Da ist sie wieder, die Reifendebatte. Nach den beiden Trainings in Indien beklagte sich das Fahrerlager fast kollektiv über den extremen Verschleiß der weichen Reifen. Die große Klagerunde kam doch etwas überraschend, schließlich kannten die Teams das Verhalten der weichen Pirellis aus dem Vorjahr. 2012 hatte sich der Reifenlieferant für die konservativere Soft/Hart-Variante entschieden und war damit ziemlich auf die Nase gefallen: Im Rennen gab es gerade einmal 28 Boxenstopps, 1-Stopp-Strategien dominierten das Geschehen. Sowohl der weiche als auch der harte Reifen hatten eine fast unendliche Lebensdauer. Und ein Jahr später? "Die weichen Reifen halten nicht, nicht einmal eine Runde", stellte Sergio Perez nach den beiden Trainings am Freitag geschockt fest.

Mit seiner Aussage übertrieb der McLaren-Pilot zwar etwas, verdeutlichte aber die Problematik: Die Option-Reifen bauten auf dem 5,125 km langen Kurs extrem schnell ab, vor allem die linken Vorderreifen einiger Autos glichen einem Trümmerfeld. "Der Option-Reifen hält hier generell nicht lange", so Nico Hülkenberg im Gespräch mit Motorsport-Magazin.com. "Das ist für jeden ein schnell abbauender Reifen, das gilt hier vor allem für den Reifen vorne links." Die Gründe für das unerwartete Reifensterben in Neu Delhi sind vielfältig. Zum einen wäre da der Umstand, dass die weichen Pirellis nicht mehr komplett mit den Mischungen aus dem Vorjahr vergleichbar sind, denn die Italiener haben die Mischungen noch etwas weicher - und damit schneller abbauend - gestaltet.

Das machte sich vor allem auf dem Buddh International Circuit bemerkbar, dessen Asphalt sich deutlich von den meisten anderen Strecken unterscheidet. Der Belag des gerade einmal drei Jahre alten Kurses ist äußerst weich und lässt die Autos arg rutschen - das kostet Gummi. Da während des Jahres kaum andere Aktivitäten auf dem Kurs vor den Toren von Neu Delhi stattfinden, ist die Strecke zu Beginn des F1-Wochenendes extrem grün. Heißt konkret: Auf dem Asphalt macht sich eine dicke Staubschicht breit, die dem Griplevel nicht gerade zuträglich ist. Mehr Rutschen ist die Folge - und damit noch höherer Verschleiß.

Pirelli verteidigte seine Reifenwahl für das viertletzte Rennen der Saison. "Da der Grand Prix von Indien 2012 mit nur einem Boxenstopp zu meistern war, haben wir uns in diesem Jahr für weichere Reifen entschieden, mit denen zwei bis drei Stopps wahrscheinlich sind", erklärte Motorsportchef Paul Hembery. "Nach dem heutigen Tag sieht es danach aus, dass Abrieb und Verschleiß unseren Erwartungen entsprechen." Glaubt man den ersten Eindrücken der Fahrer, dürften die Stints auf den weichen Reifen allerdings sehr überschaubar ausfallen. "Es ist unmöglich, mehr als drei Runden auf den Options zu fahren", meinte Esteban Gutierrez gegenüber Motorsport-Magazin.com.

Was zunächst dramatisch klingen mag, muss allerdings relativiert werden. Sobald sich Gummi auf dem Asphalt breit macht und anstelle des Staubs tritt, sollte sich die Situation gravierend ändern. "Dass der weiche Reifen so schnell abbaut, ist ein Phänomen, dass wir heute bei allen Autos gesehen haben", sagte Sebastian Vettel zwar, fügte aber an: "Das ist aber ganz normal, denn die Strecke hier in Indien wird das ganze Jahr über wenig befahren und ist deshalb alles andere als optimal auf der Ideallinie. Das wird sich im Verlauf des Wochenendes jedoch definitiv verbessern."

Geht den Options so früh das Licht aus?, Foto: Sutton
Geht den Options so früh das Licht aus?, Foto: Sutton

Im Klartext: Im Rennen wird die Performance der weichen Slicks anders aussehen als noch am Freitag, mehr als die von Perez angesprochene eine Runde ist auf jeden Fall möglich. Adrian Sutil glaubte sogar, dass die weichen Mischungen 10 bis 15 Runden lang halten werden, es also keinen Alibi-Stint im Rennen geben wird. Über die wirkliche Lebensdauer der Softs, die in Indien relativ schnell Blasen werfen, herrscht jedoch noch Unklarheit. "Die Reifen werden richtig interessant am Wochenende", wusste Jenson Button nur. "Der Prime-Reifen scheint unendlich lange zu halten, der Option nicht. Es gibt einen großen Unterschied zwischen den beiden Mischungen."

Am Freitag lag der Unterschied zwischen Weich und Medium bei rund 0,8 Sekunden pro Runde - ein recht üblicher Wert. Interessanter ist hier aber der Abbau, denn gerade die weichen Vorderreifen hatten stark mit Blistering - also Blasenbildung - zu kämpfen. "Kommen die Blasen wieder, muss man sehr bald an die Box fahren", sagte Sutil.

Großes Reifen-Rätseln in Indien, Foto: Sutton
Großes Reifen-Rätseln in Indien, Foto: Sutton

In Sachen Rennstrategie könnte es richtig interessant werden. Gut möglich, dass sich der eine oder andere Fahrer in der letzten Qualifyingrunde entscheidet, seinen Run auszulassen und somit seine Startreifen frei wählen zu können. Wenn die Vorderleute mit dem weichen Reifen starten und sich herausstellt, dass sie schon nach wenigen Runden nicht mehr einsatzfähig sind, wären die Medium-Starter die großen Gewinner. Im Mittelfeld wird es sicherlich stark unterschiedliche Reifenstrategien geben, auch innerhalb der Teams, um auf alle Eventualitäten vorbereitet zu sein und die Konkurrenz covern zu können.

"Den Leistungsverlauf der Reifen genau zu beurteilen, ist ein Schlüsselpunkt für die Rennstrategie und die Planung des ersten Boxenstopps", bestätigte Pirelli-Mann Hembery. "Folglich werden einige Teams genau analysieren, welchen Vorteil es haben könnte, auf den Mediums zu starten."