Tosender Applaus hallt durch das Sauber-Motorhome. Mit einem Strahlen im Gesicht und zehn unsichtbaren, aber unbezahlbar wertvollen Punkten im Gepäck schreitet Nico Hülkenberg durch die Glastür ins Innere. Seiner Teamchefin Monisha Kaltenborn ist die Erleichterung kurz nach Rennende in Monza deutlich anzumerken. "Das war ein sehr, sehr starkes Rennen - das hat er ganz toll gemacht", lobt sie noch immer spürbar aufgewühlt im Gespräch mit Motorsport-Magazin.com.

Als Hülkenberg unter dem Beifall der Teammitglieder und Gäste eintritt, unterbricht sie unser Interview kurz, um ihrem Piloten zu seiner Leistung zu gratulieren. "Komm, lass dich umarmen", sagt Kaltenborn, in dem Wissen, dass Hülkenberg mit Platz fünf auf einen Schlag mehr Punkte eingefahren hatte, als in der gesamten bisherigen Saison. "Immer dann, wenn es darauf ankommt, bringt er seine Leistung absolut auf den Punkt", lobt Motorsport-Magazin.com-Experte Christian Danner. "Da passt alles, keine Fehler, jede Runde top. Das war eine absolute Weltklasseleistung."

Eine Leistung, die Hülkenberg nach einer schwierigen Saison bei Sauber wieder einmal auf dem Radar einiger Teamchefs und Experten aufblinken ließ - ein Spitzencockpit erhielt er jedoch abermals nicht. Schon im vergangenen Jahr wurde der Deutsche als möglicher Kandidat bei Ferrari gehandelt, wie in diesem Jahr kam es nicht zu einem Wechsel zur Scuderia.

Nico Hülkenberg ist zurück bei Force India, Foto: Sutton
Nico Hülkenberg ist zurück bei Force India, Foto: Sutton

Dieses Schicksal teilt Hülkenberg mit seinem Landsmann Adrian Sutil. Der diesjährige Force-India-Pilot präsentierte sich bei seinem Formel-1-Comeback zu Beginn dieser Saison in Topform. Nach einem Jahr Zwangspause in Folge der Disco-Affäre von Shanghai 2011 kehrte Sutil voll motiviert und vom Formel-1-Stress bestens erholt zu seinem Ex-Team Force India zurück. Eine von vielen Parallelen zu Hülkenberg, der in der Vorsaison beim gleichen Team nach einem Jahr Rennpause vom Testfahrer zum Stammfahrer aufstieg und sich dort mehrfach durch starke Leistungen auszeichnen konnte.

"Grundsätzlich ist bei beiden fahrerisch nichts, aber auch gar nichts, auszusetzen", betont Danner. "Beide haben jeweils im Rahmen der Performance ihrer Autos gezeigt, was sie können." Trotzdem verschwinden Sutil und Hülkenberg nach ihren Topergebnissen schnell wieder aus den Gedächtnissen der Verantwortlichen und Fans. Sie bleiben im Schatten von Serienweltmeister Sebastian Vettel und Silberpfeil-Star Nico Rosberg. "Die Leute scheinen ihre guten Leistungen schnell zu vergessen, aber Adrian lag beispielsweise in Australien elf Runden lang in Führung - und zwar vor Sebastian Vettel", erinnert Danner.

Abgesehen von Sieger Kimi Räikkönen war Sutil der Mann des Auftaktrennens. "Da hat er wieder einmal gezeigt, was er kann", so Danner. "Durch den Reifenwechsel ist das Auto ab der Saisonmitte leider im Nirvana verschwunden - bei Hülkenberg war es genau andersherum. Da war das Auto zu Saisonbeginn nicht gut und wird jetzt langsam besser."

Die etwas despektierliche Bezeichnung 'zweite Garde der deutschen Formel-1-Piloten' gefällt Sutil verständlicherweise nicht. Schließlich fehlt bei diesem Vergleich zu Vettel und Rosberg ein entscheidender Faktor: eine gleich gute Ausgangsbasis. "Seit Jahren muss ich hoffen, dass im Rennen etwas passiert, damit ich weiter nach vorne komme, als es das Auto zulässt", gibt Sutil gegenüber Motorsport-Magazin.com Einblick in sein Seelenleben. "Auch wenn Vettel und Rosberg schon Siege auf dem Konto haben, fahre ich meiner Meinung nach in der gleichen Liga wie sie. Gebt mir ein gescheites Auto und ich fahre vorne mit. Wenn ich nicht der Ansicht wäre, dass ich im richtigen Auto mit Vettel und Rosberg mithalten könnte, hätte ich schon längst aufgehört."

Sutil war in der ersten Saisonhälfte mit besserem Auto stark unterwegs, Foto: Sutton
Sutil war in der ersten Saisonhälfte mit besserem Auto stark unterwegs, Foto: Sutton

Bislang musste sich Sutil jedoch mit nicht siegfähigem Material durchschlagen - das aber durchaus mit beachtlichen Erfolgen. In Spa und Monza war er 2009 nah einem Podestplatz dran, auch in Silverstone hätte er in dieser Saison unter Umständen aufs Podium fahren können. "Aus irgendeinem Grund hat es leider nie geklappt", ärgert er sich. "In Silverstone dachte ich schon: Jetzt ist es soweit. Aber es ist wie verhext."

