Die Ausgangslage für den Deutschland GP am Sonntag ist durch das verrückte Qualifying mehr als nur brisant. Denn durch den Wegfall Lewis Hamiltons als 'garantiertem' Podestanwärter eröffnen sich vor allem für die Mercedes-Jäger Williams und Red Bull plötzlich deutlich größere Chancen auf eine Podiumsplatzierung. Zwar dürfte der Sieg bei normalem Rennverlauf nur über Pole-Sitter und WM-Leader Nico Rosberg gehen, jedoch liegen mit Valtteri Bottas, Felipe Massa, Daniel Ricciardo und Sebastian Vettel potentiell vier Piloten im Clinch um mindestens einen Platz in der ersten Reihe für die obligatorische Champagnerdusche nach Rennende.

Während sich Williams langsam aber sicher als zweite Macht im Feld der Formel 1 entpuppt und beste Chancen auf das dritte Rennen in Folge auf dem Podium hat, zeigte Red Bull am Freitag vor allem in Person von Daniel Ricciardo, dass auch auf die Distanz in Hockenheim mit dem Vierfachweltmeister zu rechnen ist. McLarens Kevin Magnussen startet zwar von Rang vier, jedoch offenbarten die Chrompfeile bei den Longruns große Defizite, sodass ein Eingriff in den Kampf ums Podium kaum möglich erscheint. Große Unbekannte bleibt hingegen Hamilton. Bei normalem Rennverlauf sollte der WM-Zweite definitiv mindestens zur Verfolgergruppe hinter dem Teamkollegen aufschließen können. Motorsport-Magazin.com wagt einen Ausblick, wer sich die größten Hoffnungen auf die Plätze hinter dem wahrscheinlichsten Sieger Rosberg machen darf.

Lewis Hamilton hat eine Menge Arbeit vor sich, will er Schadensbegrenzung im WM-Kampf betreiben, Foto: Sutton
Lewis Hamilton hat eine Menge Arbeit vor sich, will er Schadensbegrenzung im WM-Kampf betreiben, Foto: Sutton

Was ist für Hamilton noch drin?

Die gravierende Überlegenheit der F1W05 eröffnet Hamilton trotz seines Crashes aufgrund eines Bremsdefekts in Q1 und eines wahrscheinlichen Starts aus der Boxengasse dennoch die Möglichkeit, das Rennen am vorderen Ende des Feldes zu beenden. Aktuell würde Hamilton als 15. ins Rennen gehen und somit mitten im Pulk, was natürlich ein ungleich höheres Risiko für Kollisionen und Berührungen nach sich zöge. Sollte Mercedes jedoch sämtliche Brembo-Bremsscheiben gegen diejenigen des zweiten Anbieters Carbone Industries austauschen, müsste der WM-Zweite automatisch aus der Boxengasse starten.

Der Weg bis in die Top-10 dürfte bei normalem Verlauf nicht mehr als einige Runden in Anspruch nehmen, jedoch könnte Hamilton im Verkehr der schnellen Autos bereits die Zeit verlieren, die einen Angriff auf den Sieg sehr unwahrscheinlich werden lässt. Interessant wird es dann, sobald Hamilton auf die Red Bulls und Williams aufläuft. Die Longruns am Freitag zeigten, dass Mercedes auf beiden Reifentypen mindestens drei Zehntelsekunden schneller war als die nächsten Verfolger.

Die Renndistanz von 67 Runden würde Hamilton bei gleichen Voraussetzungen mindestens einen Zeitgewinn von zwanzig Sekunden gegenüber dem ersten Mercedes-Verfolger einbringen. Bei Beachtung der Faktoren eines möglicherweise verspäteten Starts aus der Boxengasse sowie dem Zeitverlust durch die Überholmanöver könnte sich für Hamilton spätestens gegen Rennende dennoch die Chance bieten, gar auf den zweiten Rang nach vorne zu fahren. Die Williams zeigten in Österreich zwar, dass sie auch einen Mercedes rundenlang hinter sich halten können, jedoch bot der extrem schmale und enge Kurs kaum Überholmöglichkeiten. Die über einen Kilometer lange Parabolika inklusive DRS-Zone sollte am Sonntag jedoch zu Hamiltons Jagdrevier 'mutieren'. Selbst die Williams wären hier relativ chancenlos, zumal Hamilton bereits in der ersten DRS-Zone vor Kurve zwei extrem nah aufschließen könnte.

