Zwei Mal verbremste sich Nico Rosberg bei der Anfahrt auf die erste Kurve. Zwei Mal musste er den Notausgang nehmen. Während die Konsequenzen beim ersten Mal zu vernachlässigen waren, trafen ihn die Folgen des zweiten Verbremsers umso härter, denn Teamkollege Lewis Hamilton ging vorbei. So fährt sein ärgster Konkurrent um den Titel 25 Punkte ein, während er sich mit 18 begnügen muss.

Dass Rosberg denselben Fehler zwei Mal macht und damit den Sieg wegwirft, vermochten einige so wenig zu glauben, dass sie eine Theorie aufstellten: Was, wenn Mercedes Rosberg dazu anhielt, sich zu verbremsen, damit Hamilton vorbeigehen kann und damit ein kleiner Ausgleich für die Kollision in Spa geschaffen würde, die Hamilton immerhin den möglichen Sieg kostete?

Toto Wolff schiebt derartigen Spekulationen einen Riegel vor: "Sie meinen, dass wir Rosberg gesagt haben, er soll seinen Bremspunkt verpassen und an der Schikane vorbeifahren, damit Lewis an ihm vorbeikommen kann? Ganz und gar nicht." Nur jemand, der paranoid sei, könne auf so eine Idee kommen. "Wenn es unsere Idee gewesen wäre, dann hätten wir das verdammt gut gemacht", scherzt Wolff. Es gehe um die Fahrer-WM, Rosberg habe unter massivem Druck von Hamilton gestanden. "Da verbremst man sich mal, das gehört dazu", relativiert er.

So gar nicht Nico-like

Hinzukommt laut Wolff, dass Rosberg die Bremsbalance nach vorne verschob, um die Hinterreifen zu schonen. Einen Hinweis auf einen mechanischen Fehler gebe es nach derzeitigem Stand nicht. Ebensowenig hätten Rosbergs Nerven eine Rolle gespielt. "Es war so gar nicht Nico-like, sich zwei Mal zu verbremsen an einer Stelle, das haben wir in diesem Jahr nicht von ihm gesehen. Ich würde es aber nicht überinterpretieren", meint Wolff. "Aber um fair zu sein und ihn in Schutz zu nehmen - wir haben noch nicht bis ins Detail analysiert, ob er ein Problem mit den Bremsen hatte."

Rosberg könnte - so vermutet Wolff - den Notausgang auch bewusst gewählt haben, um einen Bremsplatten im Reifen zu vermeiden. "Eine der Hauptbotschaften an die Fahrer war, keine Bremsplatten in die Reifen zu fahren. Wenn man sich in Monza einen Bremsplatten einfährt, muss man an die Box und mit einer Zwei-Stopp-Strategie ist man verloren. Vielleicht hat er es deswegen in der Kurve nicht mit aller Gewalt versucht", mutmaßte er. "Aber das ist nur meine Interpretation. Er hat es nicht auf die harte Tour versucht, weil es besser ist, den Notausgang zu nehmen als sich einen Bremsplatten einzufahren."

Abgesehen von der Teamorder-Theorie sorgte noch ein anderes Thema für Wirbel: Nachdem Hamilton durch Rosbergs Verbremser an die Spitze gegangen war, zeigten die TV-Kameras Wolff lächelnd, was einige darauf bezogen, dass ihm die Situation gefiel. "Wer in so ein Kamerabild etwas reininterpretiert, muss verrückt sein", stellt Wolff klar.

"In der Box halten fünf Kameras auf dich drauf, die haben nie Live-Bild, das ist Re-Live, was die da senden. Ich denke, dass ich gegrinst habe, als Lewis Nico erstmalig nahe gekommen ist, also nach dem Motto: Jetzt geht´s wieder los, jetzt überholen sie sich wieder. Diese Szene wurde dann zusammengeschnitten mit dem Verbremser von Nico", legt er dar. "Wer da jetzt zu viel reininterpretiert, dem ist nicht zu helfen." Das nächste Mal werde er sich in der Box der Ingenieure verstecken, scherzte der Mercedes-Motorsportchef.

Perfektes Ergebnis

"Lewis hat es verdient, heute zu gewinnen. Seine Pace war beeindruckend und das ist der Grund, warum er gewonnen hat", rückt er das Bild gerade. "Lewis war schon verdammt schnell. Wir haben es ja auch gestern im Qualifying gesehen: Die Strecke liegt ihm, die Leistung hat er gebracht, das muss man anerkennen. Er hat ihn überholt und ist einen Tick davongefahren." Für Rosberg ist der verlorene Sieg kein Drama, denn Wolff betont: "Mit 22 Punkten Vorsprung kann er eine Menge Male Zweiter werden, ehe das knapp wird. Insofern kann man das vielleicht unter dem Titel Schadensbegrenzung sehen."

"Es war ein perfektes Ergebnis. Es war aufregend, es gab keine Berührung, aber trotzdem großartigen Rennsport." Am Kommandostand habe es den einen oder anderen 'Schmunzler' gegeben. Nachdem beide Autos gut liefen und es ein angenehmer Tag war, hofft Wolff nun auf einen entspannten Abend. "Die Adrenalinschübe brauchen wir nicht mehr, dass sie fighten. Es war spannend genug."