Im vergangenen Jahr war er der Rekord-Vettel, dieses Jahr heißt er Problem-Seb. Nach den heiklen Testfahrten während des Winters hätten es einige Beobachter schon als Wunder erachtet, wenn der Weltmeister mit seinem schwächelnden RB10 in Melbourne die Zielflagge gesehen hätte. So sollte es dann auch kommen, Vettel fiel schon in der fünften Runde wegen eines Motorschadens aus.

Im Vorfeld ging völlig unter, dass Vettel beim ersten Rennen dieser neuen Saison einen weiteren Rekord hätte brechen können. Der Sieg in Melbourne wäre saisonübergreifend der zehnte in Folge gewesen - das hat es in der Geschichte der Formel 1 noch nie gegeben. Doch die Zeiten des Rekord-Knackers, der seit Belgien 2013 alle Rennen gewonnen hatte, scheinen erst einmal vorbei zu sein. 'Probleme' ersetzen 'Bestmarken' - nach dem Horror-Winter sind beide Listen ähnlich lang.

Jeden Tag ein neues Problem

Da passte es ins Bild, dass Red Bull an diesem Rennsonntag von neuem Ärger überrascht wurde. Diesmal war nicht die anfällige Software oder der Energiespeicher für Vettels Ausfall verantwortlich, sondern der Verbrennungsmotor - das vermeintlich verständlichste Teil der hoch komplexen Power Unit. "Während der zweiten Einführungsrunde sind die Probleme aufgetaucht - so etwas hatten wir noch nicht", sagte Helmut Marko anschließend. "Da mussten wir das Auto abstellen, weil alles andere keinen Sinn gemacht hätte."

Es war ein ähnliches Problem wie bei Lewis Hamilton, der noch früher ausfiel als Vettel: einer der Zylinder hatte seinen Dienst verweigert. "Das war ein anderes Problem als gestern", bestätigte Teamchef Christian Horner. "Wir müssen nun schauen, wie es dazu kommen konnte, und ob es an der elektronischen Software oder an etwas anderem lag. Seit Samstagmorgen war es ein echter Kampf für Seb mit seiner Power Unit. Es ist frustrierend: Du willst einen Grand Prix starten und der Motor funktioniert einfach nicht."

Vettel beweist Größe

Bezeichnend für Vettels aktuelle Lage, dass es auch bei Ricciardo kurz vor dem Start Ärger gab, als der Turbo plötzlich nicht mehr funktionierte. Allerdings: Nach einem Reset hatte sich das Problem in Luft aufgelöst und der junge Australier konnte die volle Renndistanz abspulen. Was ihn nicht davor bewahrte, knapp fünf Stunden nach seinem Podiumsplatz disqualifiziert zu werden.

Vettel startete von P12 ins Rennen, Foto: Sutton
Vettel startete von P12 ins Rennen, Foto: Sutton

Während der eine oder andere Fahrer aber frustriert das Fahrerlager fluchtartig verlassen hätte, bewies Vettel trotz seines ungelösten Problem Größe. Nach der ersten Analyse des Ausfalls machte er sich während des Rennens auf zum Kommandostand von Red Bull und unterstützte seinen neuen Teamkollegen. "Er blieb bei uns und wollte sehen, was Daniel macht, wie er sein Benzin einsetzt und so weiter", verriet Horner. "Natürlich lernt auch er daraus. Aber er bot seinen Rat an und wollte aus Sicht des Teams so viel wie möglich herausholen."

Vettel: Loyaler Kämpfer

In Interviews noch vor dem Rennende betonte Vettel gleich mehrmals, dass er Ricciardo Glück wünsche und froh sei, dass sich all die harte Arbeit zumindest für einen der beiden Red-Bull-Piloten gelohnt habe. "Seb ist ein Kämpfer und hat Loyalität", so Helmut Marko. "Er weiß, was für ein gutes Auto er in den vergangenen Jahren hatte." Es ist kein Geheimnis, dass Vettel nicht unbedingt zu den besten Verlierern im Fahrerlager gehört - bei Niederlagen knirscht er deutlich hörbar mit den Zähnen. An diesem Sonntag in Melbourne machte es allerdings nicht den Eindruck, als ob er hochgradig angefressen wäre.

Eine Garage voller Probleme, Foto: Red Bull
Eine Garage voller Probleme, Foto: Red Bull

Mögliche Gründe: Nach all den Rückschlägen hatte er sowieso nicht damit gerechnet, etwas Zählbares aus Australien mitzunehmen. Vielleicht ist er als frisch gebackener Vater und mit vier Titeln im Gepäck auch gelassener geworden. Oder, und diese Variante erscheint am realistischsten, er weiß, wie gut der Red Bull ist. Irgendwann wird Renault die Probleme mit der Power Unit im Griff haben und dann steht dem Heppenheimer mit dem RB10 wieder eine Rakete zur Verfügung. "Das Auto an sich ist schnell, sonst hätten wir so ein Ergebnis wie heute gar nicht erreicht", sagte Horner.

Das Wichtigste: Schnelles Auto

Laut Marko sei der RB10 in Sachen Chassis sowieso das beste Auto im Feld. Mercedes habe nur wegen des zuverlässigen und starken Motors die Nase vorn. Noch. Vettels Fazit nach der ersten Nullrunde seit Silverstone 2013 fiel entsprechend aus: "Das Wichtigste ist, dass wir ein schnelles Auto haben. Lieber ein schnelles Auto zuverlässig machen als ein zuverlässiges schnell." Doch über Red Bull schwebt weiter die eine große Frage: Wird der RB10 rechtzeitig standfest?"