Williams und Red Bull bei Longruns gleichauf?

Die Longruns im zweiten Freien Training am Freitag brachten zunächst einmal spannende Daten ans Licht. Williams und Red Bull lagen bei den Rennsimulationen zeitenmäßig in etwa gleich auf. Natürlich ist jedoch nicht ausgeschlossen, dass Faktoren wie beispielsweise die Spritmenge oder der Verkehr das Bild leicht verzerrten. Von der groben Ausgangslage her hat Williams im Kampf um das Podium dennoch gefühlt die Nase vorne. So haben Bottas und Massa auf den Starplätzen zwei und drei nicht nur potentiell wenig Verkehr vor sich, die Streckencharakteristik der 'Power-Strecke' Hockenheimring spielt dem FW 36 mit dem starken Mercedes-Antrieb im Heck definitiv in die Karten.

Valtteri Bottas operiert derzeit auf dem Höhepunkt seines Schaffens, Foto: Sutton
Valtteri Bottas operiert derzeit auf dem Höhepunkt seines Schaffens, Foto: Sutton

Ein Blick auf die bisherigen Topspeeds am Wochenende beweist eindeutig: Williams ist Red Bull in dieser eminent wichtigen Kategorie deutlich überlegen. Mit jeweils über 330 km/h belegten Bottas und Massa auch hier die Plätze zwei und drei hinter Rosberg. Mit knapp zehn km/h Rückstand fand sich Ricciardo nur auf Rang zehn wieder. Sebastian Vettel belegte mit nicht einmal 320 km/h Höchstgeschwindigkeit gar nur den drittletzten Rang der 21 zur Qualifikation angetretenen Piloten. Bei einer Strecke mit Vollgasanteil von 65% ist die Wichtigkeit von Motorpower und Höchstgeschwindigkeit nur allzu offensichtlich, während die Aerodynamik - Red Bulls größter Vorteil - nur eine untergeordnete Rolle spielt. Nachdem auch Renaults geplantes Software-Upgrade für den Verbrennungsmotor nicht die gewünschte Wirkung zeigte, sieht sich Red Bull einer prekären Situation gegenüber.

PilotHöchstgeschwindigkeitPlatzierung
Rosberg332,5km/h1
Bottas331,5km/h2
Massa330,6km/h3
Hamilton324,7km/h7
Ricciardo322,3km/h10
Vettel319,2km/h19

Mögliches Start-Szenario

Nico Rosberg dürfte bei normalem Startverlauf schnell eine Lücke auf die Verfolger reißen, was den Williams theoretisch ebenfalls 'frei Fahrt' beschert. Die beiden Red Bulls von Vettel und Ricciardo müssen nicht nur erstmal am viertplatzierten Kevin Magnussen vorbei, sondern haben die schwierige Aufgabe, bis zur Freigabe des DRS innerhalb des ominösen Ein-Sekunden-Fensters zu bleiben. Da die guten Überholmöglichkeiten auf dem Hockenheimring auf oder am Ende von Vollgaspassagen liegen, benötigen sowohl Vettel als auch Ricciardo für etwaige Attacken auf einen der Williams-Piloten definitiv die zusätzlichen Stundenkilometer durch das Öffnen des Heckflügels. Sollten Bottas und Massa gleich zu Beginn vom 'Bremsklotz' Magnussen profitieren, könnte dies also bereits eine Vorentscheidung im Kampf gegen Red Bull herbeiführen.