Marussia: Insolvent. Caterham: Insolvent. Die Formel 1: In einer schweren Krise. 135 Rennställe kamen und gingen in den vergangenen 64 Jahren. Zu Beginn der neuen Power Unit-Ära steht die Königsklasse nun abermals am Scheideweg. "Die Formel 1 funktioniert nicht nur mit Herstellerteams", wiederholt Force-India-Teamboss Vijay Mallya seine Kritik. "Sie braucht kleinere Teams. Sie sind seit vielen Jahrzehnten Teil der DNS der Formel 1."

Nach zwei Teaminsolvenzen binnen weniger Tage sehen viele Beobachter den letzten Weckruf vor dem bösen Erwachen. "Es ist wahrscheinlich an der Zeit, die Dinge beim Namen zu nennen", betont Lotus-Teambesitzer Gerard Lopez. "Wenn wir jetzt nicht reagieren, muss man sich schon fragen, was noch dafür passieren muss?", gibt sich Sauber-Teamchefin Monisha Kaltenborn angriffslustig. "Es wird Zeit, dass wir uns auf die Senkung der Kosten konzentrieren."

Streit um die Daseinsberechtigung der kleinen Teams

Vordere Reihe gegen hintere Reihe: Die Pressekonferenz, Foto: Sutton
Vordere Reihe gegen hintere Reihe: Die Pressekonferenz, Foto: Sutton

Beobachter der Teamchef-Pressekonferenz am Freitagnachmittag in Austin kamen am Ende einer lebhaften Diskussion zum gewohnten Schluss: F1-Teambosse sind sich nur in einem Punkt einig, nämlich jenem, dass sie sich nicht einig sind. McLaren-Renndirektor Eric Boullier glaubt dennoch an eine Lösung: "Allerdings muss diese von der Sporthoheit und den Leuten, die die Show leiten, angeführt werden." Sprich: Die FIA sollte die Fäden ziehen, der Rechteinhaber CVC und Bernie Ecclestone sollten entscheiden, nicht die teilnehmenden Teams.

Toto Wolff wirft derweil einen nüchternen Blick auf den Verlust der beiden Teams. "Sie haben als Unternehmer entschieden, in die Formel 1 einzusteigen und dabei vielleicht unterschätzt, was es bedeutet, zu diesem Feld hinzuzustoßen", so Wolff. Der Mercedes Motorsportchef hege großen Respekt vor Tony Fernandes und Andrey Cheglakov sowie deren Erfolgen in der Geschäftswelt. "Aber die Formel 1 ist möglicherweise eine andere Welt."

Wolff sieht die Formel 1 als einen Sport mit einer hohen Einstiegshürde an. "Sie ist die Königsklasse des Motorsports und wenn man in der Königsklasse mitfahren will, muss man die Ressourcen dafür besitzen." An diesem Punkt vergisst man jedoch schnell, dass Marussia, Caterham und HRT in der Saison 2010 unter anderen Vorzeichen einstiegen. "Ihnen wurde damals gesagt, dass es eine Budgetgrenze von 40 Millionen US-Dollar geben würde", erinnert Boullier. Darauf bauten sie ihr Geschäftsmodell auf.

Vijay Mallya macht aus seiner Verachtung für solche Gedanken keinen Hehl. Er bezeichnete Wolffs Schilderung als die Arroganz der Topteams. "Sie wollen ausgeben, soviel sie wollen. Wenn andere Teams sich die F1 leisten können, sind sie willkommen, wenn nicht, sollen sie verschwinden", fasste Mallya seine Sicht der Dinge zusammen. "Ich denke nicht, dass die großen Teams die Regeln machen, noch ist es ihre Weltmeisterschaft. Der Arroganz der großen Teams muss Einhalt geboten werden."

Streit um die Kosten

Die Formel 1 verschlingt Unsummen an Geld, Foto: Sutton
Die Formel 1 verschlingt Unsummen an Geld, Foto: Sutton

Lopez sieht die enorme Kostenhürde als Hauptgrund dafür an, dass die Anzahl der Interessanten an einem freien Platz in der Formel 1 arg begrenzt ist. "Man benötigt sehr viel Mut, um hier mitmachen zu wollen, selbst wenn man dann nur Letzter wird", sagt Lopez. Neben dem amerikanischen Haas F1 Team, das ab 2016 antreten möchte, gibt es derzeit nur Forza Rossa als Interessenten an einem Einstieg. Deren Erfolgschancen auf einen Einstieg schon in der kommenden Saison sehen jedoch schlecht aus.

Lopez führt als Beispiel ein GP2-Team auf: "Lassen wir ein GP2-Auto auf dieser Strecke hier [Austin, d. Red.] fahren. Es wird vier bis sechs Sekunden langsamer sein." Die Kosten für das gesamte Team würden sich pro Saison auf vier Millionen Euro belaufen. Ein Formel-1-Top-Team verschlingt hingegen 300 Millionen Euro pro Jahr. "Aber sind wir wirklich so viel besser?", fragt Lopez.

Der Geschäftsmann im Motorsportfan Lopez denkt sich dabei: 300 Millionen ausgeben um sechs Sekunden schneller zu sein? Wie soll das wirtschaftlich sinnvoll sein? "Es ist ein bisschen lächerlich, zu sagen, dass wir so viel Geld ausgeben müssen, um diese Performance zu erreichen - das macht uns zu den schlechtesten Managern der Welt."

