Am Ende machten wieder Lewis Hamilton und Nico Rosberg die erste Startreihe unter sich aus. Doch der Mercedes-Kommandostand musste bis zuletzt zittern: Denn Valtteri Bottas hatte den letzten Schuss und setzte zwei absolute Sektorbestzeiten. Mit zwei Fehlern im letzten Sektor büßte der Finne seinen Vorsprung aber wieder ein. Doch wie schnell ist der Williams wirklich? Kann Bottas im Rennen die Mercedes nicht nur ärgern, sondern auch schlagen? Motorsport-Magazin.com macht den Check.

Kaum Longrun-Vergleiche

Weil Daniel Ricciardo im zweiten Freien Training zum ungünstigsten Zeitpunkt für eine Unterbrechung sorgte, gibt es kaum relevante Longrun-Daten. Erst recht nicht von Williams: Massa fuhr auf den Mediums, nur Bottas testete die Softs auf ihre Haltbarkeit. Mit vier Runden allerdings nicht besonders lange. Trotzdem: Die vier Runden hatten es in sich. Der Finne fuhr sogar schneller als Lewis Hamilton auf seinem Run.

Niki Lauda glaubt, das Geheimnis hinter der Williams-Stärke zu wissen: Der FW36 bekommt die Reifen besser in das Betriebsfenster als der F1 W05 Hybrid. Das gleiche Phänomen trat schon beim Großen Preis von Österreich auf, als Mercedes zum bisher einzigen Mal in dieser Saison die Pole verpasste.

Die Boxeneinfahrt ist zu eng für 80 Stundenkilometer, Foto: Sutton
Die Boxeneinfahrt ist zu eng für 80 Stundenkilometer, Foto: Sutton

Doch eine Reifenprognose für den Sonntag ist schwer, weil sich die Strecke noch stark entwickelt. Zwischen dem Formel-1-Qualifying finden noch beide Rennen der GP2 statt, zusätzlich trägt die GP3 noch ihr zweites Rennen aus. "Neuer Asphalt wie dieser besitzt an der Oberfläche eine Teerschicht. Diese wird mit der Zeit abgefahren", weiß Paddy Lowe. "Zunächst sorgt sie allerdings dafür, dass es sehr schwierig ist, die Reifen auf Temperatur zu bringen." Das gleiche galt auf dem Red Bull Ring.

Die große Frage lautet: In welchem Zustand befindet sich die Strecke am Sonntag. Denn die meisten Teams rechnen mit einer Einstopp-Strategie. Das Herabsetzen des Speedlimits in der Boxengasse von 80 auf 60 Stundenkilometer lässt das Pendel ebenfalls Richtung Ein-Stopp schwingen. Eine Ein-Stopp-Strategie bedeutet gleichzeitig einen recht langen Stint auf den ungeliebten Medium-Reifen. Und die sind besonders schwierig, in das Betriebsfenster zu bekommen.

Und hier könnte die große Chance von Williams, beziehungsweise von Bottas liegen: Denn bringt Bottas auch die Mediums besser in das Betriebsfenster, hat er eine reale Chance. Bekommt Mercedes die Reifen nicht perfekt auf den Punkt, rutschen die Autos mehr. Somit erhöht sich die Temperatur and der Reifenoberfläche stärker als die Struktur. Graining könnte ein Thema werden. Am Freitag war der Unterschied zwischen Medium und Soft noch riesig, lag bei etwa 1,5 Sekunden. Durch die Streckenentwicklung hat sich die Differenz auf rund 1,2 Sekunden gesenkt.

Auch Valtteri Bottas weiß um seine kleine Chance: "Ich habe einen Vorteil, weil ich von der sauberen Seite starte und das könnte gut sein, weil abseits der Ideallinie eine Menge Dreck liegt. Dritter ist ein gutes Ergebnis und wir haben eine gute Pace, so dass wir hoffentlich mit den Mercedes kämpfen können und ein Podium holen."

Zudem dürfte Überholen auf den langen Geraden möglich sein, zumal Bottas mit Abstand die beste Höchstgeschwindigkeit erzielte. Knapp fünf Stundenkilometer war der Williams schneller als beide Werksmercedes. "Wir erwarten morgen harte Gegenwehr von Williams und McLaren", fürchtet auch Toto Wolff.

