Über kein anderes Team wurde vor der Saison so intensiv berichtet wie Red Bull. Der Grund ist klar: Viele Beobachter sahen in der Motoren-Revolution die einzige Möglichkeit, die dominante Truppe der vergangenen Jahre vom Thron zu stoßen. Zwölf Testtage später deutet erst einmal vieles darauf hin, dass der Plan aufgehen könnte. Red Bull steckt tief in der Krise. Hat das Team aus Milton Keynes den Kampf um die Weltmeisterschaft schon jetzt verloren?

Das Team: Adrian Newey war jahrelang der Vater des Erfolges bei Red Bull. Das Design-Genie entwickelte die RB-Generationen Jahr für Jahr weiter und war der Konkurrenz in Sachen Aerodynamik stets voraus. Nun könnte sich das Blatt wenden, denn allein mit Aero gewinnt man in der Formel 1 der neuen Ära keinen Blumentopf mehr. Es wird sich zeigen, ob sich Newey auch darin versteht, Chassis und Power Unit in Einklang zu bringen, statt das Auto um einen veralteten Motor herumzubauen.

Gehen bei Red Bull die Lichter aus?, Foto: Red Bull
Gehen bei Red Bull die Lichter aus?, Foto: Red Bull

Während es bei anderen Top-Teams einige Wechsel in der Führungstage gab, setzt Red Bull weiter auf Konstanz. Auch in diesen schweren Zeiten führt Teamchef Christian Horner seine Politik der ruhigen Hand fort und lässt sich angesichts der Probleme zumindest äußerlich nicht aus der Fassung bringen. Motorsportberater Helmut Marko wurde zuletzt deutlicher und forderte Motorenpartner Renault öffentlich auf, die Probleme mit der Power Unit so schnell wie möglich in den Griff zu bekommen. Nach Jahren des puren Erfolges könnte nun Krisenmanagement gefragt sein und nicht jeder kann mit dem Druck umgehen. Besitzer Dietrich Mateschitz schwieg bislang, doch im Falle eines verpatzten Saisonstarts könnte sich dies schnell ändern - schließlich stecken hunderte Millionen im Projekt Red Bull Racing.

Team - Note: gut

Das Auto: Durchdacht, aber unspektakulär: So präsentierte sich der RB10-Bolide beim Testauftakt in Jerez. Äußerliche Revolutionen blieben aus, während die direkte Konkurrenz einen mutigeren Eindruck machte. Die kompakte Bauweise des Autos erinnert an seine Vorgänger, könnte dadurch aber auch Probleme erzeugen. Der RB10 tat sich während der Testfahrten mit der Kühlung der Batterien schwer und seitens Renault hieß es zumindest, dass Neweys enger Ansatz zumindest nicht förderlich sei. Vor allem der Heckbereich bereitet Schwierigkeiten und überhitzte immer wieder.

Macht sich gern die Hände schmutzig: Vettel packt mit an, Foto: Sutton
Macht sich gern die Hände schmutzig: Vettel packt mit an, Foto: Sutton

Angeblich hat Red Bull auch Probleme, das komplizierte Brake-by-Wire-System ans Laufen zu bekommen. Es wurde spekuliert, dass das Team in dieser Angelegenheit Hilfe beim kleinen Bruder Toro Rosso suchte. Was zunächst dramatisch klingt, könnte allerdings schnell ins Gegenteil umschlagen: Niemand weiß, wie schnell der RB10 ist. Lediglich Daniel Ricciardo ließ das Potenzial des Autos in Bahrain aufblitzen, was sofort die Konkurrenz auf den Plan rief. "Auf der Geraden hatte Ricciardo keine Chance, aber in den Kurven überholte er mich außen - so etwas habe ich noch nie zuvor gesehen", warnte Jenson Button nach Betrachtung aus nächster Nähe. Außerdem ist Newey bekannt dafür, während der Tests nicht alle Karten auf den Tisch zu legen. Der allgemeine Konsens: Wenn Red Bull die Zuverlässigkeit in den Griff bekommt, steht Sebastian Vettel und Ricciardo ein pfeilschnelles Auto zur Verfügung.

Auto - Note: gut

Die Zuverlässigkeit:Die große Frage lautet: Wann bekommt Red Bull den RB10 ans Laufen? Kaum jemand zweifelt daran, dass das Team den Anschluss an die Top-Teams finden wird. Wenn die ersten Rennen allerdings in die Hose gehen - und danach sieht es derzeit stark aus - könnte der Kampf um die Weltmeisterschaft schon vorzeitig verloren sein. Red Bull fehlen schlichtweg die nötigen Test-Kilometer, um den Stand der Konkurrenz zu erreichen. "Der Saisonstart kommt für uns mindestens zwei Monate zu früh", sagte Marko unlängst. Von einem Bluff kann kaum die Rede sein, zu gravierend sind die Probleme auf allen Seiten. Die kurze Zeitspanne zwischen den Testfahrten und dem Saisonauftakt in Melbourne dürfte kaum reichen, um alle Schwierigkeiten zu beseitigen.

