Die gelbe Sonnenbrille lässt seine graublauen Augen nicht erkennen. Stattdessen spiegeln sich darin dutzende anderer Augenpaare. Allesamt sind sie auf ihn gerichtet. Kimi Räikkönen ist ein Phänomen. Er zieht die Journalisten an wie das Licht die Motten - ungewollt. Denn Interview- oder PR-Termine sind dem Finnen ein Gräuel.

"Es ist kein Geheimnis, dass ich kein Fan des Ganzen bin. Es ist bestimmt nicht der Grund, warum ich in der Formel 1 fahre, aber das gehört eben zum Business dazu - sogar zu einem großen Teil", sagt Räikkönen im Interview mit dem Motorsport-Magazin. "Das ist eben der Preis, den man zahlen muss, wenn man in der Formel 1 fahren will." Der Finne wirkt relaxt, beantwortet die Fragen für seine Verhältnisse in Roman-Länge.

"Ich denke, der Umgang mit mir ist relativ einfach. Natürlich gibt es dazu hunderte von Geschichten, aber nur eine Handvoll Menschen kennt die Wahrheit", stellt Räikkönen klar. Man könnte auch sagen, dass sich andere Geschichten eben besser verkaufen. Wer will schon lesen, dass Kimi Räikkönen abseits der Rallye Finnland einen Interviewtermin aufgrund eines technischen Briefings platzen lassen musste, das Interview allerdings spätabends nachholte, als der Journalist längst den Termin abgehakt hatte? Ein sprachlicher Asket mit einer Null-Bock-Mentalität verkauft sich da für viele Medien schon besser.

Viele Journalisten im Formel-1-Paddock kommen mit der Mentalität des Finnen nicht klar, bezeichnen Räikkönen sogar als 'Pest', weil er deren Meinung nach das 'Geben- und-Nehmen-Spiel' zwischen Fahrer und Journalist nicht mitspielt. Den Grund erklärt Räikkönen wie folgt: "Manchmal denkt man ernsthaft über die Frage nach und sagt dann genau das, was man sich denkt. Die Medien nutzen das aber dann gegen einen aus. Daher ist es manchmal besser, nichts zu sagen."

Der Iceman lässt keinen an sich heran, Foto: Sutton
Der Iceman lässt keinen an sich heran, Foto: Sutton

Räikkönen weiß genau, wie es im Motorsportzirkus läuft - die nackten Zahlen lauten 34 Jahre, 186 Grand-Prix-Starts, 20 Siege, 16 Poles, 75 Podestplätze, Weltmeister des Jahres 2007. Der Finne legte es nie darauf an, mit einer 'Ist-mir-doch-scheißegal'-Attitude ein Image zu kreieren - das taten andere für ihn. Räikkönen ging seit seinen ersten Formel-1-Testfahrten für Sauber im Winter 2000/01 seinen eigenen Weg. Und genau das macht das Phänomen Räikkönen aus, er verstellt sich nicht. "Kimi ist geradeaus und ehrlich. Er kümmert sich nicht um Politik oder das Geflüster hinter seinem Rücken. Er lebt sein Leben und versucht nicht 'everybody's darling' zu sein", beschreibt ihn Sebastian Vettel.

Räikkönen sagt über sich selbst: "Ich bin Rennfahrer und kein Schauspieler. Das heißt nicht, das ich was Besonderes bin. Ich bin wie jeder andere." In der Formel 1 ist er eine Größe, einer der letzten interessanten Individualisten in der Szene. Wenn der Finne beim offiziellen Medientermin seines Teams wieder mal eine Viertelstunde zu spät kommt, beklagen sich zwar alle Journalisten, aber für keinen kommt es in Frage aufzustehen und zu gehen.

Seine nuschelnden Antworten sind Räikkönens Markenzeichen - allerdings genauso ungewollt wie seine generelle Anziehungskraft auf Journalisten. Kaum einer weiß, dass Räikkönen als Jugendlicher bei einem Unfall ein Stimmband einbüßte und seither unter einer Fistelstimme leidet, sodass das Sprechen für ihn komplexbehaftet ist. Nichtsdestotrotz oder gerade deswegen sind seine Auftritte Ereignisse.

Ein Punkt, den McLaren oder Ferrari nie für ihre PR-Zwecke zu nutzen verstanden, Lotus hingegen schon. Auch Motorenhersteller Renault spielt in seinem aktuellen Werbespot mit dem Image des Schweigers aus Espoo, der nicht mehr als "yes", "no" oder "I don't know" über die Lippen bringt. Für die Journalisten sind Räikkönens Sprüche ebenfalls ein gefundenes Fressen. Sprüche wie "Yes, yes, I know what I'm doing" sind in die Annalen der Formel-1-Geschichte eingegangen. Gleichzeitig bestätigen solche Sätze Meinungen, wonach der Finne bei Lotus machen kann, was er will oder eben nicht will.

Kimi kehrt zurück zu Ferrari, Foto: Sutton
Kimi kehrt zurück zu Ferrari, Foto: Sutton

So geben andere Rennställe ihren Fahrern vor einem GP-Wochenende einen detaillierten Zeitplan vor, Lotus soll Räikkönen lediglich über Möglichkeiten informieren. "Es gibt so viele Geschichte über mich und dass ich bei Lotus keine PR-Termine machen muss. Doch diese Geschichten sind absoluter Blödsinn", stellt Räikkönen klar. Als das Gespräch auf seine Pressearbeit kommt, regt sich erstmals etwas im Gesicht des Finnen, seine Mimik wird ernster.

"Ich weiß nicht, wie die Leute darauf kommen, dass ich bei Lotus keine Pressetermine machen muss. Woher wollen die Leute das wissen? Es ist ja nicht so, dass sie den ganzen Tag um mich herum stehen, schon gar nicht abseits der Rennwochenenden. Nur das Team weiß exakt, welche PR-Aufgaben ich übernehme", betont Räikkönen. Und tatsächlich werden nur die wenigsten Termine von Räikkönen medial wahrgenommen. So zum Beispiel sein Auftritt für Lotus-Sponsor Trina Solar bei der Intersolar Messe in München im vergangenen Jahr, bei dem auch das Motorsport-Magazin vor Ort war.

"Keine Ahnung, wo Journalisten die Storys hernehmen, dass ein Team 150 PR-Tage macht, ein anderes hingegen nur 10 Tage. Das ist absoluter Blödsinn. Zum einen geben die Teams diese Zahlen nicht preis, zum anderen würde es auch keinen Sinn machen. Egal für welches Team man fährt, die Arbeitsstunden und -tage sind sehr ähnlich aufgeteilt", erklärte Räikkönen, der in seiner Karriere bereits für Sauber, McLaren, Ferrari und Lotus fuhr.

Damals wie heute ist seine Bühne eben nicht vor der Kamera, sondern auf dem grauen Band aus Asphalt. Einsteigen, Gas geben, aussteigen - das ist alles, was er will. "Ich bin nicht hier, um Interviews zu geben. Ich bin hier, um Rennen zu fahren und Rennen zu gewinnen - so einfach ist das", sagt Räikkönen. Ein Siegfahrer - und ist es nicht das, was Fans, Teamchefs und Sponsoren wollen?

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