Man muss bis ins Jahr 1980 zurückgehen, um eine Saison ohne einen Podiumsplatz von McLaren zu finden. Doch 2012 war es erstmals nach 33 wieder soweit: Sämtliche Podien der Saison ausschließlich mit Fahrern anderer Teams bestückt. Martin Whitmarsh musste eine der schlechtesten Saisons in der Geschichte des Traditionsrennstalls verantworten. Im letzten Jahr der seit 2009 gültigen Rahmenbedingungen entwickelte man in Woking nicht das Vorjahresfahrzeug weiter, sondern wählte einen neuen, radikalen Ansatz, der voll in die Hose ging. Whitmarsh sieht den Grund für diesen Ansatz in einer Schwächephase in der Saison 2012.

Geschichtsstunde: McLaren war im zwölften Jahr des neues Jahrtausends mit den Plätzen eins und drei als stärkstes Team in die Saison gestartet, fiel jedoch binnen weniger Rennen ins Mittelfeld zurück und fand erst wieder nach Saisonhälfte zu alter Stärke. Doch genau während des Durchhängers vor Halbzeit fiel die Entscheidung zur Grundkonzeption des 2013er-Fahrzeugs. Da McLaren mit dem 2012er-Konzept auf der Stelle trat, wurde die Revolution beschlossen. Ironie des Schicksals: Gegen Ende des Jahres 2012 wurde McLaren mit dem MP4-27 wieder stärker und konnte Red Bull in Austin sogar schlagen.

"Letztes Jahr hatten wir ein wirklich schnelles Auto", sagte Whitmarsh gegenüber Autosport. "Mit etwas mehr Zuverlässigkeit hätten wir sogar die Weltmeisterschaft gewonnen." Die verhängnisvolle Entscheidung fiel aber während des Durchhängers gegen Saisonmitte. "Was gerne passiert ist, dass man immer, wenn man eine Glückssträhne bekommt, sich gut im Leben fühlt, und wenn es für eine Weile keine Steigerung gibt, tendiert man aus Sorge zu panischen Reaktionen." Die vollständige Änderung des Fahrzeug-Konzepts war somit darauf zurückzuführen, dass sich McLaren im Glauben befand, mit dem 2012er-Konzept bereits alles ausgereizt zu haben, da es keine Fortschritte gab.

Das Wunder des Evolutions-Stopps

Für Whitmarsh liegt der Grund für die schwache Saison im Durchhänger von 2012, Foto: Sutton
Für Whitmarsh liegt der Grund für die schwache Saison im Durchhänger von 2012, Foto: Sutton

"Wir hatten letztes Jahr ein ordentliches Auto, das aber auf Weiterentwicklungen nicht reagiert hat", führte der 55-Jährige weiter aus. "Jede Woche muss man etwa 1,5 bis 2 Punkte Abtrieb finden und wenn man sechs Wochen lang keine Fortschritte erzielt, fängt man an, sich Sorgen zu machen. Zu diesem Zeitpunkt hat unser Ingenieurs-Team vermutlich geglaubt, dass der Fortschritt nur noch horizontal verlaufen werde und wir deshalb [aus dieser Philosophie] ausbrechen müssten."

Der große Schock sei dann in Melbourne erfolgt, obwohl es sich schon bei den Wintertests angebahnt hatte: "Wir haben uns in einer fürchterlichen Position in Panik wiedergefunden, als wir versucht haben, mit der Bodenfreiheit auf einem buckligen Kurs weit nach unten zu gehen und uns so komplett in die falsche Richtung bewegt haben. Wir hatten ein Auto, das nicht gut genug war, und haben es meiner Meinung nach noch schlechter gemacht. Wir lagen zurück und haben uns dann darauf konzentriert, Ressourcen in die kommende Saison zu investieren. Es gab ein Limit, was wir dieses Jahr leisten konnten."

Die Folge dessen war ein Phänomen, das Mercedes bereits 2010 durchgemacht hatte: Kaum wurden die ständigen Upgrades eingestellt, konzentrierte sich das Team komplett auf die Abstimmung des vorhandenen Materials und machte gegen Saisonende Fortschritte. "Wir haben uns vorwärts bewegt, Red Bull mal außen vorgelassen", so Whitmarsh. "In den letzten vier oder fünf Rennen haben wir uns mit Mercedes, Lotus und Ferrari gemessen. Wir haben also relativ gesehen aufgeholt, nachdem wir drei oder vier Monate keine Basisarbeit am Auto gemacht haben und nur Experimente im ersten freien Training angestellt haben."