Resignierend steht Michael Schumacher an der Streckenbegrenzung in Jerez. Tatenlos muss er mit ansehen, wie Jacques Villeneuve an ihm vorbeirast und auf dem Weg zum Weltmeistertitel ist. Das Rennen ist für Schumacher beendet und die greifbar nahe erste Weltmeisterschaft mit Ferrari ist verloren. Dabei hätte es der ganz große Tag für den Ferrari-Piloten werden können - doch er selbst macht ihn zum schlimmsten Rennfahrertag seiner Karriere. "Wenn es eine Sache gäbe in meiner Formel-1-Zeit, die ich ungeschehen machen könnte, würde ich Jerez wählen", sagt Schumacher rückblickend auf das Saisonfinale 1997.

Vor der Saison 1997 sind sich die Fachleute einig: Der Titel geht nur über Jacques Villeneuve oder Michael Schumacher. Villeneuve, der in seiner Debütsaison 1996 bis zum letzten Rennen seinen erfahrenen Teamkollegen Damon Hill um den Titel Paroli bieten konnte, ist nach Hills Abgang zu Arrows die unbestrittene Nummer eins bei Williams.

Ferrari vereint Schumacher mit seinen früheren Wegbegleitern Rory Byrne und Ross Brawn aus erfolgreichen Benetton-Zeiten, das Auto ist deutlich besser als im Vorjahr und die Scuderia scheint wieder ein ernsthafter Titelanwärter zu sein.

Die Kontrahenten 1997: Jacques Villeneuve und Michael Schumacher, Foto: Sutton
Die Kontrahenten 1997: Jacques Villeneuve und Michael Schumacher, Foto: Sutton

Nach ständigen Wechseln an der WM-Spitze reißt Schumacher mit einem Punkt Vorsprung nach Jerez in Spanien. Auf der Rennstrecke in Andalusien wird zum letzten Mal ein Formel-1-Rennen ausgetragen, außerdem ist es für Renault, nach vielen erfolgreichen Jahren, der vorerst letzte Grand Prix als Motorenlieferant. Der Abschied könnte jedoch noch mit einem Weltmeistertitel versüßt werden: Den Konstrukteurstitel hat sich Williams-Renault vor dem Finale schon gesichert, für den zusätzlichen Fahrertitel durch Villeneuve bleibt nur eine Chance - er muss vor Schumacher ins Ziel kommen.

In Deutschland wird das Rennen zum Zuschauermagneten. Alle wollen Schumachers dritten WM-Triumph sehen, der Privatsender RTL erzielt an diesem Rennnachmittag mit 15,41 Millionen TV-Zuschauern seine höchste Formel-1-Einschaltquote.

Kaum verwunderlich, denn bereits das Qualifying führt zu einer einmaligen Konstellation. Schumacher, Villeneuve und sein Teamkollege Heinz-Harald-Frentzen erzielen auf die Zehntausendstelsekunde exakt dieselbe Zeit - ein Novum in der Formel-1-Geschichte. Die Pole geht letztendlich an Villeneuve, der als Erster die Zeit aufgestellt hatte, vor Schumacher und Frentzen.

Schumacher lockt die Deustchen vor die TV-Geräte, Foto: Sutton
Schumacher lockt die Deustchen vor die TV-Geräte, Foto: Sutton

Den Start entscheidet allerdings Schumacher für sich. Mit einem Raketenstart zieht er an Villeneuve vorbei und kann sich gleich in den ersten Kurven absetzen. Villeneuve muss sogar Teamkollege Frentzen ziehen lassen. Erst in Runde sieben tauschen die Williams wieder die Plätze, Schumacher liegt da aber schon einige Sekunden voraus.

Der Deutsche kontrolliert das Rennen, jedes Mal wenn Villeneuve näher zu kommen scheint, spielen glückliche Umstände dem Ferrari-Piloten in die Karten. Zunächst wird Villeneuve beim Überrunden ausgerechnet von Norberto Fontana im Ferrari angetriebenen Sauber aufgehalten, später kommt der Kanadier nach seinem zweiten Stopp unmittelbar zwischen den McLaren von Coulthard und Häkkinen raus.

