Jeder liebt Spa. Die Ardennenachterbahn ist bei Fahrern und Ingenieuren beliebt wie keine andere Strecke im Formel-1-Rennkalender, dennoch ist es immer wieder eine Gratwanderung. Anders als auf der Nordschleife, wo die Gratwanderung aus faszinierender Rennstrecke und mangelnder Sicherheit besteht, ist in Spa das Setup das Problem - oder das Salz in der Suppe, je nach Sichtweise. "Es ist die schlimmste Strecke der Welt, wenn es darum geht den Heckflügel und die Getriebeübersetzung richtig zu wählen", klagt Mark Webber. Schon im Trockenen stellt die Charakteristik der Strecke die Ingenieure vor eine große Herausforderung.

Die Herausforderung heißt Kompromiss: Auf der einen Seite gibt es da die 23 Sekunden lange Vollgaspassage nach La Source. Den Berg hinab, durch Eau Rouge die lange Kemmel-Gerade hinauf ist schließlich die längste Vollgaspassage im Kalender. Im letzten Sektor geht es dann noch einmal ans Limit. Schon am Ausgang von Kurve 14 stehen die Piloten wieder voll auf dem Gas, bis zum Ausgang von Blanchimont und dem Anbremsen zur Bus-Stop-Schikane wird das Gaspedal - im Trockenen - nicht einmal gelupft. Auf der anderen Seite gibt es wohl so viele Highspeed-Kurven, wie auf keiner anderen Strecke.

Der Heckflügel an Vettels Red Bull war flach wie in Monza, Foto: Sutton
Der Heckflügel an Vettels Red Bull war flach wie in Monza, Foto: Sutton

Was ein steiler Heckflügel in schnellen Kurven an Vorteil beim Downforce bringt, das bringt er an Nachteil beim Luftwiderstand. Und Luftwiderstand ist schließlich entscheidend für die Höchstgeschwindigkeit. Im vergangenen Jahr verzockte sich Lewis Hamilton beim Suchen des vielzitierten Kompromisses erheblich. Im Gegensatz zu seinem damaligen Teamkollegen Jenson Button setzte Hamilton auf den alten Heckflügel, der mehr Anpressdruck produzierte. Nach dem Qualifying klagte ein frustrierter Hamilton, er habe keine Chance gehabt, Button zu schlagen, der Heckflügel sei eine Katastrophe. Zum Beweis twitterte er die Telemetriedaten beider Fahrzeuge, Teamchef Martin Whitmarsh war verständlicherweise wenig begeistert.

Doch wie konnte sich Lewis Hamilton so verzocken? Immerhin lag im Qualifying fast eine Sekunde zwischen den beiden Teamkollegen. Und der heutige Mercedes-Pilot ist nicht das, was man allgemeinhin als Nasenbohrer bezeichnet. Im vergangenen Jahr war der Freitag deutlich verregneter als 2013, Zeit für Evaluierungsarbeit war knapp. Im zweiten Training lag die Bestzeit bei 2:49 Minuten - aufgestellt von Charles Pic. Mark Webber beschreibt das Problem: "Man muss die Getriebeübersetzung und den Anstellwinkel des Heckflügels richtig hinbekommen. Sowohl im Qualifying, auf einer schnellen Strecke mit viel Gummi, als für nasse Bedingungen."

Vor allem die wechselnden Wetterbedingungen machen die Wahl des Setups zu einer richtigen Lotterie. Schon bei trockenen Bedingungen sind sich die Piloten uneinig. So testeten Mark Webber und Sebastian Vettel am Freitag komplett unterschiedliche Pakete. Während Vettel mit einem Low-Downforce-Paket - mit einem Monza-ähnlichen Heckflügel - unterwegs war, fuhr Mark Webber mit einem Paket, das besonders viel Anpressdruck generiert. Das Ergebnis: Vettel fährt im ersten und dritten Sektor um Welten schneller als die Konkurrenz, büßt dafür im zweiten Abschnitt ein. Umgekehrtes Bild bei Mark Webber, der die Zeit im langen Mittelsektor holt.

Der Lotus wirkt im Vergleich zum RBR wie in der Monaco-Konfiguration - hier war er zusätzlich mit DRD unterwegs, Foto: Sutton
Der Lotus wirkt im Vergleich zum RBR wie in der Monaco-Konfiguration - hier war er zusätzlich mit DRD unterwegs, Foto: Sutton

"Es ist erstaunlich, dass Vettel und Webber trotzdem fast gleich schnell sind", stellt Motorsport-Magazin.com-Experte Christian Danner fest. Was für den einen erstaunlich ist, stellt andere vor das große Rätsel: Mit welcher Abstimmung wird nun gefahren? Die Vettel-Variante mag dahingehend besser sein, weil der Heppenheimer somit besser überholen, oder besser verteidigen kann, schließlich war er mit 305,6 Stundenkilometer der schnellste an der Messstelle. Doch stimmen die Wetterprognosen, könnte sich Mark Webbers Taktik als der richtige Schachzug herausstellen.

Die von der FIA ausgegebene Höchstgeschwindigkeit ist übrigens nur die halbe Wahrheit: Weil sich die Messstelle unmittelbar hinter Eau Rouge befindet, sind die Autos noch lange nicht auf Topspeed. Höchstgeschwindigkeit erreichen die Boliden erst am Ender Kemmel-Gerade, dort macht sich die Motorenpower dann auch deutlich stärker bemerkbar als nach Eau Rouge, wo die Mercedes übrigens rund 17 Stundenkilometer langsamer waren als Vettels Red Bull. Doch das könnte auch dem Gewicht geschuldet sein. Wie dem auch sei, letztendlich ist das Setup nirgends so wichtig wie in Spa. "Das wird der wahre Schlüssel für das Rennen sein, vor allem bei diesem Wetter", fasste Fernando Alonso folgerichtig zusammen.