Vor dem Oberlandesgericht München läuft seit dem 24. April ein weiterer spektakulärer Prozess. Nach dem NSU-Prozess und der Klage gegen Uli Hoeneß wegen Steuerhinterziehung hat die Münchener Justiz diesmal Formel-1-Chef Bernie Ecclestone im Visier. Der 83-Jährige wird der Bestechung in einem besonders schweren Fall in Tateinheit mit Anstiftung zur Untreue in einem besonders schweren Fall bezichtigt.

Die Anklageschrift liest sich wie ein Krimi - ein äußerst komplizierter Krimi. Wer Ecclestone kennt, der weiß, dass die Machenschaften des Briten nahezu undurchschaubar sind. Genau das machte und macht ihn in der Welt der Formel 1 so unentbehrlich. Doch wie geriet Ecclestone in das Visier der Ermittler? Motorsport-Magazin.com erläutert die Geschichte in allen Details.

Bayern LB erhält Formel-1-Anteile

Der Polit-Thriller beginnt im Mai 2002 mit der Insolvenz der Kirch-Gruppe, die ihren Kredit in Höhe von 987,5 Millionen US-Dollar bei der Bayerischen Landesbank nicht mehr zurückzahlen kann. Statt des Geldes erhält die Bayern LB eine Beteiligung von 62,2 Prozent an der Formel-1-Beteiligungsgesellschaft Speed Investment Ldt. Die restlichen 37,8 Prozent gehen zu gleichen Teilen an die Banken J.P. Morgen und Lehman.

Speed ist zum damaligen Zeitpunkt mit 75 Prozent an der Formel-1-Muttergestellschaft SLEC Holding Ltd. beteiligt, benannt nach Bernie Ecclestones zweiter Ehefrau Slavica. Die restlichen 25 Prozent waren im Besitz der Bambino Holdings Limited. Bei Bambino handelt es sich um einen Treuhandfond zugunsten Ecclestones Exfrau Slavica sowie seinen Töchtern Petra und Tamara.

Zumindest offiziell: Es gilt als offenes Geheimnis, dass Ecclestone diesen Treuhandfond nur wegen steuerlicher Vorteile einrichtete. Die angegebene Gründerin des Fonds ist Slavica Ecclestone, doch die eigentliche Kontrolle darüber soll einzig und allein Bernie Ecclestone haben. Diese Tatsache wird in der späteren Verteidigung Ecclestones eine zentrale Rolle einnehmen.

Banken wollen Ecclestones Macht einschränken

Die 62,2-prozentige Beteiligung der Bayern LB an Speed ergibt mit deren 75-prozentigen Beteiligung an SLEC einen rechnerischen Anteil von 46,65 Prozent an der Formel-1-Muttergesellschaft. Ein beträchtlicher Anteil also, der eigentlich der Bayern LB ein großes Mitspracherecht bei den Geschäften der Formel 1 zusichern sollte. Dem war jedoch nicht so.

Hintergrund: Die Rechte an der kommerziellen Vermarktung der Formel 1 hat der internationale Automobilverband FIA für 100 Jahre an die Tochtergesellschaften der Formula One Group (FOG) verkauft. Eigentümer der FOG ist SLEC. In erster Linie betreiben Tochtergesellschaften der FOG, die Formula One Management Ltd. (FOM) und die Formula One Administration Ltd. (FOA) das operative Geschäft der Formel 1.

Bernie Ecclestones Geschäfte sind nur schwer zu durschschauen, Foto: Sutton
Bernie Ecclestones Geschäfte sind nur schwer zu durschschauen, Foto: Sutton

Bernie Ecclestone hat das Sagen in der FOG. Der Brite konnte Zeit seines Lebens schalten und walten, wie ihm gerade danach war. Außer Ecclestone gab es quasi niemanden. Das sollte sich mit den neuen Anteilseignern der SLEC ändern.

