Der Große Preis von Indien verspricht ein wahrer Strategie-Leckerbissen zu werden. Pirelli macht's möglich: Der Reifenlieferant setzte diesmal auf die Weich/Medium-Kombination statt der Weich/Hart-Variante aus dem Vorjahr. Eine mutige Entscheidung, denn schon bei den Trainings deutete sich an, dass der weiche Reifen - der weicher ist als sein 2012er-Pendant - nur wenige Runden fahrbar ist. Motorsport-Magazin.com erklärt, welche Pläne die Teams am Sonntag verfolgen.

Die Ausgangslage: Im Qualifying setzten die Top-Teams auf unterschiedliche Strategien. Red Bull splittete bei Sebastian Vettel (Startplatz 1 / Weich) und Mark Webber (P4 / Medium). Ferrari tat es gleich, setzte bei Felipe Massa (P5) auf die Soft-Variante, während Fernando Alonso (P8) lediglich auf dem Medium-Reifen fuhr. Mercedes setzte hingegen voll auf die schnelle Variante: Nico Rosberg und Lewis Hamilton qualifizierten sich auf den weichen Slicks auf den Plätzen zwei und drei. "Unsere Fahrer zu splitten, war für uns keine Option", sagte Niki Lauda. McLaren schlug den ganz anderen Weg ein und ließ Sergio Perez (P9) und Jenson Button (P10) ausschließlich die härtere Mischung im Q3 fahren.

Die Problematik: Indien ist ein besonderer Kurs: Die Strecke wird während der Saison kaum befahren und ist zu Beginn des Wochenendes extrem staubig. Außerdem ist der Asphalt quasi brandneu. Diese Kombination sorgt dafür, dass die Autos nicht viel Grip haben, stark rutschen und sich somit die Reifen verschleißen. Da sich die Streckenbedingungen mit jeder Runde merklich ändern, verbessert sich auch das Verhalten der Reifen. "Der weiche Slick hält nicht einmal eine Runde", beschwerte sich Perez nach den Trainings am Freitag. Im 3. Training am Samstag konnten einige Fahrer jedoch bis zu 16 Runden auf den Options zurücklegen. Das Problem: Am Rennsonntag wird die Strecke einen weiteren Sprung machen und ein besseres Griplevel bieten. Die große Frage: Wie hoch fällt der Unterschied aus?

Das sagt Pirelli: Der Reifenlieferant ist von seinem Produkt natürlich überzeugt und freut sich über die Vielfalt der Strategien - gute Werbung tut nach all der Kritik gut. "Die weichen Slicks werden maximal 15 Runden halten, die Mediums etwa 30 bis 35 Runden. Unter dieser Voraussetzung gehen wir von zwei bis drei Stopps pro Fahrer aus. Im Vergleich zum Vortag hat sich die Strecke weiter entwickelt. Die Teams müssen die zunehmende Gummierung der Fahrbahn bei der Planung berücksichtigen", sagte Pirelli-Motorsportchef Paul Hembery. Von Motorsport-Magazin.com-Experte Christian Danner gab es Lob: "Das schöne ist, dass Pirelli - trotz der ganzen Schläge, die sie über das ganze Jahr bekommen haben - tapfer genug war, hier wieder relativ weiche Reifen mitzubringen. Das hätten sie genauso gut sein lassen und auf Nummer sicher gehen können. Deshalb muss ich sagen: Großes Kompliment an Pirelli."

Der Plan mit weichen Reifen: Vettel und die beiden Mercedes werden ihr Heil am Sonntag in der Flucht suchen. "Ich hatte ein besseres Gefühl mit der üblichen Strategie", sagte Vettel, der vorzeitig den Titelgewinn klar machen kann. Rosberg war ebenfalls vom Soft-Plan überzeugt: "Wir denken, dass das die beste Strategie ist. Natürlich müssen wir auch genau schauen, was die Jungs mit den harten Reifen anstellen." Vor allem müssen Rosberg und Co. aber schauen, wie es in den ersten Runden um ihre eigenen Reifen bestellt ist. Die Silberpfeile sind nicht gerade für Reifen schonende Fahrweise bekannt, während Vettel meist länger auf der Strecke bleiben kann als die Konkurrenz auf gleichen Reifen.

