Vor dem 'traditionellen' Saisonhighlight der Formel 1 in Silverstone brennen vor allem zwei Fragen unter den Fingernägeln: Ist Mercedes' Vorsprung nach zuletzt weniger souveränen Auftritten wirklich kleiner geworden? Und kann Lewis Hamilton im teaminternen Duell gegen Nico Rosberg vor heimischem Publikum das Blatt zu seinen Gunsten wenden? Nachdem die Konkurrenz von Williams und Red Bull den Silberpfeilen ergebnistechnisch zuletzt näher gekommen zu sein schien, fordert Niki Lauda nun eine klare Reaktion seines Teams. Der verpasste Sieg in Kanada nach dem Ausfall der MGU-H beider F1W05 Hybrid, die Pole Position für Mercedes-Motorenkunde Williams in Spielberg sowie der anschließend verhältnismäßig geringe Vorsprung von lediglich sechs Sekunden des zweitplatzierten Lewis Hamilton auf den Dritten Valtteri Bottas ließen im Lager der Silbernen bereits 'die Alarmglocken schrillen'.

In Österreich ärgerte Valtteri Bottas die Silberpfeile lange, Foto: Sutton
In Österreich ärgerte Valtteri Bottas die Silberpfeile lange, Foto: Sutton

Das Heimrennen in Silverstone - eine Tatsache, die übrigens auf sämtliche Teams mit Ausnahme von Ferrari, Sauber und Toro Rosso zutrifft - sollte bei normalem Verlauf jedoch dazu beitragen, dass Niki Lauda in naher Zukunft wieder mit niedrigerem Puls durchs Leben schreiten kann. Denn wie das Über-Team der neuen Turbo-Ära der Formel 1 bislang unter Beweis stellte, ist die aerodynamische Performance der Boliden fast annähern so beeindruckend wie die Antriebsstärke des hybriden Mercedes-Turbo-Motors. Gerade auf der englischen Traditionsstrecke mit vielen schnellen und flüssigen Passagen ist Downforce mehr als nur essentiell, vor allem, da diese grundsätzlich ohnehin um 20% geringer ist als bei den Rennwagen der Vorsaison. Dass Mercedes aufgrund der überlegenen Motorleistung und Traktion somit in sämtlichen Passagen des Kurses die Nase vorne haben dürfte, stellt die Konkurrenz vor eine schier unlösbare Aufgabe.

Red Bull wieder bei der Musik?

Dennoch sollten Red Bull und Ferrari mit gesteigerten Erwartungen ins Mutterland des Motorsports reisen. Nachdem zuletzt in Spielberg die mangelnde Vortriebsleistung gegenüber der gesammelten Mercedes-Konkurrenz für äußerst ernüchternde Resultate sorgte, kann vor allem der österreichische Vierfachweltmeister auf eine deutliche Performancesteigerung in Silverstone hoffen. In Sachen Aerodynamik hat Adrian Newey mit dem RB10 erneut ein Meisterstück abgelegt - eine Tatsache, die durch viele technische Defekte und mangelnde Motorperformance bislang oft verschleiert blieb. Sollte der Defektteufel Red Bull verschonen, sind viele Punkte für Daniel Ricciardo und Sebastian Vettel nicht auszuschließen. Endet die gefühlt unendliche Pechsträhne des Deutschen, steht uns ein weiteres spannendes Teamduell ins Haus.

Endet Sebastian Vettels Pechsträhne in Silverstone?, Foto: Sutton
Endet Sebastian Vettels Pechsträhne in Silverstone?, Foto: Sutton

Ferrari steht in Silverstone mächtig unter Druck, will das Team im Kampf um Platz drei bei den Konstrukteuren ein Ausrufezeichen gegenüber der Konkurrenz von Williams und Force India setzen. Fernando Alonso operiert wie gewohnt in Topform und sollte durch den geringeren Performance-Nachteil gegenüber der direkten Konkurrenz wieder ein gutes Resultat abliefern können. Bereits sechs Mal stand der Spanier in Silverstone auf dem Podest, und somit einmal mehr als Teamkollege Räikkönen, der nach bislang viel Pech und mauen Auftritten ein Erfolgserlebnis braucht. Nach seinem ersten Podium der Saison wird Williams' Finne Valtteri Bottas sicherlich im Fokus stehen. Auch für ihn und Teamkollege Felipe Massa stehen die Aussichten auf gute Punkte vielversprechend. Vor allem der niedrige Spritverbrauch des FW36 gegenüber der Spitzengruppe könnte ein kleiner aber feiner Vorteil für den Rennstall von Frank Williams bedeuten.

Lotus und Toro Rosso wieder in Schlagdistanz?

Während weitere Zähler für Force India kaum jemanden überraschen würden, muss McLaren um seine Rolle als 'sechste Kraft' im Feld fürchten. Außer dem Mercedes-Antrieb hat das aktuelle Paket im bisherigen Saisonverlauf kaum weitere Stärken offenbart, wohingegen Lotus und Toro Rosso durch ihren deutlichen Vorteil in den zahlreichen schnellen Kurven die Chrompfeile mehr als nur ernsthaft gefährden könnten. Allerdings bietet Silverstone stets zahlreiche äußere Faktoren für chaotische und unvorhersagbare Rennen: Plötzliche und heftige Regenschauer, starke Winde, ein hoher Reifenverschleiß sowie eine extreme physische und mentale Belastung für die Fahrer, die schnell zu Fehlern führen kann.

Redaktionskommentar:

Motorsport-Magazin.com meint: Im Vorjahr vermasselte ein Reifenschaden einen möglichen Heimsieg Hamiltons, den sich nach Vettels Ausscheiden durch technischen Defekt letztlich Nico Rosberg sicherte. Ein wenig scheint das letztjährige Rennen die Kurzversion der aktuellen Saison zu sein, bei der sich Hamilton bislang vergeblich streckt, jedoch der Teamkollege meist einen Schritt voraus scheint. Bei allem Pech: Will Hamilton Weltmeister werden, muss er an diesem Wochenende liefern. Vor heimischem Publikum darf es keine Ausreden geben. Ebenfalls wünsche ich uns allen einen spannenden teaminternen Kampf bei Red Bull, der zuletzt aufgrund äußerer Umstände leider öfter ausblieb. Mit Rückenwind für Williams, konstant starken Force India sowie unter Druck stehenden Ferrari sind sämtliche Zutaten für ein weiteres tolles Rennen gegeben (Samy Abdel Aal).