Martin Whitmarsh sitzt entspannt auf seinem Hocker. Die getönten Scheiben des McLaren-Motorhomes beschützen ihn vor allzu lästigen Strahlen der tiefstehenden Sonne. Hoch oben über dem Fahrerlager, im zweiten Stock des Glaspalastes ist er der König, egal, wie viele Siege und Titel Sebastian Vettel und Red Bull in den vergangenen Jahren eingefahren haben. "We have two great racing drivers", sagt er wie in Trance. Unzählige Male hat er diesen Satz an dieser Stelle zum Besten gegeben. Für viele Journalisten ist er über die Jahre quasi zur Catch-Phrase des McLaren-Teambosses geworden. Doch dann das: Lewis Hamilton verlässt McLaren und nimmt den Lieblingssatz seines Ex-Chefs gleich mit zu seinem neuen Arbeitgeber.

Whitmarsh kennt Fernando Alonso und Kimi Räikkönen aus eigener Erfahrung - wobei die Siege des Iceman wohl in besserer Erinnerung geblieben sind als das politische Katastrophen-Jahr mit dem Spanier. Für ihn dürfte die Aufregung um die Paarung zweier Toppiloten in einem Spitzenteam ziemlich unverständlich sein. Immerhin lebte McLaren diese Philosophie mit seinen "two great racing drivers" Hamilton und Jenson Button jahrelang vor.

Auch mit Alain Prost und Ayrton Senna setzte McLaren in der Vergangenheit auf zwei Megastars - wenn auch hier nicht ohne gewisse Spannungen, um es positiv zu formulieren. Die Geschichte beweist also: Zwei Topstars sind selten pflegeleicht und ganz ohne Schwierigkeiten zu managen. Aber egal, ob Alleinherrscher im Stile von Michael Schumacher mit seinen beiden treuen Adjutanten aus Brasilien oder intergalaktisches Superstar-Duo, einer Frage sieht sich jeder Teamchef gegenüber: Wie stellt man die beste Fahrerpaarung zusammen?

"Oftmals hat man gar keine große Wahl", sagt Ross Brawn. Schließlich seien die Wunschfahrer nicht immer auf dem Markt oder bereit, sich dem eigenen Team anzuschließen. Man schnüre sich zu Saisonbeginn ein Paket aus Fahrer, Auto und Team, von dem man glaube, dass es gut funktionieren werde. "Das ist gar nicht so kompliziert", sagt Whitmarsh. "Wir wählen die Fahrer, von denen wir glauben, dass sie Rennen und Titel gewinnen können." In diesem Auswahlprozess spielen bei McLaren viele Faktoren eine Rolle. "Sie müssen schnell sein, echte Racer und gute Teamkollegen", erklärt Whitmarsh. "Sie müssen in der Lage sein, den Ingenieuren gutes Feedback zu geben und herauslesen können, was in einem Rennen passiert und diese Informationen an das Team weitergeben."

Mercedes sicherte sich eine der stärksten Fahrerpaarungen, Foto: Sutton
Mercedes sicherte sich eine der stärksten Fahrerpaarungen, Foto: Sutton

Weniger wichtig ist es für Whitmarsh, unbedingt einen jungen und einen erfahrenen Piloten zu haben. In der Vergangenheit funktionierten beide Ansätze. So brachten die Jungtalente Kimi Räikkönen und Nick Heidfeld das kleine Sauber Team in der Saison 2001 bis auf Konstrukteursrang vier. Eins steht jedoch fest: für die außergewöhnlichen Momente wie Vettels Traumrennen in Singapur in diesem Jahr benötigt es auch ganz besondere Fahrer. Vettel fuhr auf dem schwierigen Straßenkurs in 15 Runden 30 Sekunden Vorsprung heraus.

"Dafür brauchst du einen Mörderspitzenpiloten, einer aus der zweiten Garde schafft das nie", meint Motorsport-Magazin.com Experte Christian Danner. "Wir haben zum Glück zwei großartige Fahrer, die in Harmonie zusammenarbeiten", bedient sich Brawn bei Whitmarshs Lieblingssatz. "Natürlich wollen sie sich gegenseitig schlagen, das wollen wir auch sehen, aber sie haben dabei den richtigen Spirit. Sie sind beide sehr reif und haben den richtigen Charakter. Wussten wir das vorher? Leider nein, wir hatten Glück."

Traumpaar: Nico Rosberg & Lewis Hamilton

Selbstbewusst gingen Ross Brawn, Toto Wolff und Niki Lauda in Melbourne in die neue Saison. "Wir haben die stärkste Fahrerpaarung der Formel 1", lautete unisono die Ansage der Mercedes-Bosse. Widerspruch erschien zwecklos. "Sie sind auf dem selben Niveau wie Räikkönen und Alonso", analysiert Motorsport-Magazin Experte Christian Danner heute. Lewis Hamilton gehört als Weltmeister und mehrfacher GP-Sieger anerkanntermaßen zu den Besten seiner Zunft. Der frühere McLaren-Star besitzt in den Augen vieler Experten vielleicht sogar den größten Speed aller aktiven Formel-1-Piloten. In diesem Jahr scheint er sich zudem nicht von privaten Nebenkriegsschauplätzen ablenken zu lassen.

Nico Rosberg musste in seiner Karriere oft gegen Zweifler ankämpfen, belehrte diese aber stets eines Besseren. So auch bei Mercedes: er gewann gegen seine höher eingeschätzten Teamkollegen Michael Schumacher und Hamilton jeweils mehr Rennen. Obendrein punktet Rosberg mit seinem detaillierten technischen Feedback und umfassendem Know-how. Kritische Stimmen warfen ihm nach dem Befolgen der Stallregie in Malaysia vor, dass er zu artig, brav und gehorsam sei. Hamilton wird hingegen gerne das Gegenteil unterstellt.

"Ich weiß nicht, was andere über mich denken. Als Rennfahrer muss man eine Balance finden", erklärt Rosberg dem Motorsport-Magazin. "Es ist wichtig, aggressiv, kämpferisch und auch mal egoistisch zu sein, aber gleichzeitig muss man ein Teamplayer sein und sich gegenüber dem Team richtig verhalten." Motorsportchef Toto Wolff glaubt, dass seine beiden Fahrer die perfekte Balance gefunden haben, um sich ohne Streit gegenseitig anzutreiben. In seinen Augen gehen sie vor allem deswegen fair miteinander um, weil sie sich schon seit Kartzeiten kennen.

Entsprechend sieht Wolff die Explosionsgefahr bei Räikkönen und Alonso als viel höher an als bei seinen Silberpfeil-Lenkern. "Lewis und Nico haben gezeigt, dass sie wahrscheinlich das am engsten zusammenliegende und ausgeglichenste Fahrer-Duo in der Formel 1 sind", betont Wolff. Widerspruch erscheint noch immer zwecklos. Nun liegt es an Räikkönen und Alonso das Gegenteil zu beweisen.

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