Einige Piloten orakelten, dass der softe Slick nach drei Runden in die Knie geht und einen frühen Reifenwechsel erfordert. Es gab aber auch gänzlich andere Vermutungen. "Der weiche Reifen hält fünf bis zehn Runden", meinte Adrian Sutil. Im Falle eines Starts auf weichen Mischungen sieht Pirellis optimale Strategie so aus: Start auf Weich, Wechsel auf Medium in Runde 2 und der letzte Stint ab Runde 28 nochmals auf Medium. Der Rennreifen sollte also deutlich die Medium-Variante sein. "Die weichen Reifen sind nicht gut", sagte Fernando Alonso. "Das ist keine Hoffnung, sondern Realität. Wenn sie ein wirkliches Desaster sind, werden die Leute morgen größere Probleme haben." Der Spanier glaubte, dass sie etwa sechs Runden halten werden.

Alonso startet auf den Mediums, Foto: Sutton
Alonso startet auf den Mediums, Foto: Sutton

Alexander Wurz war hingegen anderer Meinung und sagte, dass die Lage gar nicht so dramatisch sei wie angenommen. "Die Strecke hat sich so stark verbessert, dass der weiche Reifen nicht mehr ganz so leidet wie am Freitag", so der frühere Formel-1-Pilot gegenüber Motorsport-Magazin.com. "Dementsprechend glaube ich, dass der schnellere Reifen im Qualifying auch eine akzeptable Rennstrategie sein kann." Laut Wurz sei es einfacher, ein Rennen mittels der Startposition statt der reinen Strategie zu bestreiten. So handhabte es auch Nico Hülkenberg. Der Sauber-Pilot fuhr mit weichen Reifen auf Platz sieben. Nach dem Qualifying meinte er zwar, dass mehr für einen Start auf den Mediums spreche, ihm die Startposition jedoch wichtiger gewesen sei.

Der Plan mit harten Reifen: Webber, Alonso, Perez und Button machen den Rennbeginn extrem spannend, das Quartett startet sicher auf den Medium-Reifen. Der Red-Bull-Pilot hatte sich aus eigener Kraft für diesen Plan entschieden, jedoch nicht mit so einer starken Performance gerechnet. "Wir dachten eigentlich nicht, dass die zweite Reihe möglich ist", so Webber. "Wir sind in einer guten Position, um morgen aus unserer anderen Herangehensweise Kapital schlagen zu können." Das harte Quartett hofft am Sonntag, dass die weiche Konkurrenz so schnell wie möglich schlapp macht. Der Plan muss sein, nach den Stopps der Soft-Starter vor diesen zu landen und ihnen dadurch wertvolle Zeit zu klauen.

"Hoffentlich hält der Option-Reifen nicht allzu lange", wünschte sich Perez. "Wenn die anderen früh an die Box müssen, können wir auf der Strecke bleiben und haben dann freie Bahn." Die optimale Medium-Start-Strategie laut den Hochrechnungen von Pirelli: Start auf den Mediums, Wechsel auf frische Mediums in Runde 28, ab Runde 57 dann auf die weichen Reifen. Der Vorteil bei dieser Variante, die schnellere Mischung erst in den letzten vier Rennrunden aufzuziehen: Zu diesem Zeitpunkt haben die Autos kaum noch Benzin an Bord und können wegen des geringeren Gewichts den vollen Performance-Vorteil der Softs ausnutzen. Außerdem reduziert sich dadurch die Gefahr eines extrem plötzlichen Reifenabbaus.

Redaktionskommentar

Motorsport-Magazin.com meint: Auch von meiner Seite ein großes Lob an Pirelli, genauso sollte es bei einem Rennen laufen - Strategien in Hülle und Fülle. Na gut, ein wenig mehr Vorhersehbarkeit wäre nicht schlecht gewesen, aber das möchte ich dem Reifenhersteller hier nicht ankreiden. Der Plan, auf Mediums zu starten, klingt erst einmal geschickt. Ich denke allerdings, dass sich die harten Jungs diesmal verzetteln, weil der weiche Reifen locker 12 Runden durchhält. Damit wäre der Vorteil komplett weg und die Soft-Starter im Vorteil. Ich kann hier allerdings auch völlig daneben liegen - es weiß ja keiner. Was ich aber sagen kann: Der Plan von Red Bull und Ferrari, die Strategien zu splitten, war Gold wert und wird sich bezahlt machen. (Robert Seiwert)