Das rote Licht blinkt, alle Kameras sind auf ihn gerichtet, hunderte Journalisten, mit Kugelschreiber und Notizblock bewaffnet, hängen an seinen Lippen. Doch statt die Aufmerksamkeit zu genießen, scheint sich Kimi Räikkönen bei der FIA-Pressekonferenz bloß zu denken: "Hilfe, ich bin kein Star - holt mich hier raus." Seit dem Beginn seiner Karriere ist ihm der Zirkus rund um die Formel 1 verhasst. Wenn er mit Medienvertretern spricht, dann spricht er nicht, sondern flüstert und nuschelt, wofür er von vielen in der Vergangenheit als Schreckgespenst oder PS-Autist verteufelt wurde.

"Er ist nicht jedermanns Liebling, aber das muss er auch nicht sein. Es gibt viele Journalisten, die mit ihm nicht klarkommen, aber das ist nicht sein Problem", nimmt ihn sein ehemaliger Weggefährte bei Sauber, Jo Leberer, in Schutz. "Die F1 ist ein Männersport. Er ist rau, früher hat man ihn mit Frauen und Partys assoziiert. Deshalb ist Kimi so beliebt - auch in Deutschland -, weil er anders ist. Für einen Vorhang-Sponsor oder Haushaltsgerätehersteller ist er nicht geeignet, aber das ist nicht der Sinn und Zweck eines Rennfahrers."

Und wer Räikkönen genau beobachtet, der sieht, dass nicht bei allen Journalisten auf seiner Stirn sofort das Wörtchen "Bullshit" aufleuchtet. Nach dem Qualifying sitzt er schon mal gut gelaunt im Motorhome, trinkt Wasser aus einer Flasche in Gummibärchen-Form und spricht 18 Minuten lang mit Heikki Kulta, einem finnischen Journalisten. "Die Leute glauben gerne, von Details auf das Ganze schließen zu können. Wir Menschen mögen Klischees, da stören natürlich Differenzierungen", sagt Kulta.

Schreckgespenst der F1-Medien

Schade, ich kann euch nicht hören!, Foto: Sutton
Schade, ich kann euch nicht hören!, Foto: Sutton

Dennoch: Das gesamte Fahrerlager war zu Beginn der Saison 2012 froh über die Rückkehr eines echten Charakters. "Es war traurig, als er die F1 verließ und ich bin froh, dass er wieder zurück ist", sagt etwa Johnny Herbert. "Ich mag Kimi, besonders die Art und Weise wie er pusht und das Maximum aus dem Auto herausholt. Er mag den ganzen Kram mit den Medien nicht, aber da ist er nicht der Einzige. Nur er zeigt es eben mehr als andere." Auch Damon Hill lobt gegenüber Motorsport-Magazin.com: "Kimi macht sein eigenes Ding. Er ist nicht an dem Zirkus rundherum interessiert, ihm geht es ganz allein um das Fahren. Er lässt seine Performance auf der Strecke für sich sprechen."

Die Medien als Mittel zum Zweck zu nutzen, ist für Fernando Alonso völlig okay. Den komplett gegenteiligen Style pflegt Räikkönen. Der Iceman-Stil ist reduziert wie seine Interviewantworten. Die Medien als taktisches Mittel gegen die Konkurrenz einzusetzen, käme ihm nie in den Sinn. "Kimi will seine Lebenszeit nicht damit verschwenden, mit Journalisten zu reden", bestätigt Motorsport-Magazin.com-Experte Christian Danner.

Räikkönen trennt Motorsport, Privatleben und die Journaille strikt. Fälschlicherweise wird seine Art oftmals als Arroganz oder Gleichgültigkeit interpretiert, doch Räikkönen hat durchaus etwas zu sagen und weiß auch ganz genau, was im Formel-1-Zirkus vor sich geht. Doch sein Fokus ist auf das Rennfahren gerichtet. "Kimi hat das Drumherum in der Formel 1 von Anfang an ausgeblendet. Das ist definitiv ein Vorteil, weil er sich nicht auf irgendwelchen Nebenkriegsschauplätzen verzettelt", sagt Rubens Barrichello.

