Hat es Ihnen persönlich etwas bedeutet - oder vielleicht sogar etwas ausgemacht, dass Sebastian Vettel Ihre vier WM-Titel erreicht hat, und das im Alter von 26 Jahren?
Alain Prost: Eigentlich nicht. Ich habe schon seit längerer Zeit erkannt, dass sich in der Formel 1 ständig alles verändert. Es ist doch heute nichts mehr, wie es zu meiner aktiven Zeit war. Das heißt aber auch, dass man nichts mehr miteinander vergleichen kann. Ich hatte eine ganze Menge an Rekorden, dann kam Michael Schumacher und hat sie geschlagen - und jetzt kommt eben Vettel...

Wo sind die größten Unterschiede?
Alain Prost: Man muss sich nur die heutige Zuverlässigkeit der Autos anschauen, die größere Anzahl der Rennen, das neue Punktesystem mit 25 Punkten pro Sieg - wir bekamen damals neun Punkte. Wie will man da irgendwelche Zahlen vergleichen? Das macht doch alles nicht viel Sinn. Da muss man das ganze wie ein neutraler Zuschauer betrachten und zu sich selbst sagen: Es ist doch gut, einen weiteren viermaligen Weltmeister zu haben, der so gut ist wie Sebastian. Und das alles mit 26 Jahren... Ich habe mit 25 in der Formel 1 angefangen, mit 26 mein erstes Rennen gewonnen. Das sagt doch schon alles über die unterschiedlichen Verhältnisse.

Alain Prost gab sein F1-Debüt 1980 für McLaren, Foto: Sutton
Alain Prost gab sein F1-Debüt 1980 für McLaren, Foto: Sutton

Diese Tendenz zu "immer jünger" sieht man in vielen Sportarten - sind heutige Kinder und Jugendliche einfach viel früher wesentlich weiter und reifer, ist heute ein 20-Jähriger schon wesentlich erwachsener als Sie damals mit 20 und damit auch bereit für die Formel 1?
Alain Prost: Nein - grundsätzlich kann man das glaube ich nicht so sagen. Es ist vielleicht eine andere Form von Reife. Ich wusste mit 20 oder 23 auch schon, was ich auf der Rennstrecke machen musste, um Erfolg zu haben, erst im Kart, dann in den Nachwuchsformeln, aber auch, dass ich hart arbeiten musste, um zum Beispiel das nötige Geld bei den Sponsoren aufzutreiben. Das ist heute anders - es ist, wie gesagt, vielleicht eine andere Form von Reife.

Als ich mit 25 in der Formel 1 anfing, hatte ich schon mein eigenes Go-Kart-Team, das ich gemanagt habe, ich hatte in der Formel Renault Europe ein Auto laufen, wo ich mich um das Budget gekümmert habe. Diese Form von Reife hatte ich, ein anderes Leben auch neben der Rennstrecke, Erfahrung im Geschäftsleben. Das kann man von den Jungs heute in der Formel 1 nicht erwarten. Dafür kennen sie das professionelle System im Rennsport vom Kart bis in die Formel 1 in- und auswendig, wissen, wie das Marketing funktioniert, wie man mit Managern und Sponsoren arbeitet und umgeht. Das wusste ich, wussten wir damals alle nicht - wir hatten nur die Leidenschaft für den Rennsport an sich.

Blick zurück: Die Frage nach den Legenden

Viele vergleichen Vettel mit den größten Fahrern der F1-Geschichte. Gibt es auf diese Frage überhaupt eine Antwort?
Alain Prost: Nein. Auf die nach dem besten Fahrer aller Zeiten schon überhaupt nicht - weil man die Epochen nicht vergleichen kann.

Und auf die Frage nach dem besten Fahrer der heutigen Generation?
Alain Prost: Vielleicht schon eher... Aber ich persönlich habe mich immer geweigert, auch auf diese Frage eine Antwort zu geben, und tue es auch heute noch. Ich denke, auch in der heutigen Generation haben wir mindestens fünf oder sechs Piloten, die absolute Top-Leistungen bringen. Deswegen will ich da kein Urteil abgeben, keine Vergleiche anstellen...

