Pro: Neuer Schwung bringt Erfolg

Es bedarf etwas Mut, um an einen Ferrari Aufschwung in der Saison 2015 zu glauben. Selbst den kühnsten Optimisten wird es wohl schwerfallen auf einen Vettel-Premierensieg oder auf eine Wiederauferstehung des Icemans Kimi Räikkönen zu setzen. Ein Auftaktsieg in Melbourne, ja selbst ein Sieg im ersten Drittel der Saison dürfte an Utopie grenzen. Allein schon ob der Stärke von Mercedes.

Schlimmer gehts nimmer: Dennoch gibt es keinen Grund für Schwarzmalerei. Die Talsohle wurde im Jahr 2014 durchschritten: Schlimmer kann es praktisch nicht mehr werden. Deshalb tun die vorgenommenen Umstrukturierungen dem altehrwürdigen Rennstall mehr als gut.

Neues Traumduo in Rot, Foto: Ferrari/Fotomontage
Neues Traumduo in Rot, Foto: Ferrari/Fotomontage

Vielleicht gilt auch bei Ferrari der Grundsatz 'Was lange währt wird endlich gut'. Die Italiener brauchten den absoluten Neustart nach dem halbgaren Personalwechsel Mitte des Jahres. Fahrer, Teamchef, Ingenieure - bei Ferrari blieb letztlich kein Stein auf dem anderen. Dank Fiat-Chrysler-Chef Sergio Marchionne, dem nach der ersten sieglosen Saison seit Jahrzehnten der Geduldsfaden endgültig riss.

Neues Personal: Neo-Teamchef Maurizio Arrivabene ist zwar ein Unbekannter, dafür sind seine beiden Fahrer absolute Big-Player der Branche. Sebastian Vettel gilt, genau wie sein Vorgänger Fernando Alonso, als akribischer Arbeiter mit Gier nach Erfolgen. Vettel wird neuen Schwung in die heiligen Hallen von Ferrari bringen.

Die neue Traumfabrik wird helfen, Foto: Ferrari
Die neue Traumfabrik wird helfen, Foto: Ferrari

Logistische Veränderungen: Apropos heilige Hallen. Zum ersten Mal seit Jahren wird die rote Göttin in Gänze unter einem Dach konstruiert. Der neue Windkanal in der ebenfalls neu errichteten Zentrale erlaubt es Ferrari den Toyota-Räumlichkeiten in Köln den Rücken zu kehren. Außerdem ist Chefdesigner James Allison erstmals für das 2015er Auto eigenverantwortlich zuständig. Der Brite machte Räikkönen schon bei Lotus zum Siegfahrer – ein gutes Omen!

Die neue Mixtur aus personellen und logistischen Veränderungen, Trotzreaktion und Aufbruchsstimmung wird Ferrari zu altem Glanz verhelfen. Nicht unbedingt in Melbourne, vielleicht auch nicht im ersten Saisondrittel, aber definitiv 2015. Denn: Was lange währt wird endlich gut.

Contra: Von heute auf morgen geht immer schief

Kommt der Ferrari-Aufschwung? Vielleicht, aber ganz sicher nicht 2015. Gleich eine ganze Reihe von Gründen sprechen klar gegen eine Rehabilitierung schon in der kommenden Saison.

Brecheisen funktionieren nicht: Ferrari hat sich von vorne bis hinten neue aufgestellt. Aber: Zunächst muss ein von Grund auf umgebautes Team erstmal zusammenfinden. Abläufe, Verantwortlichkeiten und wer wann was an wen zu berichten hat, müssen klar strukturiert werden. Das kostete schon vor der Erfolgsära Todt/Brawn/Schumacher Anfang des Jahrtausends gleich vier Jahre Anlaufzeit. Auch in der jüngeren Geschichte finden sich Analogien: So brauchten Mercedes und Red Bull vor ihren großen Erfolgen nahezu identische Vorbereitungsperioden.

