Mercedes erlebt derzeit einen Höhenflug und deklassiert die Konkurrenz. Hatten Sie diese Dominanz erwartet?
Norbert Haug: Bei den Testfahrten hat sich abgezeichnet, dass das Mercedes AMG Formel 1 Team ein sehr gutes Paket geschnürt hatte. Das Team arbeitet seit vier Jahren als Mercedes- Werksteam, gewann vor zwei Jahren sein erstes Rennen und im letzten Jahr weitere drei. Der Aufbau wird konsequent und konstant fortgesetzt und die Titelchancen sind jetzt gegeben. Ein wichtiger Baustein dazu ist das neue Triebwerk, die sogenannte Power Unit, die Mercedes mit Konsequenz konstruiert, entwickelt und gebaut hat und die derzeit wohl die Klasse des Feldes darstellt. Räder hat sie aber trotzdem keine, auch die Chassis-Mannschaft hat ein sehr konkurrenzfähiges Auto gebaut.

Mercedes hat - auch wenn die Saison noch jung ist - gute Chancen auf beide Titel. Würden Sie Ihr Geld bei den Fahrern eher auf Rosberg oder auf Hamilton setzten?
Norbert Haug: Die augenblickliche Dominanz ist kein Geschenk, sondern Produkt harter Arbeit und guter Ideen, die konsequent umgesetzt worden sind. Gleichwohl hat Red Bull seit den Testfahrten viel aufgeholt. Die WM sieht aktuell nach überlegenen Silberpfeilen und einem Zweikampf Hamilton- Rosberg aus. Das wird aber so nicht bleiben, wobei ich das Mercedes AMG Team für stark genug halte, sich weiter kontinuierlich zu steigern und um beide Titel kämpfen zu können.

Red Bull hatte anfangs größte Schwierigkeiten und ist bereits wieder zweite Kraft. Wie lange dauert es, bis Vettel und Ricciardo wieder um Siege kämpfen können?
Norbert Haug: Das kommt ganz darauf an, wie schnell die aktuellen Defizite abgearbeitet werden können. Von außen betrachtet sieht es derzeit nicht danach aus, als seien sich Mercedes- und Renault-Triebwerk in Bezug auf Leistung, Fahrbarkeit und Verbrauch - und vielleicht auch nicht beim Gewicht - ebenbürtig. Unter den ersten neun des letzten Sonntags waren alle sieben an den Start gegangenen Mercedes-getriebenen Fahrzeuge, dazu Vettels Red Bull Renault als Dritter und Alonsos Ferrari als Vierter. Vielleicht folgt ein großer Schritt der Verfolger ja bereits beim Europa-Auftakt in Barcelona. Mercedes wird aber sicher auch nicht stillstehen und zuschauen, wie Red Bull, Ferrari und Co. schneller werden, sondern selbst schneller - und immer zuverlässiger - werden.

Norbert Haug verfolgt die Formel 1 noch ganz genau, Foto: Paravan GmbH
Norbert Haug verfolgt die Formel 1 noch ganz genau, Foto: Paravan GmbH

Ferrari und McLaren scheinen einmal mehr ins Hintertreffen geraten zu sein. Es scheint nicht die Zeit der großen Traditionsrennställe zu sein. Haben Sie eine Erklärung dafür?
Norbert Haug: Ich würde den aktuellen Zustand im Kräfteverhältnis nie als endgültig beschreiben. Schauen Sie nur wie groß der Schritt war, den Williams vom letzten Jahr aus dem Lager der Punktelosen zum festen Punktesammler der ersten beiden Grands Prix gemacht hat. Wobei sicher auch das bereits positive erwähnte Mercedes-Triebwerk geholfen hat - aber siehe oben - im schlechten Chassis nutzt der beste Motor nicht viel.

Wer ist für sie die bislang größte Überraschung der Saison - sowohl negativ, als auch positiv?
Norbert Haug: Willams-Mercedes ist positiv, samt Martini, die nach langer Abstinenz als Sponsor in die Formel 1 zurückgekehrt sind. Enttäuschend ist bisher Lotus-Renault, die letztes Jahr noch Rennsieger waren.

