Welcher Titel ist Ihnen lieber: Norman Foster des Motorsports oder Herr der Ringe?
Hermann Tilke: Eigentlich keiner von beiden, aber Herr der Ringe hat irgendein Journalist einmal erfunden und ich finde das eigentlich ganz nett. Aber es ist nicht wirklich wichtig.

Können Sie kurz umreißen, wie Sie beginnen, wenn Sie einen neuen Auftrag haben? Es steckt ja so viel mehr dahinter als nur eine Rennstrecke, was viele vielleicht gar nicht so wissen...
Hermann Tilke: Wenn wir beginnen, sehen wir uns das Land, das wir zur Verfügung haben, erst einmal genau an: die Topografie, die Lage, die Beschaffenheit, wie sind die Grenzen - ist es länglich, ist es quadratisch - was kann man daraus machen, woher kommen die Hauptzuschauerströme, wo ist die Hauptinfrastruktur, die Hauptwindrichtungen, die Lage zum Norden - also der Sonnenstand - und so weiter. Das sehen wir uns erst einmal ganz genau an.

Die Größe von Auslaufzonen ist vorgegeben., Foto: Sutton
Die Größe von Auslaufzonen ist vorgegeben., Foto: Sutton

Dann sammeln wir alle Restriktionen, die auf so einem Grundstück liegen. Es ist fast nie so, dass das einfach ein weißes Blatt Papier ist mit Grenzen drumherum. Es gibt Restriktionen wie Nester an schlechtem Boden im Grundstück, die man möglichst nicht befahren sollte, weil es sonst teurer wird. Dann gibt es vielleicht Baurestriktionen von der Höhe her. Das wird gesammelt und dann ist das Papier nicht mehr weiß, das wir da vor uns liegen haben.

Wir sitzen dann zu mehreren zusammen, jeder hat sich vorher Gedanken gemacht und schließlich entsteht das Grundkonzept. Normalerweise fängt man an mit Start-und-Ziel und Fahrerlager, also überlegt sich: Wo machen wir das am besten hin? Das Fahrerlager bedeutet ja immer das Boxengebäude und auf der gegenüberliegenden Seite die Haupttribüne und dahinter die 'vending area', wo dann etwas los sein soll. Wo sind dann die Hauptparkplätze, damit die Zuschauer nicht zu weit laufen müssen? Das legen wir zuerst fest und dann entwickeln wir daraus die Strecke.

Es ist oft so, dass nicht die ersten Ideen und Skizzen nachher auch umgesetzt werden. Wenn man darüber geschlafen hat, denkt man sich vielleicht, dass es doch nicht so gut ist und man es ändern könnte. Schließlich kommt der Entwurf in den Rechner und dann kommen meistens auch noch einmal Änderungen dazu, weil bestimmte Dinge technisch nicht möglich sind. So entwickelt sich das Stück für Stück.

Bei den Streckenlayouts sind Sie ja nicht mehr so frei. Früher hat man eine Strecke gebaut und fertig. Jetzt gibt es bestimmte Vorgaben von der FIA, Auslaufzonen und so weiter...
Hermann Tilke: Eigentlich gibt es nur zwei Vorgaben. Ok, sagen wir drei. Das eine ist, dass die Start-Ziel-Gerade mindestens 500 Meter lang sein muss - also ungefähr, 250 Meter bis zur ersten Kurve müssen wir haben, wobei es da auch Ausnahmen gibt, aber in der Regel ist es so. Dann gibt es die Vorgabe der Auslaufzonen. Die werden berechnet über die Geschwindigkeit, wie würde sich das Auto im Havariefall benehmen, wann wird es zum Stehen kommen? Dann die Streckenlänge - es gibt eine Mindestlänge, entscheidend ist aber eher die Rundenzeit. Und zwar deshalb, damit sich die Katze nicht so schnell in den Schwanz beißt, das heißt, nicht zu schnell Überrundungen stattfinden. Deshalb ist die Laptime ausschlaggebend für die Streckenlänge, nicht so sehr die Länge.

