Sabine Kehm, Michael Schumachers Managerin, teilte am Freitag mit, dass der Rekordweltmeister knapp hundert Tage nach seinem schweren Skiunfall, seit dem er im künstlichen Tiefschlaf liegt, "Momente des Bewusstseins und des Erwachens" zeige. Doch wie ist dieses Statement einzuschätzen und wie stehen die Heilungschancen des Kerpeners? Motorsport-Magazin.com hat mit Universitätsprofessor Dr. Gerhard Wolf gesprochen, der in der Allgemeinchirurgie des Landeskrankenhaus Graz arbeitet und seit 1997 Mitglied der Medical Commission der FIA ist.

Michael Schumachers Management hat mitgeteilt, dass er Momente des Bewusstseins zeigt. Wie kann man dieses Statement interpretieren?
Gerhard Wolf: Wir wollen hoffen, dass es so ist. Es ist oft bei so Schwerverletzten der Fall, dass sich kleine Reflexe wieder einstellen, das kann durchaus sein. Was die ganze Weltöffentlichkeit jedoch erhofft, ist, dass Schumacher in seiner Gesamtheit wieder erwacht und da muss ich aus ärztlicher Sicht ferndiagnostisch sagen, dass ich pessimistisch bin.

Schumacher liegt nun seit rund hundert Tagen im künstlichen Koma. Wie groß stehen die Chancen, dass er jemals wieder der Alte wird und völlige Gesundheit erlangt?
Gerhard Wolf: Ich bin wirklich pessimistisch und würde mich freuen, wenn ich mich irre, aber aus ärztlicher Sicht - und ich bin wirklich lange im Geschäft - fürchte ich, Schumacher wird nicht zu uns zurückkommen. Ich würde mich freuen, wenn ich mich irre, das möchte ich ausdrücklich dazu sagen.

Schumacher befindet sich schon seit einigen Wochen in der sogenannten Aufwachphase. Was ist darunter genau zu verstehen?
Gerhard Wolf: Die Narkosemittel wurden abgesetzt, damit er nicht mehr in einem Schlaf gehalten wird. Jetzt scheint es so zu sein, dass er trotzdem in einem Zustand von tiefer Bewusstlosigkeit ist. Das ist der Grund, warum ich fürchte, dass eine völlige Erholung wahrscheinlich nicht zu erwarten ist.

In Bahrain wurde eine Kurve nach Schumacher benannt, Foto: Sutton
In Bahrain wurde eine Kurve nach Schumacher benannt, Foto: Sutton

Kann diese Aufwachphase von Seiten der Ärzte beschleunigt werden?
Gerhard Wolf: Es kann die optimale Pflege erfolgen, aber die Hirnfunktion muss zurückkommen, das muss rehabilitiert werden. Das können wir schlecht unterstützen. Es gibt kein Medikament, das das Hirn einfach aufweckt. Diese Funktion muss das Hirn selbst wieder aufnehmen.

Wie lange kann ein Mensch theoretisch im künstlichen Koma belassen werden?
Gerhard Wolf: Bei optimaler Pflege Jahrzehnte. Anfang der 80er-Jahre gab es einen Unfall bei der Rallye Paris-Dakar und der Betroffene war 24 Jahre lang in diesem Zustand bis er verstorben ist. Wir kennen es auch aus der täglichen Arbeit und aus Reha-Zentren, dass ähnlich verletzte Leute bei guter Pflege Jahrzehnte in diesem Zustand verharren können. Das kommt vor und ist bei weniger prominenten Fällen sehr bekannt. Ich möchte das ausdrücklich als Ferndiagnose sagen, aber es scheint in diesem konkreten Fall wohl auch so zu sein.

Holt Corinna ihren Mann nach Hause?, Foto: Sutton
Holt Corinna ihren Mann nach Hause?, Foto: Sutton

Bekommt ein Koma-Patient wie Schumacher etwas davon mit, was rund um ihn geschieht?
Gerhard Wolf: Das ist ein großes Rätsel, weil es niemand objektivieren kann. Aber wir vermuten doch, dass diese Patienten zwischen einem Wohlbefinden und einem Negativbefinden unterscheiden können. Deswegen tut man von Seiten der Familie alles, um ihm Nähe und Berührung zu geben und ihn von vertrauten Personen anzusprechen. Wir nehmen doch an, dass er zwischen Wohlsein und Unwohlsein unterscheiden kann, auch im tiefen Komazustand.

Ist es realistisch, dass Schumacher in absehbarer Zeit das Krankenhaus in Grenoble verlässt und beispielsweise zuhause von seiner Frau gepflegt wird, wie immer wieder spekuliert wird?
Gerhard Wolf: Ja, das ist realistisch. Es ist zwar ein immenser Aufwand, auch personell, aber wenn alle Möglichkeiten gegeben sind und es an den Finanzen nicht scheitert, wäre es ein sehr schöner Fortschritt, wenn er im Umkreis seiner Familie an einem optimalen Ort angenehm untergebracht ist.

Könnte sich das auch positiv auf den Heilungsprozess auswirken?
Gerhard Wolf: Absolut, wenn eine vertraute Umgebung existiert. Karl Wendlinger hat nach seinem schweren Unfall in Monaco immer gesagt, dass es ihm besser ging, als er wieder zurück in Tirol war. Die vertraute Sprache und das Umfeld sind positive Impulse, die sicher helfen können. Und wir denken doch, dass obwohl Schumacher schwer verletzt ist, die Zuwendung von seiner Familie und seiner Frau positiv ist. Wenn stimmt, was kolportiert wird, wäre das ein äußerst positiver Verlauf und ein sehr wünschenswertes Ziel.