Bis eine neue Organisation eingespielt ist, dauert es eben seine Zeit. Das bestätigt auch Johnny Herbert: "Es gibt keine sofortige Lösung. Mercedes ist nicht in die Formel 1 eingestiegen und hat zack alle geschlagen. Es hat auch vier Jahre gedauert." Auch Sebastian Vettel geht nicht blauäugig in die neue Saison: "Wir müssen uns da nichts vormachen, dass wir im nächsten Jahr gegen Mercedes ankommen werden. Mir ist bewusst, dass uns bei Ferrari eine große Aufgabe bevorsteht, die auch Zeit braucht", sagt Vettel.

Rückstand zu groß: Der Rückstand auf Williams und Red Bull, von Mercedes ganz zu schweigen, war 2014 einfach zu groß, als dass die Scuderia die Lücke in der kurzen Winterpause vollends schließen könnte. Zumal die Konkurrenz selbst nicht still steht, sondern ebenfalls fleißig weiterentwickelt. Und dann ist da auch noch McLaren-Honda, die Ferrari sogar den Status als vierte Kraft abspenstig machen könnten.

Genau da sitzt das Hauptproblem, Foto: Sutton
Genau da sitzt das Hauptproblem, Foto: Sutton

Auto von Problemen gespickt: Der F14T war wahrlich kein Zauberauto. Im Gegenteil: Der Bolide schwächelte in allen Bereichen - ob Motor, Aerodynamik oder mechanischer Grip."Sie brauchen ein besseres Auto. Sie haben die besten Fahrer, aber das Auto ist seit einigen Jahren ihr Problem", sagt Mika Salo. Auch Kimi Räikkönen erklärte immer wieder, seine Probleme mit dem F14T setzten sich aus mehreren Komponenten zusammen. Eigentlich müsste es 2015 besser werden. Immerhin konstruiert Ferrari seinen neuen Boliden erstmals vollständig unter einem Dach, im eigenen Windtunnel und unter Regie von James Allison. "Der hat schon einen super Lotus konstruiert, warum soll er nicht auch einen super Ferrari konstruieren?", fragt Motorsport-Magazin.com-Experte Christian Danner.

Fehlende Hybrid-Expertise:Doch das viel größere Problem steckt unter dem Chassis: Die Power Unit. Durch das starre Reglement, das Änderungen am Motor auf einen bestimmten Anteil der Komponenten beschränkt, sind hier keine eklatanten Fortschritte zu erwarten. "Eine Baustelle, die man nicht von heute auf morgen beheben kann", bestätigt Danner. Zumal nicht nur Ferrari, sondern dem gesamten Fiat-Konzern im Hintergrund, die entsprechende Expertise im Hybrid-Bereich fehle. Ganz anders als etwa bei Mercedes. "Wenn man Maranello mit Brixworth vergleicht, ist es wie ein Vergleich zwischen einem Propellerflugzeug und einem Spaceshuttle", kommentiert Danner wenig schmeichelhaft.

Für Kimi zählen nur Siege, Foto: Sutton
Für Kimi zählen nur Siege, Foto: Sutton

Das Scuderia-Selbstverständnis: Selbst wenn es mit Können und etwas Glück gelingen sollte, den Angriff aus Woking zu parieren und vielleicht seinerseits einen der enteilten Widersacher einzuholen, könnte von Aufschwung noch lange keine Rede sein. Immerhin sprechen wir hier von der Scuderia Ferrari. "Ferrari möchte immer gewinnen. Für sie zählen nur WM-Titel", sagt der ehemalige Ferrari-Fahrer Mika Salo. Dass es der aktuelle Pilot Kimi Räikkönen genauso hält, ist hinlänglich bekannt. Erst die Rückkehr an die Spitze verdient der eigenen Identität zufolge also das Prädikat "Aufschwung". Alles andere führt unweigerlich zur Radikalkur. "Wir wollen unbedingt an die Spitze zurück, denn wir denken, dass wir dort hingehören. Das gehört zu unserer DNS. Das treibt uns an. Das ist mein Ziel!", sagte Marco Mattiacci noch während der Saison. Umgesetzt hat er es nicht - und wurde prompt gefeuert.