Die neuen Regeln werden oftmals kritisiert. Doch in einem Punkt lassen sie sogar die schärfsten Kritiker verstummen. Denn beim Verhältnis von Leistung zu Abtrieb haben die Fans genau das bekommen, wonach sie immer gelechzt haben: Mehr Leistung, weniger Abtrieb. Geradeaus gehen die neuen Turbo-Boliden fast so gut wie jene zu V10-Zeiten.

Adrian Sutil 2009 in der Eau Rouge, Foto: Sutton
Adrian Sutil 2009 in der Eau Rouge, Foto: Sutton

Speziell in Barcelona konnte man sehen, dass die Fahrer mit dem geringeren Abtriebsniveau zu kämpfen hatten - gleichzeitig taten die harten Reifen ihr Übriges. In Spa könnten die neue Regeln geradezu motorsport-epische Auswirkungen haben. Denn eine alte Bekannte könnte ihren Glanz zurückerlangen: Eau Rouge.

Diese heilige Kurve, die im Grunde genommen aus drei kleinen Richtungswechsel und jeder Menge Höhenunterschied besteht. Erst die enorme Kompression am Eingang, dann die brutale Steigung hinauf und zum Schluss die Kuppe am Kurvenausgang. Doch die letzten zehn Jahre hat die Kurve immer mehr ihren Reiz verloren: Die Leistung wurde weniger, der Abtrieb mehr. Vollgas lautete die Devise. Was einst eine Mutkurve war, in der man wertvolle Zeit verlieren oder gewinnen konnte, war nur noch eine für die Piloten schön zu durchfahrende Vollgas-Passage.

Daniel Ricciardo stimmt zu: "Die Formel 1 hat sich über die Jahre gewandelt. Einst waren Eau Rouge und Blanchimont die herausragenden Abschnitte, jetzt ist es vielleicht die Pouhon Doppellinks den Berg hinunter."

Rosberg: Weiterhin Vollgas durch Eau Rouge

Doch zumindest im Hinblick auf das Verhältnis zwischen Topspeed und Abtrieb hat die Formel 1 eine Rolle rückwärts gemacht. Bedeutet das gleichzeitig, dass Eau Rouge nicht mehr Vollgas geht? "In diesem Jahr besitzen die Autos aufgrund der neuen Regeln viel weniger Abtrieb. Dennoch werden wir hier mit Vollgas durchfahren", ist sich Nico Rosberg sicher. Sauber Ersatzfahrer Giedo van der Garde stimmt Rosberg zu. "Ich glaube, dass Eau Rouge und Blanchimont weiterhin Vollgas gefahren werden können."

Jacques Villeneuve machte bereits unliebsame Bekanntschaft mit den Streckenbegrenzungen in der Eau Rouge, Foto: Sutton
Jacques Villeneuve machte bereits unliebsame Bekanntschaft mit den Streckenbegrenzungen in der Eau Rouge, Foto: Sutton

Sicherlich gibt es auch in diesem Jahr gravierende Unterschiede beim Abtriebsniveau. Gleichzeitig sind die Unterschiede aber auch beim Antrieb größer. Gut möglich also, dass Renault- und Ferrari-Teams weniger Probleme haben, Eau Rouge Vollgas zu durchfahren - ihre Geschwindigkeit wird an dieser Stelle schlichtweg um einige Stundenkilometer geringer sein als die der Mercedes-Teams.

Dennoch ist Adrian Sutil anderer Meinung als sein Teamkollege. "Aufgrund des geringeren Abtriebs wird es in diesem Jahr bestimmt schwieriger sein, die Eau Rouge, eine meine Lieblingskurven, Vollgas zu fahren", so der Sauber-Pilot. Sergio Perez ist sich ebenfalls noch nicht sicher: "Es wird interessant sein, zu sehen, wie die Autos in diesem Jahr mit der Eau Rouge zurechtkommen und ob wir sie noch immer Vollgas nehmen können."

Vollgas-Rekord wackelt

Sollte Eau Rouge in diesem Jahr tatsächlich nicht mehr Vollgas gehen, ist Spa einen Rekord los. Denn zwischen La Source und Les Combes standen die Piloten in den Jahren zuvor rund 23 Sekunden ununterbrochen auf voll auf dem Gaspedal. Dieser Rekord würde dann nach China wandern. Auf dem Shanghai International Circuit dürfen die Piloten auf der 1170 Meter langen Geraden 15,5 Sekunden den Pinsel nach unten drücken.

Trotz der zahlreichen Simulationsmöglichkeiten scheint es aber noch keine eindeutige Antwort auf diese Frage zu geben. Bei Williams ist man sich ebenfalls noch nicht sicher. Das Team der Stunde, dem in Spa aufgrund der Streckencharakteristik gute Chancen angedichtet werden, selbst Mercedes unter Druck setzten zu können, rechnet aber eher damit, dass die bekannteste Kurve der Welt nicht mehr mit durchgedrücktem Gaspedal durchfahren werden kann. "Das würde dann dem Können und dem Mut der Fahrer alles abverlangen", so der Rennstall in seiner Belgien-Vorschau. Eine schöne Erkenntnis.