Der Große Preis von Deutschland auf dem Nürburgring vergangene Woche war ein Thriller - sowohl in puncto fahrerisch als auch taktisch dargebotener Rennsportkunst. Bis zum Schluss bekriegten sich Vettel und Räikkönen - im Ziel trennte die Spitze nur eine Sekunde. Dass ihr spektakulärer Wettstreit trotzdem nicht auch nur den Hauch einer Chance hat, in unserer Liste der größten F1-Siege auf dem Nürburgring Erwähnung zu finden, hat einen ganz anderen Grund, wurde das Rennen doch einfach nicht auf einem Kurs ausgetragen, wie er auf dieser Welt wohl einmalig ist: Der Nordschleife. Motorsport-Magazin.com präsentiert die besten Triumphfahrten auf der legendären Mutter aller Strecken und stellt dabei schnell fest: Für besondere Leistungen, Ruhm und Heldentaten bedarf es besonderer Umstände - die Nordschleife des Nürburgrings als eben solchen zu bezeichnen, wäre aber wohl Majestätsbeleidigung.

Tradition wird auf der Nordschleife seit jeher groß geschrieben, Foto: Mercedes-Benz
Tradition wird auf der Nordschleife seit jeher groß geschrieben, Foto: Mercedes-Benz

Der deutsche Vorzeigekurs schlechthin ist keine normale Rennstrecke, er ist eine Naturgewalt. Wer die 22,8 Kilometer lange Waldachterachterbahn in einem Formel-1-Wagen besiegen konnte, und das in einer Zeit, in der die Boliden noch besser zusammengeschraubten Blechkisten glichen, in der die Gridgirls noch die Verlobten der Piloten waren und für eben diese an der Boxenmauer die Stoppuhr hielten und in der man sich nie sicher sein konnte, aus der nächsten Runde überhaupt lebend zurückzukehren, der hatte seine Feuertaufe in einem über die Maßen gefährlichen Sport mit Bravour bestanden. Der Große Preis von Deutschland reifte nicht über die Jahre hinweg zum Highlight des Formel-1-Kalenders, er war es von Anfang an und ab dem Tag, als er 1951 zum Bestandteil der erst im Vorjahr neugegründeten Weltmeisterschaft der Königsklasse des Automobilrennsports wurde.

Fangio: Im Leben noch nie so schnell

Bereits in den zwölf Jahren vor dem Beginn des zweiten Weltkriegs wurde auf dem Nürburgring, mit Ausnahme der Jahre 1930 und 1933, der Große Preis von Deutschland ausgetragen, wobei sich klangvolle Namen wie Rudolf Caracciola, Hans Stuck und Bernd Rosemeyer ihren Platz in den Gesichtsbüchern sicherten. Mythos Nordschleife, das sind vor allem die größten Rennen der Besten ihrer Zunft. Doch durch den Einzug der Formel 1 brach auch in der Eifel eine neue Zeitrechnung in Sachen Rennsport an. Fortan trug sich viel zu auf der Nordschleife, doch manche Rennen und Momente waren denkwürdiger als andere. Den ersten legendären Meilenstein in der Ring-Historie besorgte 1957 Juan Manuel Fangio. Bereits in den beiden vorangegangenen Saisons hatte der Argentinier auf dem Nürburgring zwei umjubelte Triumphe gefeiert, einen mit Mercedes und einen mit Ferrari. Sein persönliches Meisterstück gelang dem fünfmaligen Weltmeister jedoch auf Maserati.

Fangio flog an jenem Tag im Maserati nur so über die Nordschleife, Foto: Sutton
Fangio flog an jenem Tag im Maserati nur so über die Nordschleife, Foto: Sutton

Von der Pole-Position aus ins Rennen gegangen, schien für Fangio zunächst alles rund zu laufen. Vor seinem ersten Service in Runde zwölf brach er mehrfach den Rundenrekord und lag mit seinem Maserati 250F komfortable 28 Sekunden vor seinen Ferrari-Verfolgern Peter Collins und Mike Hawthorn - als er wieder auf die Strecke zurückfuhr, hatte er nach einem völlig verpatzen Boxenstopp gute 50 Sekunden Rückstand auf die Spitze. Zehn Umläufe vor Schluss eine aussichtslose Lage... sollte man meinen. Was folgte, war eine der größten Aufholjagden der Formel-1-Geschichte. Der Maserati-Pilot flog seinen Verfolgern nur so hinterher, zauberte eine perfekte Runde nach der anderen auf den Asphalt, während die beiden Briten, im Wissen um ihren schier uneinholbar wirkenden Vorsprung, ganz vorne etwas die Pace herausnahmen. Ein teurer Irrtum, wie sich später herausstellen sollte, tauchte der in die Jahre gekommene Champion in Runde 20 doch auf einmal wieder in den Rückspiegeln der Ferraris auf.