Auch Hülkenberg schnupperte bereits am Podium. Beim Saisonfinale des vergangenen Jahres in Brasilien führte er das Rennen sogar 30 Runden lang an. Dabei müssen die beiden Schatten-Deutschen für solche Ergebnisse mindestens genauso hart, wenn nicht noch härter arbeiten wie ihre Kollegen im Scheinwerferlicht des Siegerpodiums. "Jeder macht Fehler", betont Sutil. Der Unterschied dabei ist: "Wenn ein Topteam einen Fehler macht, sind sie immer noch Dritter. Wenn aber wir einen Fehler machen, sind wir nicht mal mehr in den Punkten. Wir müssen immer alles zu 110% hinbekommen, um vielleicht eine Chance zu haben, aufs Podium zu fahren."

Die Hoffnung auf solche Ergebnisse treibt ihn unentwegt weiter an. "Natürlich ist ein siebter Platz besser als ein Zehnter, aber ich bin in die Formel 1 gekommen, um zu gewinnen. Und wenn man dann nur Siebter wird, ist das nicht schön. Es ist nicht das, wo ich sein will." Aber mehr gibt beziehungsweise gaben die Spykers und Force Indias, die Sutil in der Formel 1 fuhr, nicht her. "Ich musste und muss stets auf Chancen warten und sie dann auch nutzen. Aber ich bin immer bereit - egal, ob auf einem Stadtkurs, bei einem Regen- oder einem Trockenrennen. Aufgeben ist nicht mein Ding."

Genauso wenig wie das von Hülkenberg. Nicht nur für Christian Danner ist Hülkenbergs Pole auf abtrocknender Strecke in Sao Paulo 2010 unvergessen. "Was er da gezeigt hat, noch dazu in einem Williams - da kann ich nur sagen: Chapeau!", lobt Danner. Auch für den ehemaligen Grand-Prix-Fahrer Johnny Herbert ist Hülkenberg 'the real deal'. "Ich wusste immer um sein Talent", outet sich Herbert gegenüber Motorsport-Magazin.com überraschend als Hulk-Anhänger. An seine Pole in Brasilien, in seinem erst 18. Formel-1-Rennen, hat zu diesem Zeitpunkt niemand geglaubt. "Nico war für mich schon immer ein 'vergessener Pilot' - über ihn wird kaum etwas geschrieben, außer er fährt wie damals auf die Pole. Ich hoffe, dass sich das jetzt endlich einmal ändert und die Leute von ihm mehr Notiz nehmen."

Hülkenberg und Sutil warten auf ihre große Chance, Foto: Sutton
Hülkenberg und Sutil warten auf ihre große Chance, Foto: Sutton

Auch Danner hält Hülkenberg, ebenso wie Sutil, für einen absoluten Spitzenpiloten. "Die Frage ist letztendlich nur, wer von beiden in Zukunft ein besseres Auto erhält." Denn nur mit einem Spitzenauto können sie aus dem Schatten von Vettel und Rosberg heraustreten und selbst im Rampenlicht glänzen. "In einem Ferrari oder Red Bull würden sie beiden vorne mitfahren - das steht für mich außer Frage", betont Danner, dem Herbert ohne Widerspruch beipflichtet: "Ich würde Nico gerne eines Tages in einem Ferrari sehen, denn wie gesagt, ich halte ihn für einen echten Kracher."

Vor allem Hülkenbergs mentale Stärke und sein Renninstinkt haben es Herbert angetan. "Er weiß, wie er das Auto in die richtige Position bringt. Er ist unglaublich schnell, wie man in diesem Jahr an seiner drittbesten Zeit im Qualifying in Monza sehen konnte - und so war es auch schon in den Nachwuchsserien zuvor. Er hat stets sehr gute Arbeit abgeliefert, daher verdient er die Chance auf ein Top-Team."

Darauf muss er weiter warten. In der Saison 2014 kehrt er zu Force India zurück, zu einem Team, das er erst Ende 2012 zugunsten von Sauber verlassen hat. Selbst Sutil lobt seinen Kontrahenten Hülkenberg als einen sehr starken Fahrer, den er sich durchaus als seinen Teamkollegen vorstellen könnte. "Das wäre ein interessantes deutsch-deutsches Duell", sagte er während der Saison bei dem Gedanken an eine rein deutsche Fahrerpaarung. "Dann würde ich gerne sehen, wer die Nase vorne hätte."

Derzeit gilt Sergio Perez als Favorit auf das zweite Force-India-Cockpit neben Hülkenberg, doch vielleicht bleibt auch Sutil. Aber egal wie: sollte das Duell Sutil gegen Hülkenberg irgendwann einmal in einem konkurrenzfähigen Auto stattfinden, würde es die Formel-1-Welt sicher auch nicht so bald vergessen.