In Spa erwarteten alle die große Mercedes-Dominanz. Wenn überhaupt, dann könne Williams den Silberpfeilen gefährlich werden, so die weitläufige Meinung. Red Bull und Ferrari hätten überhaupt keine Chance, selbst wenn die Aerodynamik passt. Die Power-Defizite sind so groß, dass schlichtweg kein Weg an den silbernen Überfliegern vorbeiführe. Am Ende kam alles anders.

Red Bull profitierte nicht nur von der Kollision, Foto: Sutton
Red Bull profitierte nicht nur von der Kollision, Foto: Sutton

Das ist zuerst natürlich der Kollision zwischen Nico Rosberg und Lewis Hamilton geschuldet. Die Silberpfeile haben sich selbst aus dem Rennen genommen. Doch auch später konnte Rosberg nicht in gewohnter Mercedes-Manier den Rest des Feldes deklassieren. Dabei war die Qualifying-Performance noch so überlegen. Das Qualifying jedoch fand bei nassen Bedingungen statt, im Rennen war es trocken.

Während sich Mercedes des Power-Vorteils bewusst war und deshalb nicht Abtrieb ohne Ende vom Boliden nahm, war sich Red Bull des Leistungsdefizits bewusste und tat genau das Gegenteil. Alles, was an Luftwiderstand möglich war weg und zusätzlich noch ein kleine Finesse: der Getriebe-Joker. Red Bull verlängerte den siebten und den achten Gang, um beim Topspeed zulegen zu können. Das ist genau einmal in der Saison erlaubt, Red Bull nutzte als einziges Team diese Gelegenheit in Spa. McLaren und Toro Rosso änderten bereits deutlich früher in der Saison ihre Übersetzungen.

Dass Red Bull damit allerdings spontan auf das Leistungsdefizit reagierte, ist eher unwahrscheinlich. Schon vor der Saison wurde bei vielen Teams mit dem Joker kalkuliert. Entweder man zieht ihn in Spa oder nach Monza. Wer mit einer eher kurzen Übersetzung in die Saison startet, zieht den Joker vor den beiden Highspeed-Strecken. Für all jene, die seit Melbourne mit längerer Übersetzung unterwegs sind, macht der Joker dann in Singapur Sinn - denn reine Hochgeschwindigkeitsstrecken stehen nach Monza nicht mehr im Kalender.

Rosberg: Ein bisschen in die Hose gegangen

Mercedes gehört zu jenen Teams, die von Anfang an mit einer längeren Übersetzung kalkuliert haben. Allerdings geriet die Übersetzung wohl etwas zu lange. Denn den achten Gang nutzten die Silberpfeile bisher quasi nicht. Das ist auch Weltmeister Sebastian Vettel nicht entgangen. "Vielleicht packen sie hier Mal ihren achten Gang aus, laut Reglement müssen sie einen haben", scherzte der Red-Bull-Pilot auf die Frage von Motorsport-Magazin.com.

Auch in Spa war das Getriebe zu lang übersetzt. Dort allerdings spielte der Faktor Luftwiderstand eine Rolle, weil Mercedes hier nicht auf ein extremes Low-Downforce-Setup setzte. Das allerdings kommt jetzt in Monza zum Einsatz, zusätzlich werden im Königlichen Park noch höhere Geschwindigkeiten erzielt.

Trotzdem scheint es so, als wären die Silberpfeile selbst für Monza zu lang übersetzt. "Das ist vielleicht ein bisschen in die Hose gegangen", gestand Rosberg nach dem Training. Doch wieso rächt sich die zu lang geratene Übersetzung auf schnellen Strecken mehr als auf langsamen?

Dadurch, dass im Prinzip nur eine einzige Übersetzung für die gesamte Saison zugelassen ist, muss die Übersetzung auf allen Strecken passen - das ändert sich durch den einen gewährten Joker nur unwesentlich. Heißt: Die Übersetzung muss in Monaco genauso passen wie in Monza. Das wird vorranging über die höheren Gänge erzielt, also über lang übersetzte Gänge sieben und acht. Das hat zur Folge, dass auf langsamen Strecken gar nicht erst in den achten Gang geschaltet wird. "In Monaco wurde nur mit sieben Gängen gefahren, Mercedes fuhr sogar nur mit sechs", weiß Vettel.

Auch Force India mit zu langer Übersetzung

Force India ist das einzige Team, das von Mercedes mit Getrieben beliefert wird. Die Übersetzung kann zwar unterschiedlich zum Werksteam gewählt werden, ist aber offenbar ähnlich ausgefallen. "Wir haben die gleiche Übersetzung wie Mercedes", meint Nico Hülkenberg sogar. "Sie ist auf der langen Seite und das ist bisher nie so ins Gewicht gefallen, bisher hat man den achten Gang kaum gebraucht - aber hier ist es nicht ganz ideal."

"Die andere Getriebeübersetzung ist gut, es geht wirklich nur um den siebten und achten Gang - alle anderen sind okay", so Hülkenberg weiter. Auch wenn der Nachteil auf den folgenden Strecken nicht mehr so gravierend ausfallen dürfte, werden wohl Mercedes und Force India ab Singapur auf eine kürzere Übersetzung zurückgreifen - vermutlich geplant.

Denn Monza wollten beide Teams noch abwarten, dass sich die Übersetzung auch hier nicht rechnen würde, war nicht unbedingt vorherzusehen. Und hätte man schon in Italien eine neue Übersetzung gebracht, hätten wieder Kompromisse gemacht werden müssen. So gibt es nur mehr Singapur, Japan, Russland, USA, Brasilien und Abu Dhabi. Dort werden zwar teilweise auch hohe Topspeed-Werte erzielt, in Regionen wie Spa oder Monza spielen die Strecken aber nicht.

Ferrari zieht Joker in Monza

Etwas überraschend zieht Ferrari den Joker in Monza. Allerdings nur bei Kimi Räikkönen, bei Fernando Alonso wurde bisher noch keine Änderung bekanntgegeben. Jedoch gibt es noch Ungereimtheiten. Da das Renngetriebe am Freitag noch nicht im Einsatz ist, wird das Ziehen des Getriebe-Jokers normalerweise erst mit dem technischen Report am Freitagabend bekannt - wenn die Teams die Renngetriebe eingebaut haben.

Räikkönens Wechsel stand allerdings schon am Donnerstag auf einer FIA-Liste. Ferrari bestätigte gegenüber Motorsport-Magazin.com, dass Räikkönen den Joker tatsächlich zieht. Wieso aber nur bei einem Piloten die Übersetzung geändert wird oder ob Fernando Alonso noch nachziehen wird, wollte Ferrari nicht sagen. Auch die FIA-Liste am Freitagabend gab darüber keinen Aufschluss: Einzelne getauschte Getriebeteile standen nicht mehr darauf, lediglich komplett gewechselte Getriebe.

Wie wichtig die Übersetzung letztendlich für die Gesamtperformance ist, ist allerdings fraglich. "Es ist Teil des Ganzen: egal ob beim Topspeed, am Start, in Low-Speed-Kurven oder bei der Traktion. Aber es ist nicht so, dass sich dadurch alles dramatisch ändert", so Renault Motorenchef Remi Taffin.