Gerhard Gribkowsky, zum damaligen Zeitpunkt Mitglied des Vorstands der Bayern LB mit Ressortzuständigkeit für den Geschäftsbereich Risikomanagement, soll die Speed-Anteile verwerten. Im Jahr 2003 beginnt sich Gribkowsky näher in die Thematik Formel 1 einzuarbeiten und kommt dabei zu der Erkenntnis, dass die Geschäfte sehr intransparent, Vermarktungs- und Lizenzverträge nicht nachvollziehbar sind.

Ziel der Bayern LB ist es, die Anteile an Speed so zu veräußern, dass ausgegebene Kredite, möglichst nebst Zinsen und Kosten wieder ausgeglichen werden. Um die Verkaufsfähigkeit der Anteile wiederherzustellen, muss sich aber am System etwas ändern. Anteile an der Formel 1, bei der faktisch nur Bernie Ecclestone etwas zu sagen hat, lassen sich schlecht veräußern.

Speed und SLEC trieben deshalb 2004 eine Klage in London gegen die FOH voran. Sie wollen ihrer Anteilsstärke entsprechend in den Verwaltungsgremien der Formel-1-Gesellschaft repräsentiert werden, um so Einfluss auf das operative Geschäft nehmen zu können. Am 6. Dezember 2004 entscheidet das Gericht zugunsten der Kläger.

Für Ecclestone bedeutet das eine klare Einschränkung in seiner Macht, die er so nicht hinnehmen will. Also lässt er sich kurzerhand - ohne Gegenleistung - von Bambino eine Stimmrechtsaktie geben, die ihm 50 Prozent der Stimmrechte im Aufsichtsrat der FOA verschafft. Somit können ohne Ecclestones Einwilligung keine Beschlüsse mehr gefasst werden.

Gribkowsky: Von Ecclestones Gegner zu Ecclestones Mitspieler

Ernsthaftes Mitwirken der großen Anteilseigner ist folglich weiterhin nicht möglich. Deshalb kommt es im Januar 2005 zu einer weiteren Klage. Speed, SLEC und FOH fordern darin die anteilsmäßige Direktorenbesetzung in der FOA und die Nichtigerklärung von Ecclestones Stimmrechtsaktie.

Eine Niederlage vor Gericht würde für Ecclestone vermutlich das Aus als Geschäftsführer der Formel-1-Gesellschaften bedeuten oder zumindest eine immense Schwächung seiner bisherigen Position.

Um zusätzlich Druck auf Ecclestone aufzubauen, macht Gribkowsky gegenüber dem Briten Andeutungen, dass es nicht Slavica sei, die über den Bambino Treuhandfond bestimmt, sondern Bernie Ecclestone selbst. Zur gleichen Zeit muss sich Bernie Ecclestone in Großbritannien Steuerprüfungen unterziehen. Würde Gribkowsky die Steuerbehörden auf den Treuhandfond aufmerksam machen, wäre die Prüfung für Ecclestone langwieriger.

Undurchsichtig ist nicht nur die Wolkendecke, Foto: Sutton
Undurchsichtig ist nicht nur die Wolkendecke, Foto: Sutton

Während sich der FOA-Prozess in die Länge zieht und immer mehr klar wird, dass Ecclestone seine Machtposition verlieren wird, kommt es im April/Mai 2005 zu einem Treffen zwischen Gribkowsky und Ecclestone in dessen Londoner Büro. Ecclestone sieht eine Chance, weiterhin in seiner Position zu bleiben, wenn die Bayern LB ihre Speed-Anteile schnell verkaufen würde.

Dazu benötigt Ecclestone die Hilfe Gribkowskys. Dieser soll Einfluss auf die Entscheidungsgremien der Bayern LB nehmen und einen Verkauf an einen Ecclestone-genehmen Käufer vorantreiben. Gleichzeitig soll er dafür sorgen, dass der Formel-1-Chef bis dahin in Ruhe gelassen wird und weiterhin seine Geschäfte abschließen kann. Im Gegenzug dafür soll Gribkowsky eine nicht unerhebliche Summe an Geld erhalten.