Hersteller wie Mercedes können natürlich auf ganz andere Budgets zurückgreifen. Für sie ist die Formel 1 eine Showbühne, ein Marketinginstrument, ein Entwicklungslabor. Diese Ausgaben möchte Lopez nicht einschränken. Jeder dürfe ausgeben so viel er möchte, so lange die technische Weiterentwicklung der Autos einem bestimmten Regelwerk unterliegt, das wenn nicht in Geld, dann in Windkanalstunden, der Anzahl der Updatepakete oder ähnlichem gemessen werden kann.

Streit um die Verteilung der Einnahmen

Die Zukunft von Caterham ist offen, Foto: Sutton
Die Zukunft von Caterham ist offen, Foto: Sutton

Einer der Hauptkritikpunkte der kleineren Teams ist die aus ihrer Sicht ungerechte Verteilung der Einnahmen. "Dies ist glaube ich der einzige Sport, in dem die teilnehmenden Teams mit Blick auf die gesamten Einnahmen am wenigsten erhalten", kritisiert Mallya. Dieser Aussage stimmt Lopez voll und ganz zu: "Das Verteilermodell ist komplett falsch."

Einige Teams würden 160-170 Millionen allein für ihre Teilnahme erhalten, so Lopez. Gemeint ist natürlich Ferrari, die seit jeher Sonderkonditionen mit Bernie Ecclestone ausgehandelt haben. "Wenn ein Team für seine Teilnahme mehr Geld erhält, als andere im ganzen Jahr ausgeben, dann ist mit dem System etwas absolut nicht richtig."

Gleichzeitig nimmt Lopez den Rechteinhaber CVC etwas in Schutz. Immerhin ist sein Alltagsjob genau das, was auch CVC macht. Zum Zeitpunkt des Kaufs der Formel 1 durch CVC hätten die Teams gut 300 Millionen Dollar erhalten. Heute seien es 900 Millionen. "Aber diese werden nicht gleichmäßig verteilt", klagt Lopez an. "Sonst würden wir alle lächelnd hier sitzen und es gäbe keine Probleme." Der Verteilerschlüssel sei nicht 80:20 zwischen großen und kleinen Teams, aber grundsätzlich würden die Topteams noch reicher und die kleinen erhielten hingegen nur die übrigen Brotkrümel.

Streit um die Budgetgrenze

Marussia stieg unter der Annahme einer Budgetgrenze ein, Foto: Sutton
Marussia stieg unter der Annahme einer Budgetgrenze ein, Foto: Sutton

Der zweite große Streitpunkt ist die Budgetgrenze. Ein Vorhaben, das schon seit Jahren heiß diskutiert wird und für das die Teams und die FIA noch nie einen gemeinsamen Nenner finden konnten. "Wir finden immer eine Entschuldigung, keine Budgetgrenze einzuführen", kritisiert Lopez.

Der Grund dafür ist die Komplexität der Formel 1. Marussia oder Caterham hatten vielleicht ein Budget von 70 Millionen US-Dollar. Ferrari oder Red Bull agieren hingegen mit einem Budget von bis zu 250 Millionen. "Wo soll man da mit einer Budgetgrenze beginnen?", fragt Toto Wolff. Eine Absenkung der Ausgaben könnte bei den Topteams zum Beispiel zu Entlassungen führen.

Gleichzeitig besteht seit jeher die Ungewissheit, wie die Einhaltung der Kostenbeschränkung überprüft werden soll. "Es wurde bisher nie eingeführt, weil es keinen Weg gibt, es zu kontrollieren", erklärt Wolff. Einige Teams sind Teil größerer Konzerne wie etwa Mercedes oder Ferrari. Die Scuderia stellt Straßenautos her, sie betreibt GT-Sport, Wolff sieht keinen Weg, wie da eine Kontrolle einfach und transparent funktionieren könnte.

Dessen ist sich Lopez bewusst. Dennoch hält er die Formel 1 für einen seltsamen Sport, der gerne genau das Gegenteil von dem tut, was er eigentlich sagt. So hätte die neue Motorenformel die Kosten für die Teams nur noch weiter in die Höhe schnellen lassen. So gibt Lotus für Motoren und Entwicklung rund 50-60 Millionen aus. "Das nenne ich nicht Kostensenkung, so schmeißt man Geld aus dem Fenster."

Zudem befürchtet Lopez, dass die Formel 1 mit einer möglichen Aufweichung der Motoren-Einfrierung im kommenden Jahr erneut einen Schritt zu höheren Entwicklungskosten machen könnte. Dennoch wehrt sich auch Boullier gegen eine Budgeteinschränkung. "Teams wie McLaren, die seit mehr als 50 Jahren in der Formel 1 antreten, haben sehr ins Image und die Technik investiert." Sie hätten die F1 zu dem gemacht, was sie heute ist. "Sie können so eine Budgetgrenze nicht akzeptieren."

Auf gewisse Weise sieht Lopez seine Sichtweise in den Worten seines früheren Angestellen Boullier bestätigt: "Wenn ich zum Beispiel zu Bernie gehen und sagen würde: "Ich möchte das nicht mehr machen", dann würde er vielleicht sagen, dass es schade sei, aber so sei es eben. Wenn jemand mit einem roten Hemd das gleiche sagen würde, hätte das einen ganz anderen Effekt."