Villeneuve kämpft sich jedoch immer wieder zurück. Als der Ferrari-Pilot dann nach seinem zweiten Stopp Probleme mit den Reifen bekommt, hängt der Williams von Villeneuve schnell im Heck von Schumacher, ein Überholversuch ist nur noch eine Frage der Zeit. Bei der Anfahrt zur Dry Sac Kurve in Runde 48 geschieht dann, was Formel-1-Geschichte schreiben wird: Villeneuve setzt zum Angriff an und zieht nach innen neben den Ferrari. Schumacher lenkt daraufhin sein Auto in Richtung des Williams und trifft mit seinem rechten Vorderreifen den Seitenkasten. Schumacher rutscht ins Kiesbett, bleibt stecken und muss aufgeben - Villeneuve kann weiterfahren.

Das entscheidende Manöver: Villeneuve versucht Schumacher zu überholen, Foto: Sutton
Das entscheidende Manöver: Villeneuve versucht Schumacher zu überholen, Foto: Sutton

Sofort ist klar, dass die Aktion von Schumacher nicht astrein war. Ein Déjà-vu Erlebnis zu Adelaide 1994, wo eine Kollision zwischen ihm und Hill die WM zu Schumachers Gunsten entschied - allerdings war die Schuldfrage damals nicht zweifelsfrei zu klären. Hill konnte 1994 erst weiterfahren, musste dann sein Auto jedoch abstellen. Droht Villeneuve ein ähnliches Schicksal? Ein Ausfall, und Schumacher wäre Weltmeister.

20 quälend lange Runden liegen noch vor Villeneuve und seine Rundenzeiten werden langsamer - doch sein Williams hält. Gegen Ende des Rennes lässt er die McLaren von Häkkinen und Coulthard aufschließen und in der letzten Runde kampflos überholen - ein dritter Platz reicht ihm schließlich zum Titelgewinn. Mika Häkkinen gewinnt so seinen ersten Formel-1-Grand Prix. Sinnbildlich übergibt Villeneuve das Zepter in Jerez bereits seinem Nachfolger, denn Häkkinen wird in den kommenden beiden Jahren Weltmeister.

Für Michael Schumacher hat das Rennen noch ein unangenehmes Nachspiel. Zunächst ist sich Schumacher keiner Schuld bewusst und gibt sich gar fassungslos auf die Vorwürfe, er hätte Villeneuve absichtlich versucht zu rammen. Die Medien reagieren verständnislos auf sein Manöver und Schumachers Image bekommt einen erheblichen Schaden.

Besonders die italienische Presse schießt sich auf Schumacher ein: "Dolchstoß für den Sport" (Il Messager) und "Du hast Dein Gesicht verloren" (Tuttosport) titeln einige Zeitungen. Wochen später sieht auch Schumacher sein Fehlverhalten ein und gesteht öffentlich, dass er einen Fehler gemacht hat. Die FIA hat trotzdem kein Einsehen und streicht dem Ferrari-Piloten alle Weltmeisterschaftspunkte der Saison.

Der Größte von Jerez: Villeneuve geschultert von den McLaren-Piloten, Foto: Sutton
Der Größte von Jerez: Villeneuve geschultert von den McLaren-Piloten, Foto: Sutton

Für Jacques Villeneuve ist es der erste und einzige Weltmeisterschaftstitel. Denn so raketenmäßig sein Aufstieg mit elf Siegen in seinen ersten beiden Formel-1-Jahren ist, so schnell kommt auch sein Absturz. Der Sohn von Gilles Villeneuve gewinnt nie wieder ein Rennen und steht anschließend lediglich vier weitere Male als Dritter in seiner Karriere noch auf dem Podium. Williams ist ohne Renault-Power 1998 nicht konkurrenzfähig, der Kanadier schließt sich daraufhin 1999 dem neu gegründeten B.A.R Team an, mit dem er jedoch auch nur mäßig Erfolg hat. Nach kurzen Gastspielen bei Renault und Sauber muss er seine Formel-1-Karriere 2006 beenden.

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