Gribkowsky geht auf den Deal ein und handelt in Folge nicht mehr im Interesse der Bayern LB, sondern so, wie es sich Ecclestone wünscht.

Im August 2005 mündet die FOA-Klage in einer Vergleichsvereinbarung, dem sogenannten Settlement Agreement. Die unzulässige Besetzung des Aufsichtsrats wird aufgehoben, die Anteilseigner erhalten mehr Kontrolle. Gleichzeitig behält aber die Bambino ein Veto-Recht gegen die Abberufung Ecclestones als Geschäftsführer.

Zur gleichen Zeit wird dem Finanzunternehmen CVC Captial Partners Ecclestone von einem Vermittler vorgestellt. CVC ist am Erwerb einer bestimmenden Mehrheitsbeteiligung an der SLEC interessiert. CVC würde die Anteile der Bayern LB und der Bambino an der SLEC kaufen, gleichzeitig aber Bernie Ecclestone weiterhin als CEO einsetzten - für Ecclestone also die perfekte Lösung.

Ecclestone wird zum Vermittler in eigener Sache

Um den Verkauf schnellstmöglich voranzutreiben, bringt Ecclestone Gribkowsky mit CVC zusammen. Weil sich der Gesamtwert der Formel-1-Rechte auf etwa zwei Milliarden US-Dollar belief, CVC allerdings mit einem deutlich niedrigeren Wert kalkuliert hatte, vermittelt Ecclestone CVC sogar eine Teilfinanzierung bei der Royal Bank of Scotland. Summe: 600 bis 650 Millionen US-Dollar.

Im September 2005 will Ecclestone, dass die Verhandlungen zwischen Bayern LB und CVC konkret werden. Er arrangiert ein Treffen im Rahmen des Großen Preises von Belgien in Spa. Dabei wird erstmals ein konkretes Angebot abgegeben, das weniger später geringfügig modifiziert wird. Am 20. September kommt es zum Beschluss des Vorstands der Bayern LB, die Verhandlungen mit CVC fortzuführen. Rund 830 Millionen Euro soll der Kaufpreis für die Speed-Anteile betragen.

Seit Jahrzehnten leitet Ecclestone die Geschicke der Formel 1, Foto: Phipps/Sutton
Seit Jahrzehnten leitet Ecclestone die Geschicke der Formel 1, Foto: Phipps/Sutton

Alternative Angebote wurden von Gribkowsky gar nicht erst geprüft, Ecclestone wollte den Deal mit CVC so schnell wie möglich in trockene Tücher bringen. Später stellte sich heraus, dass andere Interessenten teils deutlich mehr für die Anteile geboten hatten, aber nicht berücksichtig wurden. Gribkowsky war also nicht daran interessiert, den für die Bayern LB bestmöglichen Käufer zu finden, sondern Bernie Ecclestone dabei zu helfen, seine Machtposition zu sichern, weil ihm im Gegenzug finanzielle Gegenleistungen in Aussicht gestellt wurden.

Doch Ecclestone soll bei dem Deal auch nicht leer ausgehen. Da er quasi als Vermittler zwischen CVC und der Bayern LB fungiert, fordert er eine Provision in Höhe von zehn Prozent des Kaufpreises. Letztendlich einigt er sich mit Gribkowsky auf fünf Prozent, die allerdings auch von der Bambino gezahlt werden müssen, da Gribkowsky die Provisionszahlung sonst nur schwer beim Vorstand durchbekommen würde.

Am 15.11.2005 stimmt der Vorstand der Bayern LB dem Verkauf der Speed-Anteile an CVC zu. Der Gesamtwert der Formel-1-Anteile wurde dabei auf 2.093.479.479 US-Dollar taxiert. Nach Abzug von Verbindlichkeiten in Höhe von rund 313 Millionen US-Dollar zahlt CVC für 62,2 Prozent der Speed-Anteile 828.866.602 US-Dollar. Die Bambino-Anteile an der SLEC werden zum gleichen Preis pro Aktie verkauft. Am 24.03.2006 wird der Verkauf dinglich vollzogen.

