Die Aufnahmegeräte liegen bereit, alles wartet auf ihn. Doch Martin Whitmarsh macht keine Anstalten, sich aus seinem schwarzen Sitzsack zu erheben. Stattdessen lehnt er sich lässig zurück, überkreuzt die Beine und lässt mit einem Schmunzeln auf den Lippen die Pressemeute warten. In seinen 24 Jahren bei McLaren hat sich der Brite eine Que Sera Sera-Mentalität zugelegt und selbst in den aktuell stürmischen Zeiten scheint er mit jeder weiteren Schlagzeile über seinen wackelnden Chefsessel an Lässigkeit zu gewinnen.

"Es gibt viele Stimmen in den Medien, die von Druck sprechen, aber ich verspüre keinen. Ich schenke dem, was über mich gesagt oder geschrieben wird, nicht allzu viel Bedeutung", erklärt Whitmarsh im Interview mit dem Motorsport-Magazin. Betrachtet man seine Körpersprache, dann scheint der Brite die Wahrheit zu sagen. Anspannung oder Sorgenfalten sucht man in seinem Gesicht vergebens. Seine Entspanntheit erklärt Whitmarsh damit, dass die momentane Siegesflaute seines Teams in der Formel 1 nichts Außergewöhnliches sei.

"Wenn ich mir die aktuelle Situation von McLaren ansehe, dann bin ich bitterlich enttäuscht, was die reinen Ergebnisse angeht. Es ist manchmal schon ein schmerzhaftes Gefühl, an einem Rennsonntag aus dem Paddock abzureisen. Aber ich mache diesen Job schon eine ganze Weile und weiß, dass jedes Team durch solche Phasen geht. Man muss Stärke zeigen, fokussiert bleiben und an das glauben, was wir als Team darstellen." 2010 bekam die heile Chrom-Welt von McLaren allerdings Risse, als sich der Langzeitpartner Mercedes entschloss, die Geschichte der Silberpfeile allein weiterzuschreiben.

Eine Entscheidung, die für McLaren einen Rattenschwanz an Problemen mit sich zog - oder Herausforderungen wie es Whitmarsh lieber bezeichnet. Und zwar zusätzlich zu der Schmach als Kundenteam nur noch die zweite Motorengeige hinter dem neuen Mercedes-Werksteam zu spielen. "Mercedes wollte sein eigenes Team, was wir verstanden und respektiert haben. Leider haben die Leute kaum davon Notiz genommen, dass wir durch die neue Übereinkunft mit Mercedes durch eine schwierige Zeit gegangen sind. Plötzlich mussten wir unsere Motoren von Mercedes kaufen und bewegten uns immer mehr davon weg, ein Silberpfeil zu sein", erzählt Whitmarsh.

Lässiger Teamchef: Whitmarsh und Button machen es sich bequem, Foto: adrivo Sportpresse GmbH
Lässiger Teamchef: Whitmarsh und Button machen es sich bequem, Foto: adrivo Sportpresse GmbH

Auch abseits der Strecke musste McLaren mit den Folgen des neuen Deals klarkommen. "Wir mussten unsere Automobil-Strategie ändern, denn wir bauten keine Mercedes SLA-Flaggschiffe mehr, sondern nur mehr reine McLaren-Autos. Das war eine unglaubliche Herausforderung, vor allem da die weltweite Wirtschaft zur gleichen Zeit kollabierte." Der Brite wählt im Gespräch mit dem Motorsport-Magazin seine Worte mit Bedacht, nicht nur weil der Motorendeal mit Mercedes noch ein Jahr läuft. Es ist einfach nicht sein Stil, mit dem Finger auf jemanden zu zeigen oder der ganzen Welt sein Leid zu klagen. Stattdessen stellt sich Whitmarsh der Challenge, den chromfarbenen Karren aus dem Dreck zu ziehen und damit ist er nicht der erste McLaren-Teamchef. Hinter den Fabrikmauern von Woking fand sich einst ein anderer Brite vor die gleiche Herausforderung gestellt.

Rückblick - Melbourne, 09. März 1997. Wie ein warmer Regen prasselt der Siegerchampagner auf Ron Dennis hernieder und vermischt sich mit der einen oder anderen Freudenträne in seinen Augen. Nach drei Jahren Abstinenz vom großen Erfolg brechen die Emotionen aus dem sonst so kühlen Briten heraus. Hinter Ron Dennis lag zu diesem Zeitpunkt eine schier nicht enden wollende Talsohle. Seit dem Weggang von Ayrton Senna 1993 fristete McLaren International ein freudloses Dasein in der Anonymität der hinteren Plätze.