Surtees wird zum Ringmeister

Möglich gemacht hatte es Trick 17, den Fangio aber nur ob seiner überragenden fahrerischen Klasse ausspielen konnte. In den schnellen Kurven war er unter höchstem Risiko einfach in den höheren Gängen geblieben und hatte dem Führungsduo so teilweise zwölf Sekunden pro Runde abgenommen. Anschließend schnappte er sich mit zwei Rädern auf dem Gras in der Nordkurve erst Collins, nur um dann in der vorletzten Runde auch noch den verdutzten Hawthorn abzufangen und mit 3,6 Sekunden Vorsprung zu gewinnen. Nach der Zieldurchfahrt unterstrich der Argentinier seine Schicksalsfahrt mit nur einem einzigen, legendären Satz: "Ich bin in meinem Leben noch nie so schnell gefahren und ich glaube auch nicht, dass ich dazu noch einmal imstande bin." Fangio behielt Recht - sein größter Grand-Prix-Sieg sollte gleichsam sein letzter bleiben.

Surtees einsam und allein auf dem Weg zum Sieg anno 1963, Foto: Sutton
Surtees einsam und allein auf dem Weg zum Sieg anno 1963, Foto: Sutton

Sechs respektive sieben Jahre später sorgte ein anderer Pilot an Ort und Stelle für seine persönliche Legendenbildung. Als mehrfacher Motorradweltmeister, zog es John Surtees Anfang der Sechzigerjahre auf der Suche nach einer neuen Herausforderung auf vier Räder. Bereits in seinem zweiten F1-Rennen konnte das Allroundtalent aufs Podium fahren, weitere Podestplatzierungen ließ er schnell folgen. Was bis zum 4. August 1963 allein fehlte, war die Krönung und Surtees hätte sich für eben diese als Schauplatz keinen besseren Ort als die Nordschleife heraussuchen können. Von Platz zwei aus gestartet, kristallisierte sich schnell ein Duell des Ferrari-Fahrers mit dem in seiner ersten Weltmeisterschaftssaison unnachahmlich überlegenen Jim Clark heraus. Der Schotte hatte seinen ersten Startplatz zu Beginn zwar nicht in die Führung ummünzen können, nachdem er jedoch als Sieger der letzten vier Rennen in die Eifel gereist war, war klar, wen es zu schlagen galt. An diesem Tag fand der neue Meister seinen Meister jedoch in Surtees.

Stewart wie von einer anderen Welt

Nach der Hälfte der Renndistanz war dieser Clark trotz des augenscheinlich langsameren Bolidens bereits 5,3 Sekunden enteilt - beim Lotus-Piloten setzte derweil ein technischer Defekt ein und er konnte fortan nur noch auf sieben Zylinder zurückgreifen. Im Ziel hatte Surtees dann weit über eine Minute Vorsprung, holte seinen ersten Grand-Prix-Sieg und avancierte parallel auch gleich zum ersten Mann, der im selben Jahr sowohl den Großen Preis von Deutschland als auch das 1000-Kilometerrennen auf dem Nürburgring gewinnen konnte. Doch der 'Ringmeister' hatte noch nicht genug. 1964 sicherte sich Surtees erneut auf Ferrari abermals den Sieg in der Eifel - auch sein Gegner hieß in den ersten Runden wieder Jim Clark, dann entwickelte sich jedoch mit Dan Gurney ein intensives Duell um die Führung, das über mehrere Runden andauerte und oftmals Rad an Rad ausgefochten wurde.