Es geht um Geld, nicht um den Sport, Foto: Sutton
Es geht um Geld, nicht um den Sport, Foto: Sutton

Daraus ergibt sich für Ecclestone eine Provision in Höhe von 41.443.330 US-Dollar, die am 29. März 2006 von der Bayern LB bezahlt werden. Gribkowsky hatte dem Vorstand vor Vertragsunterzeichnung erklärt, Ecclestones Provision sei ein sogenannter 'Deal-Braker'. Ohne diesen würde der Verkauf nicht zustande kommen. Natürlich entsprach das nicht der Wahrheit, denn Ecclestone wollte ohnehin unbedingt, dass CVC neuer Mehrheitseigentümer wird, um seine Position als CEO zu festigen.

Gleichzeitig wurde der Verkauf dazu genutzt, eine alte Forderung der Bambino umzusetzen. Noch bevor die Speed-Anteile in Besitz der Bayern LB übergegangen waren, will Bambino eine Zahlung in Höhe von 40 Millionen Dollar an die Formel-1-Teams geleistet haben. Seit Jahren gab es darüber Streit, ob die Bayern ihrem Anteil an der SLEC entsprechend an den 40 Millionen beteiligt werden müsste.

Im Settlement Agreement aus dem Jahr 2005 wurde sich darauf geeinigt, dass nur bei Vorlage belastbarer Belege die Bayern LB ihren Anteil an der Zahlung übernehmen müsse. Belastbare Belege gab es weiterhin nicht, also auch keinen rechtsgültigen Anspruch. Doch Gribkowsky erklärte dem Vorstand, dass auch diese Forderung ein 'Deal-Braker' sei. Der Ausgleich erfolgte über den Kauf der SLEC-Anteile: CVC überwies der Bayern LB 25 Millionen Euro weniger, Bambino die gleiche Summe mehr.

40 Millionen hin, 40 Millionen her

Ecclestones Forderungen wurden also erfüllt. Nun war Gribkowsky an der Reihe. Beim Bahrain GP 2006 fragt der Brite den Deutschen nach einer konkreten Summe, die er für seinen Einsatz verlange. Gribkowsky fordert 50 Millionen US-Dollar. Bei einem weiteren Treffen im Mai 2005 in London einigen sich beide auf 45 Millionen Dollar.

Ecclestone und Gribkowsky haben sich geeinigt, Foto: Sutton
Ecclestone und Gribkowsky haben sich geeinigt, Foto: Sutton

Diese Transaktionen sollen als zwei Beraterverträge getarnt werden. Um Herkunft und Adressat zu verschleiern, werden hierzu mehrere Briefkastenfirmen gegründet. Zwischen Juli 2006 und Dezember 2007 gehen so Zahlungen in einer Gesamtsumme von 43.270.772 auf Gribkowskys Konto ein. Die Staatsanwaltschaft München ist der Fall klar: Es handelt sich um eine sogenannte Kick-Back-Zahlung.

Die Bayern LB zahlte Ecclestone eine Provision, die dieser später an Gribkowsky zurückzahlte. Ecclestone sieht die Sache anders: Das Geld, dass er Gribkowsky überwies, war kein Schmiergeld, sondern Schweigegeld, damit ihn der Banker nicht bei den britischen Steuerbehörden anschwärzte. Die Andeutungen, die Gribkowsky Anfang 2005 bezüglich des Treuhandfonds gemacht hatte, fasste Ecclestone als Erpressung auf.

Gribkowsky wird 2012 in München der Prozess gemacht. Wegen Bestechlichkeit in Tateinheit mit Untreue und Tatmehrheit mit Steuerhinterziehung wird er zu achteinhalb Jahren Haft verurteilt. Während des Verfahrens gesteht Gribkowsky, Schmiergelder von Ecclestone angenommen zu haben.