Dennis war zum Handeln gezwungen und entschied sich für einen radikalen Schnitt. Er holte Mercedes-Benz als neuen Motorenhersteller an Bord sowie die Zigarettenmarke West als Nachfolger von Marlboro, obwohl viele Fans nach all den Jahren das Marlboro-Rotweiß für die Teamfarben von McLaren hielten. Mit dem Sieg des MP4-12 beim Saisonauftakt in Australien kehrte McLaren auf die Siegerstraße zurück. Der Erfolg sowie der farblich vorwiegend in Silber gehaltene Bolide veranlassten die Medien, den Begriff Silberpfeil aus den Schubladen der Geschichte wieder hervor zu kramen.

16 Jahre später wagt Martin Whitmarsh erneut einen solchen Schnitt, um damit der Erfolglosigkeit zu entrinnen. "Ich bin seit mehr als 100 Grands Prix mit diesem Team verwoben, ich erlebte bei McLaren eine unglaubliche Zeit und jetzt liegt mein Fokus ganz allein darauf, das Team wieder dorthin zu bringen, wo es hingehört", stellte Whitmarsh klar. Und das Projekt "Rebirth" ist bereits in vollem Gange. Ab kommender Saison wird auf den McLaren-Boliden nicht mehr das so vertraut gewordene Vodafone-Logo prangen, sondern ein neuer Hauptsponsor. Wer das sein wird, will McLaren erst noch verkünden.

McLaren kein Siegteam? Die spinnen doch!, Foto: Sutton
McLaren kein Siegteam? Die spinnen doch!, Foto: Sutton

Der Geldstrom von Telmex soll 2012 bereits zur Verpflichtung von Sergio Pérez geführt haben. Die Kritik einen Paydriver angeheuert zu haben blendete Whitmarsh genauso aus wie Meinungen, die aufgrund der bloßen Ergebnisse auf der Rennstrecke auf die finanzielle Gesundheit des Rennstalls schlossen. "Wenn ich mir die finanzielle Situation, die personelle Stärke und sämtliche anderen Ressourcen, die wir haben, ansehe, dann gehören wir zu einer Handvoll von Teams, die sagen können, dass sie einen nachhaltigen Business-Plan haben", betont Whitmarsh.

Zu diesem Businessplan gehört neben dem neuen Hauptsponsor auch ein neuer Motorenpartner, wenn auch kein Unbekannter. Mit seinem einstigen Erfolgspartner Honda hofft McLaren auf eine Wiederbelebung der gemeinsamen, ruhmreichen Zeiten. "Honda und McLaren verbindet dieselbe Ambition, nämlich Siege und Weltmeisterschaften einzufahren", sagt Whitmarsh. "Wir bei McLaren sind auf Siege gepolt - und auch die Welt erwartet von McLaren, zu siegen."

Mit dem MP4-28 blieb McLaren weit hinter den Erwartungen zurück - Siege und Podestplätze lagen in unerreichbarer Ferne. "Ein Jahr wie dieses, indem wir die Erwartungen nicht erfüllen können, ist natürlich sehr schmerzhaft. Allerdings treibt es uns nur noch mehr an, wenn wir nicht auf dem Level sind, auf dem wir sein sollten. Wir sind ein absolutes Racing-Team, das einzige in der Formel 1 neben Ferrari", betont Whitmarsh. Und wie Ferrari sei der Name McLaren ein Synonym für Erfolg, vor allem in Verbindung mit Honda.

In den 80er und 90er Jahren gingen 44 Siege und acht WM-Titel auf das Konto der britisch-japanischen Allianz. 1988 gewannen die McLaren-Honda-Piloten Ayrton Senna und Alain Prost 15 von 16 Rennen. Mit der Wiederbelebung der Partnerschaft im Jahr 2015 findet das Projekt "Rebirth" seinen endgültigen Abschluss. Ob Whitmarsh damit wie sein Vorgänger auf die Siegerstraße zurückfindet, wird sich zeigen. Auch in der Formel 1 passieren Wunder nicht über Nacht.

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