1968 meinte es das Eifelwetter weniger gut - nur Stewart schien es zu gefallen, Foto: Sutton
1968 meinte es das Eifelwetter weniger gut - nur Stewart schien es zu gefallen, Foto: Sutton

Erst als der Amerikaner auf Grund eines überhitzenden Motors seinen Speed reduzieren musste, konnte Surtees sicher vornewegfahren und wie schon im Vorjahr überlegen gewinnen. Die Furcht und der gleichsam große Respekt vor der Nordschleife rührte jahrelang nicht nur von der reinen Gefährlichkeit des Kurses, der mit fünf tödlichen Unfällen bis heute die Strecke ist, auf der die meisten Piloten in der Königklasse ihr Leben ließen - auch das berühmt-berüchtigte Eifelwetter trug seinen Teil zur Legende von der 'Grünen Hölle' bei. 1968 bot sich bei Starkregen und Nebel somit die Kulisse für den wohl bis heute überlegensten Sieg eines F1-Fahrers überhaupt. Eigentlich hätte das Rennen auf Grund der katastrophalen äußeren Bedingungen abgesagt werden müssen - doch vor dem Druck von 250.000 bereits angereisten Zuschauern wurde schlussendlich mit einer Stunde Verzögerung die Startfreigabe erteilt. Zunächst übernahm Graham Hill die Führung vor Chris Amon, Jochen Rindt und Jackie Stewart. Letzterer war an jenem verregneten Sommertag jedoch in einer ganz anderen Liga unterwegs.

Noch vor dem Ende der ersten Runde schnappte sich der Matra-Pilot sensationell die Führung. Anschließend baute er diese kontinuierlich aus. Einen Vorteil konnte Stewart zwar aus seinen der Konkurrenz überlegenen Dunlop-Regenreifen ziehen - die unglaublichen vier Minuten Vorsprung auf den Rest der Welt, mit denen der Schotte bei verschwindend geringer Sicht nach 14 Umläufen den Zielstrich überquerte, konnte das aber nicht einmal annähernd erklären. Selten wurden in der Geschichte der Formel 1 derartige Wetterverhältnisse während eines Rennens dokumentiert - später war von einigen Piloten zu vernehmen, dass Überholmanöver stattgefunden hätten, die ob des Blindfluges keiner der beteiligten Piloten jemals wahrgenommen hatte. Auch wenn Stewart später noch dreimal Weltmeister wurde - die Fahrt auf dem verregneten Nürburgring dürfte seine größte Glanzleistung gewesen sein.

Ickx' zweiter Streich ragt heraus

Ickx war 1972 durch nichts und niemandem aufzuhalten, Foto: Sutton
Ickx war 1972 durch nichts und niemandem aufzuhalten, Foto: Sutton

Als ausgewiesener Nürburgring-Spezialist galt auch Jacky Ickx. Der Belgier hatte das Rennen bereits 1969 für sich entschieden, sein erinnerungswürdigster Triumph gelang ihm jedoch 1972. Bei diesmal sonnigen und warmen Bedingungen, nütze er seine Pole-Position für die Führung. Anschließend war sein Ferrari 312B2, trotz technischer Probleme gegen Schluss, bis ins Ziel von den Verfolgern nicht mehr gesehen. Den bis dato gültigen Rundenrekord von François Cevert aus dem Vorjahr, pulverisierte er im Rennverlauf um ganze sieben Sekunden. Stallgefährte Clay Regazzoni macht mit Platz zwei einen umjubelten Doppelsieg für die Scuderia fest. Drei Jahre später gab es ein weiteres Ferrari-Highlight auf dem Nürburgring. Mit einer Rundenzeit von 6:58,6 Minuten markierte Niki Lauda in der Qualifikation die schnellste Runde, die jemals auf der Nordschleife gefahren wurde und durchbrach erstmals an einem Rennwochenende die magische Schallmauer von sieben Minuten.

Nur ein Jahr später sollte ausgerechnet der schlimme Feuerunfall des Österreichers im Streckenabschnitt Bergwerk den traurigen Schlusspunkt für die Formel 1 auf der Nordschleife setzen, die den Kurs anschließend für immer verließ und ins modernere und sicherere Hockenheim zog. Während die Durchschnittsgeschwindigkeit der Rennen auf dem Nürburgring innerhalb von nur 25 Jahren um weit mehr als 50 Stundenkilometer angestiegen war, wurde der Ring, ganz passend zu seinem wilden Charakter, einfach zu schnell für sich selbst - die Legende eines Ideals von einer Rennstrecke, lebt aber nicht zuletzt in ihren größten Siegern bis heute weiter.

Die Reportage über den Mythos Grüne Hölle und die legendärsten Formel-1-Siegesfahrten auf der Nordschleife stammt aus der Printausgabe des Motorsport-Magazins. Mehr History-Geschichten, Technikhintergründe, Interviews und Analysen lesen Sie im Motorsport-Magazin - im gut sortierten Zeitschriftenhandel oder am besten direkt online zum Vorzugspreis bestellen: