sehe das als Herausforderung. Mir macht das Spaß. Es gibt einige Teams, die alles so behalten möchten, wie es früher gewesen ist. Aber das geht nicht. So etwas gibt es in keinem Sport. In anderen Sportarten sind es eben Trainingsmethoden, die sich verändern. Selbst im Fußball spielt keine Mannschaft seit Jahrzehnten immer das gleiche System. Mal ist ein 4-4-2 in Mode, dann ein 4-3-3. Auf diese Flexibilität muss man reagieren. Ich sehe das alles rein positiv.

Sie sehen es also nicht als negatives Hin und Her, sondern als notwendige Anpassung an die Gegebenheiten...
Franz Tost: Absolut, es ergibt sich daraus, dass die Formel 1 sich immer weiter entwickelt. Wir haben Gott sei Dank viele kluge Köpfe, die sich immer wieder etwas Neues einfallen lassen. Dabei gehen sie an die Grenzen und vielleicht auch ein bisschen darüber hinaus. Dann werden sie eben wieder ein bisschen zurückgepfiffen. Im Grunde ist das die ganz normale Weiterentwicklung, die ich absolut akzeptiere. Mir gefällt so eine neue Herausforderung. Denn dann muss man sich etwas einfallen lassen, wie man sich wieder verbessern kann. Das ist ein wichtiger Punkt, den ich auch stets meinen Fahrern klarmache: Sie müssen innovativ sein.

Nur so können sie herausfinden, wie sie ihren Gegner schlagen können. Wer sich keine Gedanken macht, wer nicht stundenlang die Daten oder die Onboard-Aufnahmen studiert, wird das nicht schaffen. Denn die anderen machen es. Wenn mehrere Fahrer das gleiche Level an Talent haben, wird immer derjenige erfolgreich sein, der mehr arbeitet. So wie überall im Leben. Formel 1 zu fahren bedeutet nicht nur, sich ins Auto zu setzen und ein bisschen Gas zu geben. Formel 1 zu fahren bedeutet viel, viel mehr. Deshalb muss der Fahrer Tag und Nacht an die Formel 1 denken, sonst ist er nicht erfolgreich. Einige Fahrer machen das und wer besser sein will als sie, muss sich noch mehr anstrengen.

Jean-Eric hat erzählt, dass da bei ihm und dem Team ein gewisses Umdenken stattgefunden hat. Es reicht nicht mehr, nur ins Q3 gekommen zu sein. Stattdessen möchte man hinterher auch ein nachhaltiges Ergebnis in Händen halten...
Franz Tost: Die Nachhaltigkeit ist so ein neues Modewort. Letztlich zählt einzig und allein das Resultat. Das Schöne an der Formel 1 ist: man sieht alle zwei Wochen, ob man gut oder schlecht gearbeitet hat. Wir haben bei einigen Rennen gut gearbeitet. Aber leider gab es zu viele Rennen, bei denen wir schlecht gearbeitet haben. Manchmal kamen wir noch nicht einmal mit beiden Autos ins Ziel. Hier gibt es also ein gewaltiges Verbesserungspotential. Auf diesen Gebieten haben wir hoffentlich den richtigen Weg eingeschlagen, um die Haltbarkeit zu verbessern und die Performance zu steigern.

Tost im Gespräch mit Motorsport-Magazin.com, Foto: Sutton
Tost im Gespräch mit Motorsport-Magazin.com, Foto: Sutton

Toro Rosso gehört eher zu den kleineren Teams. Bei Top-Teams wie Red Bull werden noch am Rennwochenende neue Teile in unzähligen Kisten angeliefert. Wie kann Ihr Team mit diesem Entwicklungstempo mithalten?
Franz Tost: Das ist richtig. Toro Rosso ist ein kleines Team. Wir sind im Mittelfeld platziert. Natürlich entwickeln auch wir weiter, aber wir besitzen bei weitem nicht das Entwicklungstempo der Top-Teams. Wir haben aber auch bei weitem nicht deren Budget. Toro Rosso ist auf einem recht guten Weg nach vorne. Unser Ziel ist es, die Infrastruktur aufzubauen und zu festigen. Man darf nicht vergessen: Toro Rosso besteht als reiner Constructor erst seit 2009/2010. Somit befinden wir uns erst in der vierten Saison, in der wir unser eigenes Auto komplett designen. Das nimmt Zeit in Anspruch.

In unserem Werk in Faenza ist nun die erste Baustufe mit der Kunststoffabteilung abgeschlossen. Vor zwei Monaten haben wir mit dem zweiten Bauabschnitt begonnen, der im nächsten Jahr um diese Zeit fertig gestellt werden soll. Der zweite Teil der Infrastruktur ist die Mannschaft an sich. Wir haben mittlerweile 350 Mitarbeiter. Als ich zu Toro Rosso gekommen bin, waren es nur 85. Jetzt gilt es, die einzelnen Abteilungen richtig zu ordnen und die richtigen Verstärkungen zu finden. Auf diesem Gebiet werden in den kommenden Monaten einige neue Ingenieure zu uns stoßen. Auch hier sehe ich uns auf dem richtigen Weg. Deshalb erwarte ich in der zweiten Saisonhälfte eine Steigerung. Eine weitere Verbesserung sollte es dann 2015 geben. Ab 2016 müssten wir unter den besten fünf Teams sein. Das ist unsere Zielsetzung.

Das klingt auf jeden Fall gut.
Franz Tost: Es klingt gut. Aber zwischen gut klingen und dies auch umzusetzen ist immer noch ein Unterschied. Daran müssen wir in den kommenden beiden Jahren hart arbeiten.

Dieses Interview stammt aus der Printausgabe des Motorsport-Magazins. Rund um Weihnachten veröffentlichen wir die besten, unterhaltsamsten und spannendsten Geschichten aus unserem Heft. Auf den Geschmack gekommen? Probiere das Motorsport-Magazin als Hochglanzmagazin aus! Unter folgendem Link kannst du unser Heft für 3 Ausgaben zum Sonderpreis bestellen:

Unser Magazin gibt es natürlich auch für die Mitglieder der digitalen Welt von heute. Lies es als ePaper auf deinem Computer oder hole es dir ganz modern auf dein Smartphone oder Tablet - via Apple App Store für iPhone und iPad, über den google PlayStore für dein Android-Gerät oder für kindle fire. Klicke einfach auf den nachstehenden Link oder suche nach der App mit dem Namen "Motorsport-Magazin HD".