Eben noch gefeierter Seriensieger, plötzlich abgestempelter Versager. Sebastian Vettel rauschte vom F1-Thron in die Hybrid-Hölle. Gepiesackt von unzähligen kleinen Teufeln. Jetzt steht fest: Sie treiben Vettel weg von seinem Entdecker Red Bull und wohl in die Arme von Ferrari.

1. Renault

2014 ist das Jahr der Power Unit. Alle Augen sind auf die Hybrid-Turbos gerichtet. Blöd nur, wenn dein Motorenpartner seine Hausaufgaben nicht richtig gemacht hat. Dann liegen auch beim Weltmeisterteam der vergangenen vier Jahre die Nerven blank. Renault hat versagt. Das fatale Zeugnis nach dem ersten Test: mangelnde Leistung und desaströse Zuverlässigkeit. Ein katastrophaler Fehlstart. Der Hersteller räumte selbst ein, bei der Entwicklung einige Wochen, wenn nicht sogar Monate im Rückstand zu sein. Game Over.

2. Defektteufel

Die Technik ließ Vettel 2014 einige Male im Stich, Foto: Red Bull
Die Technik ließ Vettel 2014 einige Male im Stich, Foto: Red Bull

Die Red-Bull-Oberen von Christian Horner über Helmut Marko bis hin zu Dietrich Mateschitz reagierten fuchsteufelswild auf die Versäumnisse von Renault. Trotzdem: Obwohl die Bosse gerne diesen Eindruck erwecken, sind die Franzosen nicht an allem Übel schuld.

Die Liste der technischen Gebrechen an Vettels Boliden ist lang, sehr lang sogar: Softwareprobleme in Melbourne, Elektronikschwierigkeiten in Melbourne, Barcelona und Spielberg, Getriebedefekt in Barcelona, Turbo-Schaden in Monaco. Nicht wenige im Fahrerlager scherzten deshalb: "Vettel scheint den Webber-Fluch geerbt zu haben." Wenn in den vergangenen vier Jahren ein Red Bull einen Defekt erlitt, schien es stets der des Australiers zu sein...

3. Lernrückstand

Eine gebrechliche Power Unit und ein verfluchtes Auto: kein Wunder, dass Vettel in jeglicher Kilometertabelle ein weit abgeschlagenes Dasein fristet. Bei den drei Testfahrten im Winter brachte er es auf gerade einmal 865 km. Damit legte Vettel sogar knapp mehr Kilometer zurück als sein Teamkollege Daniel Ricciardo (844 km). Zum Vergleich: Testweltmeister Nico Rosberg schaffte mehr als drei Mal so viel (2.812 km).

Im Verlauf der Saison wurde es für Vettel nicht besser. Von Melbourne bis Singapur spulte er 1.763 Runden respektive 8.873 km ab. Damit belegte er Rang 13 dieser Wertung. Ricciardo legte hingegen 10.038 km zurück - damit lag er in den Top-5. Spitzenreiter Kevin Magnussen brachte es auf stolze 10.653 km. Oft betonte Vettel, dass er das Fahren nicht verlernt habe. Die Statistik beweist, dass er aber auch nicht viel Zeit hatte, um das Fahren mit den neuen Autos richtig zu erlernen.

Das neue Reglement setzte Vettel zu, Foto: Red Bull
Das neue Reglement setzte Vettel zu, Foto: Red Bull

4. Reglement

Stichwort: "Neue Autos". Vettel brauchte etwas Anlauf, um in der neuen Formel-1-Hybrid-Ära Fuß zu fassen. Im Vergleich zu seinen weltmeisterlichen Vorgängern war der RB10 nicht mit Vettels Fahrstil kompatibel. Vettel zeichnete sich in den vergangenen Jahren als Meister des angeblasenen Diffusors aus - damit trieb er Webber geradezu in den Wahnsinn. "Seb hat seinen Fahrstil dafür perfektioniert", erklärt Christian Danner. "Das kann er jetzt aber nicht mehr nutzen, speziell beim Bremsen."

Gleichzeitig kam Vettel mit den neuen Systemen nicht wie gewünscht klar. Das Auto machte einfach nicht, was er wollte. Aus Rache ließ Vettel seine Wut am neuen Reglement aus. "Der Sound ist scheiße." So lautete seine am meisten beachtete Kritik an der neuen F1. Danner hatte dafür wenig Verständnis. "Ich halte es für unklug und nicht konstruktiv, wenn ich als viermaliger Weltmeister permanent auf meinen Sport einschlage."

5. Reifenverschleiß

Als ob all das nicht schon genug wäre, schien Vettel zu allem Überfluss die neuen Pirelli-Reifen ab Saisonbeginn stärker zu verschleißen als Ricciardo. Das bedeutete eine weitere Baustelle für das Team, das einen Weg finden musste, um Vettel wieder zu einem Reifenflüsterer zu machen. Aber selbst nach der Sommerpause gab es in Monza noch ungelöste Rätsel. Mit der weichen Reifenmischung war alles im Lot. Aber mit der härteren hatte er abermals für das Team unerklärbare Probleme.

