Zugegeben, dass es nach der großen Ankündigung nach dem Indien-GP bei ganzen zwei Zwischenfällen bezogen auf Track Limits im Formel-1-Rennen bleiben würde, war schon überraschend. Das liegt aber vermutlich daran, dass nicht konsequent vorgegangen wurde: Es waren bereits im Qualifying immer wieder Fahrer mit mehr als zwei Rädern außerhalb der weißen Linien mit Zeitvorteil. Für hohe Wellen sorgte schließlich der Freispruch für Alonsos Stunt-Manöver gegen Jean-Eric Vergne im Rennen. Darum soll es hier aber nicht gehen, sondern um etwas Grundsätzliches: Sämtliche Diskussionen zu diesem Thema wären unnötig, wenn die Auslaufzonen nicht solche Manöver erlauben würden.

Es ist nicht drum herum zu reden: Seit Beginn des Jahrtausends wurde mit Anbauflächen jenseits des Kerbs und den asphaltierten Auslaufzonen übertrieben. Es ist richtig, dass sie in manchen Fällen ihren Zweck erfüllen, aber es muss die Frage gestellt werden: Ist es das, was wir wirklich wollen? Nicht nur Fans beschweren sich darüber, dass die Strecken eine nach der anderen verschandelt und zu Parkplätzen mit zwei weißen Linien und ein paar Kerbs umgebaut werden. Das Geschwindigkeitsgefühl für Piloten und Zuschauern leidet gleichermaßen, dazu wirken die Asphaltwüsten wie Abu Dhabi trostlos wie ein verregneter Spätherbsttag in Mitteleuropa.

Eine der wenigen Kurven, an der die Wiese noch bis an die Fahrbahn heranreicht, ist die Parabolica in Monza. Und tatsächlich hat es dort noch nie Ärger bei Verlassen der Strecke gegeben - eben weil ein solches Manöver sofort mit einem großen Zeitverlust im Kiesbett bestraft wird. Asphaltierte Auslaufzonen sollen verhindern, dass sich ein Fahrzeug wie in einem Kiesbett überschlägt, können aber nicht als Allheilmittel betrachtet werden: Als bei Natacha Gachnang in Abu Dhabi in der FIA GT1 Weltmeisterschaft die Bremsen ihres Ford GT komplett versagten, knallte sich fast ungebremst in die Wand und brach sich das Bein - auf einer der angeblich sichersten Strecken der Welt.

Großzügige Auslaufzonen mit Kiesbett waren bereits sicher genug, Foto: Sutton
Großzügige Auslaufzonen mit Kiesbett waren bereits sicher genug, Foto: Sutton

Diagnose: Kontraproduktiv!

Nach zwölf Jahren asphaltierten Auslaufzonen müssen wir uns die Kosten-/Nutzen-Frage stellen: Was haben sie uns gebracht, was rauben sie uns? Die Frage, ob "Sicherheit um jeden Preis" der richtige Weg ist, wird nicht erst seit dem NSA-Skandal diskutiert. Ist die Sicherheit auch in der Formel 1 ein "Supergrundrecht"? Oder rauben uns die asphaltierten Auslaufzonen zu viel Faszination? Wie oben angeführt, sind sie nicht einmal in der Lage, ihre eigentliche Existenzberechtigung ausreichend zu erfüllen. Trotzdem wurden sie nie hinterfragt - warum?

Fakt ist, dass die Auslaufzonen auf Strecken der späten 90er-Jahre (z.B. Malaysia) auch ohne Asphalt bereits ausreichend groß gewesen sind, um schwere Unfälle zu verhindern. Ein nicht mehr verzögerndes Fahrzeug wurde darüber hinaus auch noch zusätzlich abgebremst. Weiterentwicklungen der Kiesbetten hätte sicher auch das Problem des auftretenden Drehmoments bei seitwärts rutschenden Fahrzeugen behoben. Und sie haben eben auch verhindert, dass jemand neben der Strecke überholt. Fahrfehler wurden damit bestraft, dass das Rennen vorbei sein konnte, mindestens aber ein großer Zeitverlust eintrat.

Heute wird einfach am Gas geblieben. Asphaltierte Auslaufzonen sollten ursprünglich der Sicherheit dienen, wurden dann aber seitens der Fahrer als Freifahrtsschein zum Fehler Machen interpretiert. Und letztlich wurde sogar das Gegenteil von dem erreicht, was erzielt werden sollte: Die großen Parkplätze neben der Strecke verleiten die Fahrer zu immer aggressiveren Fahrmanövern. Man schaue sich alleine die Anzahl der verhängten Strafen seit dem Jahr 2000 an. Dienen Asphaltflächen also wirklich der Sicherheit? Auf dem Papier vielleicht, aber sicherlich nicht in der Realität.

Erst Wiese, dann Asphalt: Das Korea-Modell könnte - etwas weiterentwickelt - alle Probleme beheben, Foto: Sutton
Erst Wiese, dann Asphalt: Das Korea-Modell könnte - etwas weiterentwickelt - alle Probleme beheben, Foto: Sutton

Eine realistische Lösung: Grasstreifen

Auch wenn es wünschenswert sein mag, auf den Stand der Strecken aus dem Jahr 2000 zurückzukehren: Das Rad der Zeit lässt sich nicht zurückdrehen. Der Asphalt neben dem Asphalt wird nicht mehr verschwinden. Doch man kann etwas unternehmen: Ein Streifen Rasen zwischen Rennstrecke beziehungsweise Kerb und Auslaufzone würde die Probleme angehen. Ansatzweise wurde so etwas bereits in Korea versucht, aber nicht konsequent: An den Stellen, wo es wirklich weh tun würde, nämlich am Kurvenausgang, wurde in Korea bislang darauf verzichtet. Darüber hinaus war der Streifen nur wenige Zentimeter breit.

Ein Grasstreifen von ein bis eineinhalb Fahrzeugbreiten würde jedes Problem lösen: Niemand käme mehr auf die Idee, über den Kerb (Bedeutung: RANDstein) hinauszufahren, überholen neben der Strecke wäre nicht mehr möglich. Das Problem würde sich von alleine lösen, es bräuchte keine stundenlangen Investigations mehr. Nicht zuletzt würde es auch der Ästhetik der Strecke mehr helfen, wenn es wieder neben dem Asphaltband wieder grünt. Und die Vorteile der asphaltierten Auslaufzone würden bestehen bleiben. Bitte, Herr Tilke, diskutieren Sie das mit der FIA!