Mit Daniil Kvyat und Kevin Magnussen hat die Saison zwei Rookies hervorgebracht, die mehr mit Talent als mit Geld bestechen. Sehen Sie einen Trend weg von Paydrivern?
Norbert Haug: Ich sehe das Thema Paydriver nicht so kritisch wie es manchmal gemacht wird. Keiner der aktuell aktiven Fahrer kam nur durch viel Geld in die Formel 1, sondern auch dank viel Können. Auch wenn nicht jeder von ihnen ein Vettel, Alonso, Hamilton oder Rosberg sein kann - früher war auch nicht jeder ein Lauda oder Hunt. Kvyat und Magnussen scheinen das Potential zu haben, in die oberste Liga aufsteigen zu können, wobei ich eine Beurteilung nach 20 jener nach zwei Rennen vorziehen würde.

Zurück zu Red Bull: Ricciardo ist der Pechvogel der Saison. Trauriger Höhepunkt war die Disqualifikation beim Heim GP. Was denken Sie über die Disqualifikation?
Norbert Haug: Es gibt Regeln und die müssen eingehalten werden. Uns haben sie früher schon Titel gekostet. Ricciardo sieht erfrischend und zielorientiert aus. Und gegen Vettel einen Stich zu machen, gehört sicher zu den schwierigsten Aufgabenstellungen mit denen ein Fahrer konfrontiert werden kann. Bei seinen ersten beiden Rennen als Vettel- Teamkollege hat sich Ricciardo alles andere als blamiert. Er hat also keinen Grund, sich als Pechvogel zu sehen, und ich bin sicher, das tut er auch nicht.

Der komplizierte Sachverhalt, der zur Disqualifikation von Ricciardo führte, brachte auch die Frage auf, ob der normale Fan die Formel 1 überhaupt noch versteht. Ist die Formel 1 zu kompliziert?
Norbert Haug: Die Formel 1 ist ein technisch anspruchsvoller Sport, Mensch ärgere Dich nicht hat einfachere Regeln. Aber wer sich für den Sport interessiert, bekommt viel Spannung und oft noch mehr Überraschungen geboten. Wichtig ist dabei natürlich die Rolle der Berichterstatter und Kommentatoren, die vor keiner leichten Aufgabe stehen: Es gibt viel Neues in diesem Jahr und es braucht Zeit, bis die Interessierten die Neuheiten aufgenommen haben und auch als Verbesserung sehen.

Autos schon jetzt schnell genug

Norbert Haug ist Fan der neuen Power Units, Foto: Renault Sport F1
Norbert Haug ist Fan der neuen Power Units, Foto: Renault Sport F1

Nicht nur die Komplexität steht in der Kritik. Vielen Fans sind die Power Units zu leise, die Autos zu langsam. Wie gefällt Ihnen die neue Formel 1?
Norbert Haug: Zu langsam sind die Autos bereits jetzt - nach dem zweiten Grand Prix 2014 nicht, und die Entwicklung wird weitergehen. Der Sound kann für den Fernsehzuschauer womöglich besser eingefangen und übertragen werden als das augenblicklich der Fall ist. Die neuen Power Units sind Triebwerke, die Relevanz für Serienaggregate der Zukunft haben, die Formel 1 als Königsklasse des Motorsports kann nicht im Dinosaurier-Zeitalter der Verbrennungsmotoren stecken bleiben, auch wenn die noch so gut klingen. Und wer den Sound kritisiert, sollte doch wenigstens positiv anmerken, dass die neuen Triebwerke bei einem Drittel weniger Verbrauch gleich viel - oder mehr- leisten als ihre Vorgänger.

Technischer Fortschritt im Formel 1-Tempo also, und wenn es den nicht mehr gibt, gibt es bald auch keine Formel 1 mehr. Darüber hinaus zeigt ein Blick auf die Antriebstechnik der Le Mans- Sportwagen-Prototypen LMP1, wo sich die Werksmannschaften von Audi, Porsche und Toyota messen, was die Uhr geschlagen hat: Hybridtechnik ist dort selbstverständlich.

Bei all den sportlichen und technischen Geschichten ist der betriebswirtschaftliche Aspekt etwas in den Hintergrund geraten. Weg sind die Geld-Probleme der Formel 1 aber nicht. Sehen Sie den Status der Königsklasse des Motorsports in irgendeiner Weise gefährdet?
Norbert Haug: Es muss gelingen, ein konkurrenzfähiges Formel-1-Team als Geschäftsmodell darzustellen. Dazu müssen die entsprechenden Randbedingungen geschaffen werden .Dann ließen sich Investoren finden. Wenn von vorneherein alles so aussieht, als könne ein Investor nur Geld verlieren, wird es schwer sein, welche zu finden.