6. Chassis

Die 2015er Chassis brachten Vettel wenig Glück, Foto: Sutton
Die 2015er Chassis brachten Vettel wenig Glück, Foto: Sutton

Suzie. So hieß Vettels neue Liebe. Doch so richtig wollte es zwischen den Beiden nicht funken. Schon in China erhielt Vettel ein neues Chassis. Hinterher stellte sich heraus: Suzie war in Ordnung, die Messwerkzeuge stimmten nicht. "Manchmal macht man das als Fahrer aus Verzweiflung", unkte Johnny Herbert. Dabei sollte es aber nicht bleiben.

In Italien fuhr Vettel erneut ein anderes Chassis, das zuvor schon bei den Silverstone-Tests eingesetzt worden war. Mit dem neuerlichen Wechsel sollte seine Psyche beruhigt werden. Für Singapur erhielt er dann sein viertes Chassis in dieser Saison. "Das ist Chassis Nr. 5", sagt er. "Ich mag die Fünf. Hoffentlich passt es jetzt." In Singapur fuhr er mit Chassis Nummer 5 aufs Podium - bald macht er jedoch den Abflug.

7. Teamkollege

Sonnyboy, Überraschungssieger, zukünftiger Weltmeister - Tribute, die in der Vergangenheit, in Verbindung mit dem Namen Sebastian Vettel standen. Heute werden sie meist in einem Atemzug mit Daniel Ricciardo genannt. Dass sein neuer Teamkollege in fast jedem Rennen besser abschneidet als er, schmeckt Vettel ganz und gar nicht. Allein in der ersten Saisonhälfte fuhr der Australier im unterlegenen Red Bull drei Siege ein, während Vettel sieglos blieb.

Ein Faktum, das an Vettels Nr.-1-Status kratzte. "Sebastian bekam vom Team oder besser gesagt von Dr. Helmut Marko ständig gesagt, dass er endlich aufwachen muss. Er bekam keine positive Energie vom Team. All das zusammen macht es für einen Fahrer verdammt schwierig, aus dieser negativen Spirale herauszufinden", sagte Jacques Villeneuve gegenüber Motorsport-Magazin.com.

8. Kritik

Vettel bekam einiges auf die Mütze, Foto: Red Bull
Vettel bekam einiges auf die Mütze, Foto: Red Bull

Vettel wurde in dieser Saison mit Kritik geradezu überhäuft - auch aus dem eigenen Team. "Wie sehr stinkt ihm das? Unfassbar stark. Er ist ein sehr ehrgeiziger, erfolgshungriger Bursche. Deswegen stinkt ihm das unglaublich", sagte Motorsport-Magazin.com-Experte Christian Danner. Dennoch seien die technischen Defekte nicht seine Schuld gewesen. "Wenn man wie Pastor Maldonado an jedem Wochenende zwei Mal in die Wand fahren würde, ist das selbst verursacht", so Danner. "Ist Kritik an ihm aber dennoch berechtigt? Ja klar, denn er ist meist deutlich von Daniel Ricciardo geschlagen worden. Man muss einen vierfachen Weltmeister dafür kritisieren dürfen, wenn er sich von seinem Teamkollegen glasklar abbraten lässt."

9. Strategie

Apropos sieglos. Dass in Kanada Daniel Ricciardo auf dem Siegerpodest stand und nicht Vettel, ging nicht auf das Konto des Deutschen. Das Team holte Vettel zu früh an die Box, wodurch er auf seiner Inlap wertvolle Zeit hinter Nico Hülkenberg verlor. "Das war definitiv kein Vettel-Fehler, sondern der Kommandostand hat sich verschätzt", räumte Marko ein.

In Ungarn versäumte das Team, Vettel anzuweisen in eine andere Motoreinstellung zu wechseln. Die Folge: Vettel drehte sich und beendete das Rennen auf P7, Ricciardo gewann. "Unser Fehler. So etwas darf eigentlich nicht passieren", erklärte Teammanager Jonathan Wheatley. Zum Glück für Red Bull ist Vettel wie er selbst sagt "nicht nachtragend". Es darf bezweifelt werden, dass das auch für die Teamorder in China und Bahrain gilt, als Vettel unfreiwillig seinem Teamkollegen Platz machen musste.

10. Personal

Als hätte Vettel mit der Saison 2014 nicht schon genug am Hut gehabt, zogen zuletzt noch mehr dunkle Wolken herauf. Vettel verlor zwei entscheidende Wegbegleiter: Adrian Newey, das treibende Genie hinter seinen vier Weltmeistertiteln, wird sich ab 2015 anderen Projekten widmen und nur noch in beratender Funktion zur Verfügung stehen.

"Es ist nur natürlich, dass sich Leute, die viele Meisterschaften und Titel gewonnen haben, eine neue Herausforderung suchen. Adrian war in der Vergangenheit sehr wichtig für das Team und das wird er auch bleiben", versuchte Vettel die Personalveränderung herunterzuspielen. Genau wie im Fall von Guillaume Rocquelin. Seit 2009 war Rocky als Renningenieur an Vettels Seite. Ab 2015 steigt er zum Head of Race Engineering auf.