Ein echter Racer

Räikkönen nutzt jede Gelegenheit aus, Foto: Sutton
Räikkönen nutzt jede Gelegenheit aus, Foto: Sutton

Leberer erinnert sich im Gespräch mit Motorsport-Magazin.com an eine Anekdote aus der gemeinsamen Zeit bei Sauber: "Wir haben mal mit dem Mountainbike trainiert und er ist auf dem Hinterreifen den Berg hinauf gefahren. Er hat das Rad hochgezogen und ist losgefahren. Wie er den Berg runtergefahren ist - da hat es schon teilweise geschneit gehabt, es lagen Blätter und Laub herum - da dachte ich mir nur, dass er dabei draufgehen und mich Peter Sauber deswegen umbringen wird. Der ist gefahren wie ein Wahnsinniger - im positiven Sinn. Er hat das Mountainbike absolut beherrscht und das Maximum herausgeholt." Der Iceman möchte eben immer gewinnen.

Fernando Alonso wird von Millionen Tifosi verehrt, Sebastian Vettel zeigt den Deutschen und Österreichern den Vettel-Finger, aber kaum ein Fahrer bringt weltweit so viele Fanherzen zum Schmelzen wie der Iceman. Die Mischung aus Über-Racer, Antiheld und Mr. "I don't know" fasziniert über die Grenzen der F1-Welt hinaus. "Räikkönen weiß, wie man das Leben genießt und ist gleichzeitig ein supertoller Fahrer", fasst Davide Valsecchi zusammen. Und wenn ihm einmal in einem Rennen langweilig wird, fährt er halt mal eben die schnellste Rennrunde...

Instinktfahrer wie er im Buche steht

Der Iceman braucht keine stundenlangen Debriefings, Foto: Sutton
Der Iceman braucht keine stundenlangen Debriefings, Foto: Sutton

Wie bei so vielen Themen scheiden sich bei Räikkönens Technik-Know-how etwas die Geister: Viele Außenstehende meinen, dass der Finne keinen Bock auf all das habe - auf Briefings, die Arbeit mit den Ingenieuren, das genaue Einstellen des Autos. "Aber Kimi weiß genau, was er braucht, um schnell zu sein. Er braucht keine drei Stunden mit den Ingenieuren herum zu diskutieren", betont Panis. "Er weiß, was er will und das ist der Grund, warum er so stark ist."

Der Finne gibt klare Informationen, sagt, was ihm nicht liegt und verzettelt sich nicht in unnötigen Kleinigkeiten. Verplempern Vettel und Alonso also wertvolle Zeit und Energie bei der Technikanalyse? Wohl eher nicht. Räikkönen ist einer der wenigen Instinktfahrer, die alles dem Team überlassen und dann auf der Strecke zuschlagen. Ganz getreu dem Motto: Gib ihm ein gutes Auto und er setzt es um. "Jeder Ingenieur bei Lotus liebt es, mit Kimi zu arbeiten", verrät Lotus-Insider Davide Valsecchi, seines Zeichens Testfahrer des Teams. "Er ist im Team wahnsinnig beliebt, er ist ein Weltmeister und ein unglaublicher Rennfahrer. Wenn es drauf ankommt, packt er die Rundenzeit aus."

Cooler als der Iceman geht's nicht

Cool, cooler, Kultfigur Kimi Räikkönen, Foto: Sutton
Cool, cooler, Kultfigur Kimi Räikkönen, Foto: Sutton

Die Szene wirkt auch fast ein Jahr danach noch surreal: Brasilien GP 2012. Interlagos. Kimi Räikkönen kommt von der Strecke ab, schaltet geistesgegenwärtig, erinnert sich an einen Notausgang aus seiner Debütsaison 2001 und steht plötzlich vor einem verschlossenen Tor. Einen U-Turn und eine verlorene Runde später ist er wieder unterwegs. Sehr viel cooler und abgeklärter geht es kaum. Selbst eine Mischung aus Elvis, James Dean und dem Schweizer "It's cool man"-Berggipfel-Rauschebart könnte nicht cooler sein als der Iceman selbst.

Während Alonso und Vettel gerne einmal explodieren und ihrem Temperament freien Lauf lassen, schert sich Räikkönen einen feuchten Kehricht darum - außer ein gewisser Mexikaner rückt ihm zwei Mal innerhalb eines Rennens auf die Pelle. "Vielleicht sollte man ihm mal eine aufs Maul hauen", schimpfte er in Monaco gegen Sergio Perez. Und schon wieder war ein neuer T-Shirt-Verkaufsschlager geboren. Kimi weiß wohl wirklich, was er tut.