Alain Prost prägte gemeinsam mit Ayrton Senna Ende der Achtziger und Anfang der Neunziger eine der größten Eras der Formel-1-Geschichte, Foto: Sutton
Alain Prost prägte gemeinsam mit Ayrton Senna Ende der Achtziger und Anfang der Neunziger eine der größten Eras der Formel-1-Geschichte, Foto: Sutton

Hat Vettel etwas ganz Spezielles - etwas, das ihn so besonders macht?
Alain Prost: Ja, ich glaube, das hat er. Er hat sich im Laufe der Zeit unglaublich weiter entwickelt, hat große Schritte nach vorne gemacht. Sicher war er von Anfang an gut, das hat man gesehen, aber damals zu Beginn seiner Formel-1-Karriere gab es einige andere Fahrer - ich möchte da jetzt keine Namen nenne - die durchaus auf seinem Niveau zu sein schienen. Aber die hat er inzwischen weit hinter sich gelassen. Das hat viele Gründe. Es wird oft von Reife gesprochen, das ist sicher ein Punkt. Er ist unheimlich schnell wirklich erwachsen geworden, hat diese Reife erlangt. Er hat den richtigen Ansatz, mit den Leuten, mit denen er arbeitet, umzugehen, sie zu motivieren, noch mehr und noch besser für ihn zu arbeiten. Das alles spielt eine Rolle.

Was das reine Fahren und die Arbeit im Team angeht: Er hat verstanden, was er für sich braucht, um das optimale Ergebnis zu erzielen, in welche Richtung er mit dem Setup des Autos gehen muss, wie auch die Arbeit im Team ablaufen muss. Das ist das, was ihn so weit nach vorne gebracht hat. Er verdient wirklich alles, was er erreicht hat. Dieses Jahr war vielleicht seine eindrucksvollste Saison überhaupt. Man konnte sehen, dass er die ganze Zeit über wirklich alles unter Kontrolle hatte. Und das ist sehr eindrucksvoll.

Trotzdem bekommt er von vielen Seiten nicht die volle Anerkennung, es gibt immer wieder den "Vorwurf", er säße ja im besten Auto. Ist das für Sie unfair?
Alain Prost: Diese Diskussionen an sich werden sich wahrscheinlich nie ganz vermeiden lassen. Aber was wirklich unfair war, waren die Pfiffe bei den Siegerehrungen. Jemandem nicht die volle Anerkennung zu zollen, die Einschätzung seiner Leistung vielleicht ein bisschen zu hinterfragen, das ist eine Sache. Einen Sieger auszupfeifen, aber eine ganz andere. Das verdient niemand, das ist einfach nicht korrekt. Ein Sieger ist ein Sieger. Einer kann jemandem dabei lieber sein als ein anderer, das ist normal. Jeder hat andere Lieblingsfahrer und Lieblingsteams. Wenn jemand gewinnt, den man nicht mag, dann kann man ihn meinetwegen ignorieren. Aber ihn auszupfeifen, das ist respektlos. Und Respekt ist etwas sehr wichtiges.

Und sitzen die meisten Weltmeister nicht ohnehin immer in den besten Autos?
Alain Prost: Ab und zu kann man da sicher mal Ausnahmen finden. Als ich 1986 im McLaren Weltmeister wurde, hatte ich sicher nicht das beste Auto. Aber natürlich habe ich damals auch davon profitiert, dass sich meine Konkurrenten bei Williams, Nigel Mansell und Nelson Piquet, gegenseitig Punkte weggenommen haben. Einmal in seiner Karriere schafft man das vielleicht, wenn die Umstände entsprechend sind. Es gibt da in der Geschichte noch ein paar andere Beispiele, auch Kimi Räikkönen 2007 im Ferrari, der vom Streit zwischen Alonso und Hamilton bei McLaren profitiert hat. Aber vier Titel in Serie - das ist etwas anderes. So ein Erfolg ist immer das Ergebnis des Zusammenwirkens zwischen Fahrer und Team. Es ist nie nur der Fahrer oder nur das Team. Deshalb ist es auch nicht in Ordnung, Sebastians Leistung nicht entsprechend anzuerkennen, die Arbeit, die auch er leistet, um diesen Erfolg zu erreichen. Einerseits sind diese Diskussionen für die Formel 1 insgesamt ja gar nicht schlecht. Wenn die Leute darüber reden, wer denn nun wirklich der beste Fahrer ist, wer das beste Team, dann ist das ein Thema, das immer wieder gut ist für ein paar Schlagzeilen.

Zwei Vierfach-Champions unter sich: Vettel und Prost, Foto: Sutton
Zwei Vierfach-Champions unter sich: Vettel und Prost, Foto: Sutton

Einige Fahrer und Experten raten Vettel, das Team zu wechseln, um als einer der ganz Großen in der Geschichte angesehen zu werden. Stimmen Sie dem zu?
Alain Prost: Wenn ich Sebastian wäre, würde ich das Team nicht wechseln. Man kann nicht nur deshalb wechseln, um das Publikum glücklich zu machen. Wenn man das Team wechselt, dann muss das andere Gründe haben. Zum Beispiel, dass man glaubt, allmählich bei seinem alten Team die Motivation zu verlieren... Vielleicht geht das Sebastian ja in ein oder zwei Jahren so, vielleicht spürt er das ja dann einmal. Oder er denkt, dass in ein paar Jahren vielleicht Ferrari, Mercedes oder Lotus auf einmal konkurrenzfähiger sein werden. Auch das wäre ein Grund für einen Teamwechsel. Aber nur woanders hinzugehen, damit andere glücklich sind - das kann es eigentlich nicht sein. Ein Fahrer muss dort fahren, wo es für ihn am besten ist. Das ist das allerwichtigste.

