Nun hat Lewis Hamilton wider Erwarten das Rennen doch gewonnen...
Christian Danner: Wenn wir den Status quo einmal analysieren, müssen wir feststellen, dass Mercedes mit den 2012er Reifen überhaupt keine Probleme mehr hat. Red Bull hat so gut wie keine, Lotus ist auf gleichem Stand und Ferrari hat ein wenig den Anschluss an die Entwicklungsgeschwindigkeit verloren. Das bedeutet nun, dass sich die Situation für Sebastian Vettel deutlich verändert hat, denn mit Lewis Hamilton und vielleicht auch Nico Rosberg hat er nun zwei Kandidaten am Hals, die ihm über kurz oder lang in der Fahrerweltmeisterschaft auf die Pelle rücken können.

Der absolute Schlüsselsatz des Wochenendes kam für mich heute von Lewis Hamilton: Wenn wir an diesem Wochenende in Ungarn bei 51 Grad Asphalt- und 36 Grad Lufttemperatur keine Probleme mit den Reifen haben, wo sollen wir sie denn bekommen? Die Zuversicht ist enorm, das Auto ist unglaublich schnell - sonst wären sie nicht ständig auf der Pole. Meiner Meinung nach hat sich heute eines manifestiert: Mercedes kämpft um die Weltmeisterschaft.

Noch ist der Vorsprung von Sebastian Vettel auf Hamilton ja recht groß...
Christian Danner: Das stimmt zwar, aber wir haben gerade einmal Halbzeit. Bei Vettel gab es schon den einen oder anderen kleinen Getriebeschaden oder einen Totalausfall. Daher ist ein nicht ganz so glamouröser dritter Rang wie heute umso wertvoller.

Sebastian hat zugegeben, dass er mit diesem Rennen nicht ganz zufrieden war. Was ging schief?
Christian Danner: Er ist ein bisschen im Verkehr hängen geblieben. Es hat einmal nicht perfekt funktioniert. Kimi Räikkönen hat ihn zudem mit der Taktik ausgebremst. Es geht bei derartiger Konkurrenz nicht immer locker flockig in Richtung Sieg, sondern manchmal eben auch Richtung Platz vier, fünf, acht, oder wie in Sebastians Fall heute auf Rang drei.

Das Schlussduell zwischen Kimi und Sebastian könnte ein mögliches Duell zukünftiger Teamkollegen gewesen sein. Beeinflusst das?
Christian Danner: Nein, absolut nicht. Es war ein sehr schönes Duell und im Gegensatz zum Nürburgring einmal andersherum - diesmal hat Sebastian Kimi nicht bekommen. Es ist toll, wenn zwei Spitzenfahrer gegen Rennende nochmals ans Limit gehen. Du bist nach 58 Runden fix und fertig und musst konzentriert und cool bleiben - als Vordermann wie als Jäger. Wie sie das gemacht haben, zeigt, mit welchen großartigen Könnern wir es hier zu tun haben.

Welche Position ist schwieriger; Jäger oder Gejagter?
Christian Danner: Der Gejagte hat immer das größere Problem. In diesem Fall Kimi speziell, da er auf alten Reifen unterwegs war und wusste, dass er eigentlich ein einfaches Ziel ist. Ich bin nicht sicher, ob sich Sebastian auf einer anderen Strecke wirklich leichter getan hätte. Am Anfang dachte ich schon, dass Sebastian Kimi noch bekommt, aber als ich die Reserven von Kimi sah und wie er nachlegen konnte, begann ich zu zweifeln.

Wie hast du die Beschwerde von Sebastian erlebt, Kimi habe ihm keinen Platz gelassen?
Christian Danner: Klar, dass sich Sebastian ärgert und sich natürlich sofort über Boxenfunk beschwert, damit Charlie [Whiting] das auch sicher mitbekommt. Aber Sebastian ist aus dem richtigen Holz geschnitzt und weiß genau, dass das völlig ok war. Er hat es gleich nach dem Rennen ja selbst zugegeben.

Apropos Zweikampf: Wie denkst du über die Strafen für Romain Grosjen?
Christian Danner: Die Durchfahrtsstrafe wegen Felipe Massa halte ich für ein Unding. Wie soll ein Rennfahrer auf einer Strecke wie dem Hungaroring sonst überholen? Es gab keine Kollision und alles war in Ordnung. Ohnehin hatte Grosjean frische Reifen und war deutlich schneller als Massa. Ich muss mit Allan McNish nochmal sprechen, aber ich denke, er sah die Situation wie ich und wurde von den Stewards überstimmt. Zur Strafe wegen dem Button-Zwischenfall habe ich eine ähnliche Meinung. Ich bin dafür, dass den Fahrern auf die Finger geschaut wird und sie nichts Unfaires, Riskantes oder Gefährliches machen. Es ist aber schwierig, die Trennlinie zwischen Überregulierung und die Fahrer vor dem Durchdrehen zu bewahren zu finden. Für mich ist die Kollision zwischen Button und Grosjean eine absolut normale Rennaktion. Wo gehobelt wird, fallen eben auch Späne. Wenn man sich auf der Strecke so nah nicht mehr kommen darf, weiß ich nicht, was wir hier machen. Wir schieben schließlich keine Kinderwägen, sondern fahren mit Rennautos.

Wie siehst du im Gegenzug die Situation zwischen Felipe Massa und Nico Rosberg zu Beginn des Rennens?
Christian Danner: Ich kann nicht verstehen, dass das nicht einmal untersucht wurde. Man sollte den Fahrern den Spaß an den Zweikämpfen nicht nehmen, aber man muss unterscheiden, ob einer dem anderen mit dem Frontflügel ins Hinterrad fährt und ihn von der Strecke schiebt, oder der eine beim Anbremsen auf eine enge Schikane den anderen ein bisschen berührt. Ich kritisiere nicht die Stewards allgemein, aber die Gruppe hier in Ungarn. Ich war bei vielen Einzelentscheidungen überhaupt nicht derselben Meinung.