Geraden machen spannende Rennen

Es gibt immer wieder Kritik an Ihren Strecken, manche sagen, dass alle langweilig sind, relativ gleich, die klassischen Rennstrecken bieten ihnen mehr. Wie gehen Sie damit um?
Hermann Tilke: Gleich sind sie sicher nicht, aber sie haben natürlich Elemente, die immer gleich sind: Lange Geraden brauchen wir. Erst einmal muss man irgendwo Speed generieren, zweitens zum Überholen und so weiter. Geraden machen einfach auch spannende Rennen. Dann gibt es natürlich die Vorschriften der FIA, was die Auslaufzonen angeht. Nehmen Sie eine Strecke wie hier und stellen die Leitplanke direkt an die Strecke - das ist schon anders, aber das geht heute nicht mehr, das will ja keiner mehr. Und deshalb sind da Zwänge.

Dann kommt noch eines dazu: Wir bauen nicht nur für die Formel 1, sondern auch für andere Rennserien, aber auch für die Motorräder. Die wollen in bestimmten Arten von Kurven noch mehr Auslaufzonen haben. Das ist auch verständlich, die tun sich direkt weh. Wenn die eine Schulter gebrochen haben, ist die Saison vielleicht vorbei. Deshalb wollen die das natürlich nicht. Das verstehe ich auch. Die Auslaufzonen werden durch die Motorradfahrer also nochmal größer, zumindest wenn sie Motorrad-geeignet sein sollen. Das sind Zwänge, in denen wir stecken. Man kann die Zeit nicht zurückdrehen.

Die Strecke in Sotschi liegt soweit im Plan., Foto: Sauber
Die Strecke in Sotschi liegt soweit im Plan., Foto: Sauber

Jetzt haben wir mit Sotschi ein Projekt, das bald fertig sein sollte. Wie sieht es da aus? Alles im Zeitplan?
Hermann Tilke: Soweit ja. Zum Ende wird es immer knapp. Wir mussten ja während der Olympischen und Paralympischen Spiele aufhören zu arbeiten. Offiziell konnten wir am 1. April - eigentlich schon ein paar Tage vorher - wieder anfangen mit den Baumaßnahmen. Einige fliegende Bauten von Olympia, also die nur temporär aufgebaut waren, müssen wieder weg. Jetzt müssen wir das Boxengebäude leicht umbauen, das war ja schon so gut wie fertig. Aber es wurde für Olympia genutzt und durch die andere Nutzung waren andere Innenwände da. Nun kommen einige Wände raus, andere rein. Bei der Strecke kommen die letzten Layer jetzt drauf, dann werden die Sicherheitsmaßnahmen gemacht. Es wird knapp, aber es ist jetzt nicht so, dass einer von uns schlaflose Nächte hat, dass es nicht klappen würde.

Ein Grand Prix, der uns schon länger beschäftigt, ist New Jersey...
Hermann Tilke: Da kann ich nichts zu sagen, weil ich da auch nichts zu weiß. Das ist immer so ein hin und her gewesen. Ich weiß es nicht.

Bei manchen Strecken wie hier in Bahrain oder auch in Russland gibt es den Rüffel an die Formel 1, weil es politisch nicht so ganz ohne ist. Sehen Sie da eine Verantwortung bei der Formel 1 oder auch bei sich selbst?
Hermann Tilke: Sie meinen, dass man in Ländern nicht fährt, wo... Na ja, das ist eine grundsätzliche Sache: Wie politisch ist Sport? Natürlich ist er auch politisch, weil er ein Land nach außen darstellt, aber wo ist da die Grenze? Das ist so eine schwierige Entscheidung. Ich denke einfach, dass man den Sport Sport sein lassen sollte und man das eben da machen sollte, wo es möglich ist. Es gibt viele Länder, wo vieles im Argen ist. Die Auswahl würde verdammt klein, wenn man da harte Maßstäbe ansetzen würde.

