Vor 20 Jahren zerschellte an einer Betonmauer im italienischen Imola der FW16 von Ayrton Senna und mit ihm nicht nur die Hoffnung einer ganzen Nation sondern auch ein großes Stück Formel-1-Geschichte. Der Tod der brasilianischen Rennlegende und des dreifachen Weltmeisters sorgte weltweit für riesengroße Bestürzung und Trauer, die auch zwei Jahrzehnte später kaum abgenommen hat. Bis heute ist Senna der letzte F1-Pilot, der bei der Ausübung dessen, was er mehr liebte als alles andere, sein Leben lassen musste - an der Sicherheitsfront wird seit 1994 akribischer denn je daran gearbeitet, dass das auch so bleibt. Der Mythos Senna ist hingegen posthum weiter angewachsen und anstatt weniger Fans bekommt der 1960 in Sao Paulo geborene Rennfahrer immer mehr...

Motorsport-Magazin.com hat aus Anlass des Todestages des brasilianischen Volkshelden in seinen Archiven gewühlt und eine ganz besondere Story ausgegraben: Gemeinsam mit Ayrton Sennas Neffe Bruno begaben wir uns in Italien auf eine Spurensuche, die sich letztendlich wie eine Zeitreise anfühlte.

Die Begeisterung für den Motorsport war nie weg

Juli 2012: Bruno Senna, damals seit gut einem halben Jahr Williams-Pilot in der Formel 1, weilt in der italienischen Provinz Emilia Romagna, um sich die Lorenzo-Bandini-Trophäe abzuholen, den begehrtesten Nachwuchspreis der Königsklasse. Die Verleihung findet in dem kleinen Städtchen Brisighella statt, nur eine Handvoll Kilometer entfernt vom Autodromo Enzo e Dino Ferrari in Imola, dem so schicksalhaften Ort des tragischen Unfalltods Ayrton Sennas beim Großen Preis von San Marino am 1. Mai 1994. Ausgerechnet dort so eine Auszeichnung überreicht zu bekommen, lässt auch den lebenslustigen Rennfahrer nicht kalt, erst recht nicht, da Bruno gute 18 Jahre später auch noch im gleichen Team wie sein legendärer Onkel Gas gibt.

Bruno fuhr wie sein Onkel Ayrton für Williams, Foto: Sutton
Bruno fuhr wie sein Onkel Ayrton für Williams, Foto: Sutton

Das ruft unweigerlich spezielle Erinnerungen auf den Plan. Motorsport-Magazin.com ist bei der Preisverleihung dabei und erfährt in einem exklusiven Gespräch mit Bruno Senna von seinen Erinnerungen an das größte brasilianische Sportidol aller Zeiten. Dass Senna an jenem Sommertag auf dem sonnengefluteten Balkon des Rathauses der kleinen Italienischen Gemeinde stehen und seinen Preis entgegennehmen darf grenzt an ein kleines Wunder, denn fast wäre auch seine Karriere schon vorbei gewesen, bevor sie überhaupt begonnen hatte. Nach den tragischen Ereignissen von Imola war Motorsport in der Familie erst einmal tabu - der innere Drang und die Liebe zur Geschwindigkeit verblasste beim Teenager aber nie.

Senna wurde mit McLaren dreimal Weltmeister, Foto: Sutton
Senna wurde mit McLaren dreimal Weltmeister, Foto: Sutton

Hatte Bruno sie nicht ohnehin schon ins Blut gelegt bekommen, wurde sie spätestens entfacht, als der Dreikäsehoch von seinem Onkel Fahrunterricht im Kart bekam, nur um diesen auf der hauseigenen Strecke anschließend immer öfters zu schlagen. Im Alter von 20 Jahren holte ihn diese Sehnsucht ein und nach langem Zureden erlaubte ihm die Familie doch noch die Aufnahme einer Rennsportkarriere. "Die Begeisterung für den Motorsport war ja nie weg - ich habe ihn immer geliebt, auch noch nach dem Unfall", so der Brasilianer. Über die Britische Formel 3, die GP2, inklusive einem viel beachteten Sieg beim Prestigerennen in Monaco und der Vizemeisterschaft 2008, sowie einem kurzen Sportwagen-Intermezzo bei Oreca, führte der steile Weg den jungen Senna 2010 tatsächlich ins Oberhaus des Motorsports.

Es war einer dieser Tage...

Nachdem das Debüt mit dem unterlegenen HRT-Rennstall floppte, avancierte der Brasilianer 2011 bei Lotus-Renault vom Test- zum Stammfahrer, ehe in der Weg nach Grove und ins ehemalige Team seines Onkels führte. Dass er ob der verhängnisvollen Historie, die die Namen Senna und Williams verbindet, vor seinem Wechsel über interne Widerstände haben hinwegsetzen müssen, verneint er. Bedenken habe es keine gegeben. "Meine Familie war sogar extrem glücklich darüber, dass ich die Chance bei Williams bekommen habe - es gab daheim diesbezüglich also nur lachende Gesichter." Vergessen können, das hat in Bezug auf die schrecklichen Vorfälle 1994 im Senna-Clan aber trotzdem niemand.

"Ich habe volle Erinnerung an das Wochenende. Ich denke, das war einer dieser Tage... von denen die meisten Leute noch sehr genau wissen, wo sie gerade waren oder was sie gemacht haben, als Ayrton gestorben ist. Es ist nicht einfach...", spricht Senna erstmals offen über die traumatischen Ereignisse. Von seinem positiven Wesen wollte er sich durch die Tragödie aber trotzdem nicht abbringen lassen. "Das Wichtigste ist, dass man die guten Dinge, die Ayrton getan hat, für die Welt bewahrt und nicht den traurigen Teil."

"Nun, da Ayrton physisch nicht mehr unter uns ist, ist er es dafür umso mehr im Geiste. Heute sind immer noch so viele Leute tief von ihm berührt und ich denke es ist das, was wir am Ende des Tages davon mit nach Hause nehmen sollten", erklärt der Rennfahrer. Er selbst habe es geschafft, das für sich in die Tat umzusetzen. "Die besten Erinnerungen an Ayrton habe ich eigentlich gar nicht von der Strecke, sondern wenn er zu Hause war und sich entspannt hat. Wenn er bei seiner Familie war, konnte er von dem ganzen hektischen Rummel der Formel 1 einmal abschalten und seine Zeit genießen - das hat man gemerkt, dann trug er sein Herz offen", sagt der Brasilianer, während ihm das Schwelgen in Erinnerungen ein Lächeln auf die Lippen zaubert.

Lesen Sie morgen im zweiten Teil unseres exklusiven Senna-Specials von Ayrton Sennas letztem Abend, der Begegnung mit einer Zeitzeugin der etwas anderen Art und was Bruno sein weltberühmter Familienname wirklich bedeutet.