Wie Williams hat auch McLaren nur noch einen Fahrer in der Verlosung. Während Felipe Massa wegen Problemen an seiner Power Unit früh im Qualifying aufgeben musste, verliert Kevin Magnussen wegen eines Getriebewechsels fünf Startpositionen. Jenson Button ist vorne genauso auf sich alleingestellt wie Valtteri Bottas.

Dass Button ganz vorne mitspielen kann, ist aber eher unwahrscheinlich. Denn der Brite war bei der reinen Qualifying-Pace schon deutlich weiter von den Mercedes weg, als Bottas. Auch die Longruns am Freitag sahen zwar nicht schlecht aus, allerdings bei weitem nicht auf Mercedes Niveau. Hinter Mercedes und Bottas sollte Button aber seinen vierten Platz verteidigen können.

Bei Ferrari lief wenig zusammen, Foto: Sutton
Bei Ferrari lief wenig zusammen, Foto: Sutton

Dahinter wird es spannend und eng wie immer im Mittelfeld in dieser Saison. Toro Rosso steht vor Red Bull und Ferrari. Dass Red Bull eine Aufholjagd wie in Japan hinzaubern kann, ist eher unwahrscheinlich - dort profitierten sie stark vom Regen. So wird es wohl am Sonntag bittere Realität werden, dass Red Bull sich mit dem eigenen Juniorenteam herumschlagen muss - eine weiterer Parallele zum Österreich GP.

Benzinverbrauch

Auch der Benzinverbrauch könnte in Russland ein Thema werden. In der GP2 musste die Renndistanz des Hauptrennens um zwei Runden verkürzt werden, weil es sonst mit dem Tank eng geworden wäre. Allerdings könnte eine Safety-Car-Phase an dieser Front für Entspannung sorgen. Denn vor allem nach den Vorkommnissen des letzten Wochenendes und aufgrund der Tatsache, dass der Kurs in Sochi schlechte Bergungsmöglichkeiten bietet, wird die Rennleitung wohl nicht lange mit dem Einsatz des Safety-Cars zögern.

Sollte der Grand Prix aber ohne Bernd Mayländer auskommen, ist der Benzinverbrauch ein weiterer Faktor, der Williams begünstigt. Die hohe aerodynamische Effizienz lässt den FW36 weniger verbrauchen, als den Boliden des Werksteams.

Spannend sind auch die Reifen am Rennstart: Denn die Top-10 müssen auf jenen Pneus startet, auf denen sie ihre schnellste Zeit im Q2 gefahren haben. Weil aber die Qualifying-Strategie bei fast allen mehrere gezeitete Runden vorsah, sind die Options-Reifen der meisten am Start nicht mehr neuwertig.

Der einzige Pilot, der mit einer einzigen gezeiteten Runde Q3 erreichte, ist Lewis Hamilton. Seine Reifen sind am Start neuer als jene der Konkurrenz. Ein geschickter Schachzug von Mercedes: Mercedes wusste, dass die Zeit für das Weiterkommen reichte und holte Hamilton wieder rein. Rosberg benötigte hingegen zwei schnelle Anläufe.

FahrerRunden gesamt mit Q2-Reifendavon auf Zeit gefahren
Lewis Hamilton41
Nico Rosberg52
Valtteri Bottas73
Jenson Button52
Daniil Kvyat94
Daniel Ricciardo94
Fernando Alonso82
Kimi Räikkönen73
Jean-Eric Vergne94

Bottas' Reifen sind sogar schon sieben Runden alt und mussten drei richtig schnelle Runden über sich ergehen lassen. Noch schlimmer sieht es aber weiter hinten in der Startaufstellung aus: Kvyat, Ricciardo und Vergne muteten ihren Reifen gleich vier gezeitete Runden zu.

Fazit: Es ist knapp an der Spitze, Bottas nah an Mercedes dran. Besser gesagt an Rosberg, denn Hamilton fährt an diesem Wochenende in einer eigenen Liga. Viel wird davon abhängen, wie gut die Autos mit den härteren Reifen umgehen. Im Normalfall sollte Hamilton das Rennen aber gewinnen, für Rosberg könnte es eng mit Bottas werden. Dann folgt Button und dahinter sind Prognosen unmöglich.