Sie haben am Ende Ihrer Karriere gesagt, dass sie an einem gewissen Punkt die Motivation verloren hätten. Alain Prost: Hat es Sebastian in dieser Beziehung leichter - weil er noch jünger ist?
Das reine Alter ist da nicht so entscheidend, glaube ich, viel mehr die Zeit, die man in der Formel 1 verbracht hat, mit all dem Druck. Allerdings kann das von Person zu Person sehr unterschiedlich sein. Wenn er ständig weiter kritisiert und nicht richtig anerkannt wird, dann ist das zusätzlicher Druck und könnte natürlich auch dazu beitragen, dass er sich irgendwann die Frage stellt, warum mache ich das alles eigentlich noch? Andererseits hat er ja anscheinend die volle Unterstützung seines Teams und seiner Sponsoren... Man muss mal abwarten, wie sich das in Zukunft entwickelt. Es ist noch zu früh, um darüber etwas zu sagen. Was in seiner Situation sehr positiv ist, sind die Regeländerungen, die im nächsten Jahr kommen. Das ist sehr gut für ihn und für das Team. Dadurch bekommt er automatisch eine neue Motivation, und eine neue Möglichkeit, den Leuten zu beweisen, dass er auch unter veränderten Umständen genauso gut sein kann, dass er mit der neuen Technologie zusammen mit seinem Team wieder das Beste erreichen kann.

Blick in die Zukunft: Die neuen Regeln

Sind die neuen Regeln grundsätzlich eine gute Sache für die Formel 1?
Alain Prost: Ich verstehe, wenn es heißt, dass das Timing sicher schwierig ist für die Teams - aus wirtschaftlichen Gründen. Andererseits muss man aber sehen, dass einige Hersteller überlegt haben, in der Formel 1 nicht weiter zu machen, wenn es nichts Neues auf dem Motorensektor gegeben hätte. Denn sie wollten einfach näher an dem sein, was auch in der Automobilindustrie gebraucht und entwickelt wird. Bei Renault stand so eine Entscheidung auch an - und bei uns war man sehr glücklich darüber. Und auch Honda ist nur wegen des neuen Reglements zurückgekommen. Man muss wohl akzeptieren, dass es für einige Leute am Anfang schwierig sein wird, aber grundsätzlich ist es sicher gut für die Formel 1.

Wird sich der reine Rennsport verändern - immer mehr in Richtung Langstreckenrennen?
Alain Prost: Nein, überhaupt nicht. Ich weiß zwar, dass das eine Menge Leute behaupten, aber das wird nicht passieren. Man hat eine gewisse Menge Energie zur Verfügung, und die muss man sich einteilen. Das stimmt. Aber wenn ich mir heute Langstrecken-Rennen anschaue, dann sind sie doch schon fast Sprintrennen. Auch das Spritlimit sehe ich nicht als Problem. Man muss sich eben anpassen, an das, was man hat. Das werden einige Fahrer, die sich mit dem System detaillierter auseinandersetzen, vielleicht etwas schneller und besser drauf haben als andere. Cleverness und technisches Verständnis werden gefragt sein, sicher. Aber das war doch im Prinzip schon immer so, mal mehr, mal etwas weniger.

Das wäre ein für Sie maßgeschneidertes Reglement gewesen, oder?
Alain Prost: Ja, bestimmt, das hätte perfekt zu meiner Herangehensweise, meiner Einstellung und meinem Fahrstil gepasst.

Und wer wird jetzt davon profitieren - Vettel?
Alain Prost: Ja, bestimmt. Denn so wie er mit dem Team arbeitet, müsste ihm das auf jeden Fall entgegenkommen. Genau deshalb hat er auch sehr gute Chancen, nächstes Jahr wieder vorne zu sein.

Das Interview mit Alain Prost stammt aus der Printausgabe des Motorsport-Magazins. Die aktuelle Ausgabe ist ab sofort im Handel erhältlich und enthält unter anderem einen 20-seitigen Ausblick auf die neue Formel-1-Saison 2014. Am besten gleich online zum Vorzugspreis bestellen: