Du gehörst schon seit einigen Jahren zum Dunstkreis der Formel 1. In dieser Saison hat es endlich mit einem Stammcockpit geklappt. Wie würdest du deine Erfahrungen bislang zusammenfassen?
Giedo van der Garde: Es ist ziemlich gut gelaufen. Als Rookie ist es nicht einfach, in die Formel 1 aufzusteigen, besonders in diesem Jahr. Man muss so viel wie möglich lernen und das mache ich gerade. Zum Glück ist mein Team darin sehr gut, sie haben sehr viele Möglichkeiten, um mir viel beizubringen und mich zu verbessern. Wir haben in der ersten Saisonhälfte gutes Potenzial gezeigt, etwa das Erreichen von Q2 in Monaco.

Im Rennen habe ich noch etwas Schwierigkeiten, aber wir dürfen nicht vergessen, dass die Reifen in diesem Jahr sehr kompliziert sind. Wir müssen uns zum Vergleich doch nur Sergio Perez ansehen. Im vergangenen Jahr gehörte er zu den Fahrern, die sehr gut mit den Reifen umgingen - jetzt hat er große Probleme damit. Mir geht es diesbezüglich im Rennen genauso wie ihm. Es ist nicht einfach, die Reifen zu verstehen und sie im Rennen so lange wie möglich einzusetzen. Daran müssen wir noch arbeiten.

Du warst in der Vergangenheit bei einigen Formel-1-Teams Test- und Ersatzfahrer. Wie hat sich deine Rolle über die Jahre hinweg entwickelt?
Giedo van der Garde: Um ehrlich zu sein, waren die Rollen, die ich in der Vergangenheit ausgefüllt habe, nicht so professionell wie ich sie im vergangenen Jahr erstmals hier in diesem Team übernommen habe. Ich war bereits Teil der Caterham-Familie in der GP2 und das Team hat dafür gesorgt, dass ich auch ins Formel-1-Team hineinwachsen konnte. In der GP2 war das Team nicht besonders gut, aber ich habe ihnen mit viel Wissen geholfen und es mitaufgebaut. Unser Auto konnte um Rennsiege kämpfen. In diesem Bereich war ich im letzten Jahr sehr zufrieden. Gleichzeitig konnte ich als Freitagstestfahrer für das Formel-1-Team viel lernen. Das war eine echt gute Sache. Ich habe mich im Verlauf des Jahres sehr gesteigert und in der Schlussphase der Saison einen guten Speed gezeigt. Natürlich war es ein fantastischer Moment, als ich das Cockpit für diese Saison erhalten habe.

Giedo van der Garde kam auf Umwegen in die Formel 1, Foto: Sutton
Giedo van der Garde kam auf Umwegen in die Formel 1, Foto: Sutton

Hat dir die Erfahrung aus den Vorjahren viel geholfen?
Giedo van der Garde: Ich glaube schon. Was ich im letzten Jahr an den Freitagen gegen Saisonende gelernt habe, hat mir viel geholfen. Das war, wie gesagt, eine sehr gute Erfahrung für mich. Andererseits sind die Reifen in diesem Jahr ganz anders. Das ist immer noch eine schwierige Aufgabe, die wir lösen müssen.

Was war für dich am schwierigsten zu lernen in diesem Jahr? Sind es die Reifen oder doch das Qualifying oder gar die Rennstrategien?
Giedo van der Garde: Das ist ganz klar der Umgang mit den Reifen. Sie sind einfach ganz anders als im vergangenen Jahr. In meinen Augen habe ich in den Qualifyings eine gute Pace gezeigt, in den Rennen gibt es aber noch einige Bereiche, in denen ich mich noch steigern muss. Das gehe ich Schritt für Schritt an.

Die komplexen Rennstrategien waren für dich also nichts Neues?
Giedo van der Garde: Ich war letztes Jahr schon in den Meetings mit den Ingenieuren dabei. Man sieht, was sie machen, lernt so viel wie möglich, hört sich den Funk an, sieht die Boxenstopps und welche Reifen sie nutzen. Letztlich lernt man jedoch am meisten, wenn man selbst im Cockpit sitzt und Rennen fährt.

Blicken wir zurück auf dein Formel-1-Debüt in Melbourne. Warst du nervös?
Giedo van der Garde: Ich war eher gespannt darauf. Vor dem Qualifying war ich relativ entspannt. Wir hatten ein sehr gutes drittes Training, aber natürlich war es dann ein verrücktes Qualifying im Regen. Das war nicht einfach, aber wir haben uns gut geschlagen. Klar, es war nicht mein bestes Qualifying, weil ich auf meiner schnellsten Runde abgeflogen bin, aber es war in meinen Augen okay. Bei deinem ersten Rennen ist es ein wirklich schönes Gefühl, in der Startaufstellung zu stehen und einfach den Moment zu genießen. Das habe ich getan.

Wie sehr beeinflusst es dich mental, wenn dein Teamkollege schneller ist als du?
Giedo van der Garde: Wir waren in diesem Jahr im Qualifying bislang recht ausgeglichen. Charles (Pic) besitzt bereits ein Jahr Formel-1-Erfahrung. Er ist ein sehr guter Teamkollege und ich arbeite gut mit ihm zusammen. Seine Erfahrung hilft mir viel und ich versuche, so viel wie möglich von ihm zu lernen. Er ist sehr schnell. Es ist gut, im Qualifying gegeneinander zu kämpfen.

