"Der Renningenieur ist die Stimme, mit der man immer verbunden ist. Klar, auf der Strecke ist man alleine, aber das Team steht hinter dir. Dein Renningenieur und dein Dateningenieur sind die Personen, mit denen du am meisten zu tun hast, was das Fahrzeug angeht, aber auch mit Blick auf die Strategie", erklärt Sebastian Vettel gegenüber Motorsport-Magazin.com. Der Renningenieur ist der Projektmanager, der das Programm für die einzelnen Sessions zusammenstellt, die taktischen Möglichkeiten auslotet und die Marschroute für das Rennwochenende vorgibt.

An einem Rennwochenende stellen die verschiedenen Setup-Möglichkeiten eine Art Puzzle dar, das es so schnell und perfekt wie möglich zusammenzusetzen gilt. Für manche Fahrer fungiert der Renningenieur auch als Motivationstrainer. "Manchmal weißt du nicht, wie viele Informationen ein Fahrer will", sagt Phil Prew, der als Chefingenieur den gesamten Stab von Technikern und Mechanikern bei McLaren koordiniert. "Wir geben unseren Fahrern lieber mehr Informationen und wenn sie genug haben, müssen sie einfach sagen, dass wir den Mund halten sollen."

So geschehen 2011 auf dem Nürburgring, als Hamilton in seinen Funk schrie: "Hört auf, mit mir zu reden. Ich fahre hier ein Rennen!" Guillaume Rocquelin vergleicht seinen Job mit dem eines Fußball-Trainers. "Neben dem Erarbeiten des Setups muss ich dafür sorgen, dass die Mechaniker mit Sebastian und mir reibungslos zusammenarbeiten", erklärt Vettels Renningenieur. Wie ein Fußballtrainer muss er ein Gespür für die Gesamtsituation haben und in einer sich anbahnenden Katastrophe Ruhe bewahren wie einst in Monza, als die Lichtmaschine an Vettels Boliden streikte.

'Rettungs-Modus'

"Wenn so etwas passiert, dann geht man automatisch in den 'Rettungs-Modus'. Man denkt nicht: 'Oh nein, wir werden das Rennen verlieren'. Eher: 'Okay, wie lösen wir jetzt dieses Problem?' Wenn man in eine Krise schlittert, dann setzt man alles daran, da wieder rauszukommen", gibt Rocquelin, der von Vettel 'crazy frog' genannt wird, einen Einblick in seinen Arbeitsalltag. Aufgeben kommt für ihn erst in Frage, wenn das Auto steht und keine Daten mehr auf den Bildschirmen aufscheinen. "Dann weiß man, dass es vorbei ist", sagt Rocquelin.

In solchen Momenten zieht sich der Franzose in sein Büro zurück, um sich zu sammeln und die nächsten Schritte zu überlegen. "Ich lasse mich von Rückschlägen nicht verrückt machen. So ist der Motorsport", erklärt Rocquelin cool. Ein Renningenieur behält aber nicht nur im Renngeschehen den Überblick. "Ich würde sagen, dass ich eine organisatorische Rolle habe, eher jedenfalls, als eine rein technische. Natürlich ist die technische Seite sehr ausgeprägt, aber ich habe viel mehr den Gesamtüberblick über die Entwicklungen am Rennwochenende und über das gesamte Jahr", verrät Slade, der mittlerweile ehemalige Renningenieur von Räikkönen.

Der Brite gilt im Fahrerlager als Finnen-Spezialist - arbeitete er doch in seiner langjährigen Karriere bereits mit Mika Häkkinen, Heikki Kovalainen und eben Räikkönen zusammen. Letzterer ließ ihn für sein Formel-1-Comeback extra von McLaren zu Lotus holen - ein Renningenieur ist eben nicht irgendein Teammitglied. Er gehört zum 'Circle of Trust', ist der engste Vertraute eines Fahrers. Der eine weiß, was der andere denkt. "Wir sprechen die gleiche Sprache. Selbst wenn ich nicht sprechen könnte, könnten Rocky und mein Dateningenieur Timmy anhand meines Gesichtsausdrucks erkennen, ob ich glücklich bin oder ob man etwas am Auto ändern muss", verriet Vettel abseits des USA GP.

Es muss nichts mehr diskutiert werden, es wird einfach gehandelt. "Das ist nichts Besonderes, schließlich verbringe ich mit Sebastian mehr Zeit als mit meiner Frau", erklärt Rocquelin den Grund für das blinde Verständnis zwischen Fahrer und Renningenieur. Ein Renningenieur horcht eben nicht nur in das Auto, sondern auch in den Piloten hinein. "Ein guter Renningenieur ist immer auch ein guter Psychologe", bestätigt Motorsport-Magazin.com-Experte Christian Danner. Zwischen vielen entsteht über die Jahre eine Freundschaft.

Vierfach-Champion Sebastian Vettel würde das Verhältnis zu seinen Ingenieuren hingegen als professionell bezeichnen. "Man bewahrt bewusst einen gewissen Abstand. Das ist wichtig, damit das Arbeitsverhältnis nicht darunter leidet, damit man nicht Angst davor haben muss, die eigene Meinung zu sagen oder Kritik zu äußern. Es sind beide nicht so einfach von meiner Meinung zu überzeugen, aber das eine oder andere Mal habe ich mich schon durchgesetzt", erklärt der Deutsche mit einem breiten Grinsen auf dem Gesicht, um dann hinzuzufügen: "Wir vertrauen uns nach einer so langen Zeit einfach blind."