Krisengebiete und Herzblut

Jetzt arbeiten wir mal die Krisengebiete ab: Der Nürburgring, 2009 das Projekt - da hat sich im Nachhinein auch noch Einiges getan, einige Sachen werden geschlossen, teilweise abgebaut. Wissen Sie, was genau davon betroffen sein wird?
Hermann Tilke: Weiß ich nicht, da bin ich nicht informiert.

Aber gefallen kann Ihnen das vermutlich nicht, oder?
Hermann Tilke: In der Konzeptfindung dieses Erlebnisparks waren wir nicht beteiligt. Wir haben das nachher umgesetzt, aber eben als reine Umsetzer. Davor war es in der Regel so, dass wir auch an der Konzeptfindung beteiligt waren, aber in diesem Fall überhaupt nicht. Also was soll ich dazu sagen?

Kommen wir zu erfreulicheren Sachen - dem Red Bull Ring zum Beispiel...
Hermann Tilke: Das freut mich sehr. Die Strecke gibt es ja her, die Strecke hat immer spannende Rennen produziert. Sie ist zum Rennen fahren einfach eine super Strecke.

Die Anwohner sind da immer etwas skeptisch. Haben Sie infrastrukturtechnisch Bedenken?
Hermann Tilke: Nein, das hat früher funktioniert, warum sollte das jetzt nicht funktionieren? Red Bull hat viel Erfahrung mit großen Events, Red Bull hat auch einiges, was die Infrastruktur angeht, verbessert. Ich sehe da wirklich kein Problem. Die kriegen das schon hin.

Stichwort Red Bull Ring - da hatten Sie gerade so ein Leuchten im Auge - haben Sie eine persönliche Lieblingsstrecke? Einmal eine allgemeine Lieblingsstrecke und einmal eine persönliche, die Sie selbst entworfen haben?
Hermann Tilke: Der Red Bull Ring war die erste Formel-1-Strecke, die wir gebaut haben. Meine Kollegen und ich haben viel Herzblut da drin, aber das ist eigentlich bei jeder Strecke so. Ich kann nicht sagen, dass ich eine Lieblingsstrecke habe. Meine Lieblingstrecke zum Fahren war die Nordschleife vom Nürburgring, aber so alt bin ich noch nicht, dass ich die 1927 hätte bauen können.

Sie haben es ja eben angesprochen: Sie greifen auch gerne ins Lenkrad...
Hermann Tilke: Jetzt nicht mehr, vor knapp vier Jahren habe ich aufgehört. Irgendwann muss man aufhören. Ich bin Rennen gefahren seitdem ich 18 bin, das ist schon eine lange Zeit. Ich bin einfach zu langsam geworden, das war so. In den letzten Jahren gingen die Zeiten einfach etwas in die Höhe, da muss man dann irgendwann sagen, das ist es auch gewesen.

Aus Racersicht: Wie finden Sie die neue Formel 1?
Hermann Tilke: Ich weiß es noch nicht, dafür ist es auch noch zu jung. Ich fand natürlich, dass der kernige Sound für alle etwas gebracht hat. Das war natürlich ein Stück der Formel 1, ein Stück der Atmosphäre. Jetzt muss man sich an etwas anderes gewöhnen. Ich finde es persönlich etwas schade, aber es ist eben so. Ansonsten geht die neue Technologie mit der Zeit, das ist eben Zeitgeist. Ich bin nicht unbedingt der Meinung, dass die Formel 1 grün sein muss, weil sie nicht grün ist und warum soll sie das auch sein? Aber trotzdem sind die Motoren der Stand der Technik. Man hat sich entscheiden, diesen Weg zu gehen und es ist dann eben so. Es ist für alle gleich.