Giedo van der Garde erklärt Motorsport-Magazin.com seinen langen Weg in die Formel 1, Foto: Sutton
Giedo van der Garde erklärt Motorsport-Magazin.com seinen langen Weg in die Formel 1, Foto: Sutton

Im Rahmen unseres Rookie-Specials haben wir auch mit Esteban (Gutierrez) gesprochen. Für ihn war die größte Herausforderung, zu akzeptieren, dass ein zwölfter Platz das bestmögliche Ergebnis für ihn an einem Wochenende ist. Ist das bei dir genauso?
Giedo van der Garde: Wir wissen, wo wir stehen und wer unsere Gegner sind. Manchmal ist Marussia schneller, manchmal sind wir es. Es ist nicht einfach, aber zum Glück kann man trotzdem noch sehr viel dabei lernen. Wenn sich dann in einem Regen-Rennen, bei einem verrückten Rennverlauf oder auf Strategieseite eine Chance ergibt, muss man das Beste daraus machen. Leider ist es für uns normal, dass wir im Q1 ausscheiden. Für uns ist das Weiterkommen ins Q2 wie ein Sieg.

Alle im Fahrerlager sprechen über viel zu wenige Testmöglichkeiten für junge Fahrer. Ich denke, dem wirst auch du zustimmen...
Giedo van der Garde: Klar, als Rookie möchte man so viel wie möglich testen und im Auto sitzen. Das ist schon hart. Nichtsdestotrotz müssen wir die Regeln akzeptieren und versuchen, auf andere Weise so viel wie möglich zu lernen.

Aber hilft es dir vielleicht bei deiner Herangehensweise und deinen Arbeitsprozessen, dass auch in der GP2 nicht getestet und nur wenig an den Rennwochenenden trainiert wird?
Giedo van der Garde: Nein, leider nicht. Die Formel 1 ist auf einem viel, viel höheren Niveau. Es ist richtig hart, alles zu verstehen. Je mehr man fährt, desto mehr versteht man auch. Es ist wie bei einem Fußball-Spieler. Er kann jeden Tag mit dem Ball trainieren und wird so schneller und besser. Wir fahren alle zwei Wochen ein Rennen und das war es. Selbstverständlich können wir die Daten analysieren, sehen, wie gut wir mit den Reifen umgegangen sind, wie die Trainings verlaufen sind, es geht vielmehr ums Analysieren als ums Fahren. Das ist keine einfache Situation, aber wir können es nicht verändern.

Verfolgst du, was im Internet oder Zeitschriften über dich und deine Debütsaison geschrieben wird?
Giedo van der Garde: Nein, nicht wirklich. Ich konzentriere mich auf mich und meine Arbeit mit dem Team. Natürlich hört man manchmal etwas über Meldungen, die herumschwirren, aber es ist so viel, das kann ich gar nicht alles lesen.

Als Formel-1-Fahrer sitzt du nicht nur im Auto und gibst Gas. Du hast PR-Termine für das Team, besuchst die Fabrik und redest mit deinen Ingenieuren, du musst deine Mechaniker motivieren - ist das für dich Ablenkung oder gefällt dir das an deinem Job?
Giedo van der Garde: Nein, das stört mich gar nicht. Natürlich muss man sich erst daran gewöhnen. In der Formel-1-Welt ist alles sehr viel größer. Wie du schon gesagt hast, es gibt viel mehr PR-Arbeit, viel mehr Verpflichtungen, mehr Arbeit mit den Ingenieuren, etwa im Simulator in der Fabrik. Dort müssen wir Dinge ausprobieren, das Auto und mich selbst verbessern. Ich setze mich mit den Ingenieuren oder den Jungs aus der Aerodynamik- oder Entwicklungsabteilung zusammensetzen.

Van der Garde hatte sein Privatduell gegen Marussia, Foto: Sutton
Van der Garde hatte sein Privatduell gegen Marussia, Foto: Sutton

Von all dem kann man viel lernen - viel mehr als in jeder anderen Rennserie. Es ist eindeutig anders als früher, aber es gefällt mir. Man muss sich erst ein bisschen einleben, schließlich ist das Team drei oder vier Mal so groß als in einer anderen Rennklasse. Aber es ist wichtig, so viel wie möglich mit den Teammitgliedern zu sprechen und sie zu motivieren. Wenn man mit seinen Mechanikern nett umgeht, arbeiten sie viel härter für dich, als wenn du dich ständig nur über alles beschwerst.

Jeder Rennfahrer möchte Grands Prix und WM-Titel gewinnen. Aber setzt du dir auch kurz- und mittelfristige Ziele auf dem Weg dorthin?
Giedo van der Garde: Natürlich würde ich gerne Rennen gewinnen und Weltmeister werden. Aber irgendwo muss jeder einmal anfangen. Selbst Fernando Alonso begann seine Karriere am Ende der Startaufstellung bei Minardi. Jetzt ist er Doppelweltmeister. Mein Ziel ist es, weiter nach oben zu gelangen und dann ebenfalls Rennen und Titel zu gewinnen.

Blicken wir zum Schluss nach vorne: Denkst du manchmal über die Zukunft nach? Etwa auf einem langen Flug oder nachts, wenn du im Bett liegst...
Giedo van der Garde: Es ist klar, dass ich auch in den nächsten Jahren in der Formel 1 bleiben und mein Potenzial zeigen möchte. Mehr kann ich dazu nicht sagen. Warten wir ab, was die Zukunft bringt.

Die Formel 1 kann für Rookies ein äußerst brutales Umfeld sein. Machst du dir manchmal Gedanken, wenn du siehst, wie andere Fahrer in der Vergangenheit behandelt und von ihren Teams abserviert wurden?
Giedo van der Garde: Ich weiß nicht genau, wie ich das beantworten soll. Das ist eine schwierige Frage. Sagen wir es so: Die Formel 1 ist die absolute Königsklasse - und in der höchsten Klasse musst du deine Leistung bringen. Wenn das nicht der Fall ist, steht hinter dir schon eine lange Schlange an Fahrern bereit, um dich abzulösen.

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