Hier sieht es anders aus, aber: Red Bull und Renault arbeiten eng zusammen, Foto: Sutton
Hier sieht es anders aus, aber: Red Bull und Renault arbeiten eng zusammen, Foto: Sutton

"Hat man gerade ein Problem im Griff, taucht ruckzuck ein neues auf", sagte Vettel. Der Weltmeister sprach schon von einem Erfolg, wenn es Red Bull gelinge, die komplette Renndistanz in Australien durchzuhalten. Die Tiefstapelei - vergangene Erfolge hin oder her - ist angebracht. Niemand glaubt an eine Auferstehung wie Phoenix aus der Asche. Horner brachte es auf den Punkt: "Formel 1 ist keine Hexerei. Technische Probleme erfordern technische Lösungen." Sicherlich werden Red Bull und Renault eng zusammenarbeiten und jede Minute nutzen, um den Problemen auf den Grund zu gehen. Windkanal- und Dyno-Tests ersetzen die reale Arbeit auf der Strecke allerdings nicht. Der Zeitfaktor ist das große Hindernis auf dem Weg zur Zuverlässigkeit.

Zuverlässigkeit - Note: mangelhaft

Die Fahrer: Egal, was passiert: Sebastian Vettel ist unangefochten bei Red Bull. Sollte sich der RB10 wirklich als Flop herausstellen, müsste Red Bull eher fürchten, dass der Heppenheimer eine neue Herausforderung sucht. Doch so weit ist es noch lange nicht. Vettel hat schon in den vergangenen Jahren Führungsqualitäten bewiesen und diese könnten auch in der momentanen Krisen-Situation Gold wert sein. Der vierfache Champion weiß genau, wann er auf den Tisch hauen muss. Noch bleibt er ruhig, auch wenn Gerüchte über einen internen Wutanfall in Jerez die Runde machten. Vettel ist absoluter Perfektionist und dank seines Talents werden ihm die fehlenden Test-Kilometer nicht ganz so weh tun.

Behält Daniel Ricciardo sein unbekümmertes Lachen?, Foto: Sutton
Behält Daniel Ricciardo sein unbekümmertes Lachen?, Foto: Sutton

Bei Daniel Ricciardo sieht die Angelegenheit schon interessanter aus. Zweifelsohne verfügt der junge Australier über großes Potenzial auf der Strecke, aber: Wie meistert er Drucksituationen? Ricciardo ist die personifizierte Grinsekatze des Fahrerlagers, aber er weiß, dass er nun voll im Fokus steht. Als es im vergangenen Jahr den Shootout mit Jean-Eric Vergne um das Red-Bull-Cockpit gab, blieb er souverän. Jeder kleine Erfolg über den dominanten Teamkollegen stärkt seine Position. Wenn er hinterher fährt, ist es nicht ganz so tragisch - einen Weltmeister muss man schließlich erst einmal schlagen. Wenn es aber ganz dumm läuft und Red Bull wirklich ein Seuchenjahr erlebt, könnte der Perez-Effekt eintreten. Der junge Mexikaner musste McLaren nach nur einem Jahr verlassen, weil er in einem schlechten Auto keinerlei Highlights setzen konnte.

Fahrer - Note: gut

Redaktionskommentar:

Saisonziel: Weltmeister werden - trotz großer Probleme sind die Ansprüche nicht gesunken

Pro: Ja, bei Red Bull läuft dieses Jahr vieles verkehrt. Aber wie sagt Vettel immer so schön: Punkte gibt es erst im Rennen. Es erscheint undenkbar, dass Renault wirklich an seinen Problemen scheitert und die Kundenteams die ganze Saison hinterherfahren. Sobald die Power Unit und der RB10 zu einer Einheit verschmelzen, hat Red Bull ein Top-Auto. Newey hat nicht verlernt, wie man schnelle Boliden baut und die Ingenieure in Milton Keynes zählen zur Creme de la creme der Formel 1. Denen wird eine Lösung einfallen, da spielt nicht zuletzt das Budget eine Rolle. Red Bull abzuschreiben wäre töricht, das weiß auch die Konkurrenz. Power hin, Unit her: Die Formel 1 ist und bleibt ein Entwicklungsrennen und hier hat Red Bull noch immer die dicksten Eier. (Robert Seiwert)

Contra: Jahre lang dominierte Red Bull die Formel 1 nach Belieben, doch damit ist jetzt Schluss. Der neue Weltmeister wird weder den Namen Sebastian Vettel noch Daniel Ricciardo tragen, denn dazu ist der Rückstand des Teams auf die Spitze viel zu groß. Während Mercedes und Co. bei den Testfahrten einen guten Eindruck hinterließen und Runde um Runde abspulten, stolperte Red Bull von Problem zu Problem. Zwar haben die Bullen mit Adrian Newey einen wahren Technikguru in ihren Reihen, doch selbst der Brite kann nicht zaubern, was angesichts der mannigfaltigen Schwierigkeiten bitter notwendig wäre. Spannend wird zu beobachten sein, wie sich die Stimmung innerhalb des Teams entwickelt, sollten die ersten Rennen völlig desaströs verlaufen. Misserfolg ist für Red Bull mittlerweile bekanntlich ein Fremdwort. (Philipp Schajer)

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