Lass uns übers Rennen fahren und nicht über Reifen und diese ganzen Dinge sprechen. Was denkst du über das Qualifying-Resultat?
Johnny Herbert: Der richtige Mann ist auf der Pole. Es ist schön, Lewis wieder nah an seinem besten Leistungsvermögen zu sehen. Wir wissen alle, wie schnell er ist, aber er hat sich im Auto noch nicht recht wohlgefühlt heute Morgen. Die Mechaniker und vielleicht auch ein bisschen der Wind, also ein paar kleine Dinge, haben das Auto verändert. Dadurch wurde das Auto für ihn besser, wohingegen ein paar andere Fahrer wie die Ferraris etwas zurückgefallen sind. Es war alles etwas durcheinandergewirbelt. Aber er hat seinen Job gemacht, um in der richtigen Position für morgen zu sein. Die erste Reihe ist sehr wichtig. Durch die Pole hat er eine Chance auf freie Fahrt. Er wird versuchen, eine Lücke zu reißen, und die wird er vielleicht auch brauchen, wenn die Boxenstopps anstehen.

Sofern er das mit den Reifen hinbekommt...
Johnny Herbert: In Silverstone hatten sie ein Problem, aber mehr mit Nico. Da hatten wir ja auch noch den Stahlgürtel, jetzt haben wir den Kevlargürtel, der sehr anders ist. Denn mit Stahl ist es schwierig, Hitze vom Reifen fernzuhalten und aus dem Reifen herauszubekommen. Mit dem Kevlar ist da ganz anders. Die Hitze entweicht leichter. Das ist für Mercedes sicherlich besser. Sie können den Reifen hart rannehmen, ohne dafür bestraft zu werden. Wir wissen, dass das bei Red Bull offensichtlich funktioniert. Vielleicht haben diese beiden Teams eine kleine Lücke aufgemacht.

Ich hatte nicht erwartet, dass Lotus so wettbewerbsfähig ist mit diesen Reifen. Aber aus irgendeinem Grund passt er zu beiden Lotus-Piloten. Wir müssen sie auf der Rechnung haben, denn wir wissen, wie stark das Auto im Renntrimm ist. Also haben wir schon drei auf der Liste, dann noch die Ferraris, vielleicht Nico Hülkenberg und Paul di Resta, sowie Nico Rosberg, die vielleicht auf den Medium-Reifen starten. Das könnte einen Unterschied machen.

Es ist allerdings kein großer Pluspunkt für Rosberg, dass er eine etwas andere Strategie wählen kann. Für sein Rennen ist eine gute erste Runde der Schlüssel. Wenn er die Position nur hält, dann wird es etwas schwieriger für ihn. Aber das gilt auch für die Ferraris. Es wird interessant sein, was das Wetter macht. Es soll etwas wärmer werden. Das sollte dem weichen Reifen zugutekommen, denn die Piloten bekommen dann ein besseres Feedback vom Reifen. Wir haben sogar von heute Morgen bis heute Nachmittag eine Veränderung bei diesem Reifen gesehen, ganz zu schweigen von gestern zu heute mit den Unterschieden in der Temperatur.

Es wird interessant zu sehen sein, ob Mercedes - was ich glaube - die Pace halten kann, um die sich jeder bei Red Bull Sorgen macht. Lewis hatte nur ein paar Schwierigkeiten mit der Balance und Nico hatte einfach Pech, aber sie haben eine gute Pace. Ich persönlich glaube nicht, dass sie bei den Longruns ihr volles Potential gezeigt haben. Ich denke, sie werden morgen ok sein. Und ich glaube schon, dass sie dieses Jahr noch Chancen haben, die Weltmeisterschaft zu gewinnen.

Kann Mercedes auf dem Nürburgring einen Doppelsieg einfahren?
Johnny Herbert: Es gibt eine Chance, aber für Nico wird es sehr hart, überhaupt aufs Podium zu kommen. Er braucht einen fantastischen Start, eine sehr gute Strategie, Boxenstopps, die sehr glatt laufen, und er selbst muss ein hartes Rennen hinlegen. Das sind vier Dinge, die er auf die Reihe bekommen muss, um aufs Podium zu kommen, ansonsten wird es leider ein langer Tag für Nico. Aber es könnte ein sehr gutes Wochenende für Lewis werden, und eine wichtige Zeit für ihn nach den Problemen in Silverstone. Er muss diesen Sieg sichern.

Bei Ferrari stimmt die Balance nicht mehr., Foto: Sutton
Bei Ferrari stimmt die Balance nicht mehr., Foto: Sutton

Lotus war hier besser als erwartet, Ferrari dagegen langsamer...
Johnny Herbert: Genau. Natürlich hat Ferrari auf die Medium-Reifen gesetzt, deshalb sind sie etwas weiter hinten. Aber der Lotus scheint seit seiner ersten Ausfahrt immer mit dabei zu sein. Es war ein sehr positiver Tag für sie und auch im Hinblick auf das Rennen war es sehr gut. Lotus könnte morgen gut sein. Auch Romain hatte bislang ein gutes Wochenende. Er war hier schon zu GP2-Zeiten gut, die Strecke scheint seinem Fahrstil also entgegenzukommen. Es ist eine komische Strecke. Wenn man ein wirklich schwieriges Auto hat, wenn es unter- oder übersteuert, ist es sehr schwierig, es zu platzieren. Und wenn man das nicht kann, dann verliert man viel Zeit. Es ist keine schwierige, aber eine sehr technische Strecke. Wir haben hier überhöhte Kurven, aber sie funktionieren nicht in der üblichen Art und Weise. In Kurve zehn untersteuert das Auto immer, aber der Kurs ist überhöht, das ist total seltsam. Aber das ist gut, denn es prüft Ingenieure wie Fahrer.

Es ist immer ein gutes Zeichen, wenn Romain vorne mit dabei ist, denn dann kann Kimi gewinnen...
Johnny Herbert: Es ist für Lotus insgesamt ein gutes Zeichen. Denn es zeigt, dass das Auto gut ist, und wir wissen wie gut Kimi im Lotus ist. Er ist so wahnsinnig konstant. Er macht keinen Wirbel, er ist sich der Leute um ihn herum bewusst und lässt ihnen Platz, er hat nicht oft Berührungen. Bei Romain haben wir noch nicht diese Art Funken aus dem vergangenen Jahr gesehen. Aber jetzt ist für ihn vielleicht ein guter Zeitpunkt, das Ganze zu drehen, denn wir haben noch nicht einmal die Hälfte der Saison hinter uns. Es ist typisch für die Formel 1, sollte Romain hier auf dem Nürburgring einen guten Start und ein gutes Rennen hinlegen, dass sie dann den Beginn der Saison vergessen. Denn sie werden sich dann nur noch daran erinnern, wann es wieder gut wurde. Dann sprechen wieder alle über ihn. Für ihn ist es aus mentaler Sicht als auch, was seinen Standpunkt im Team angeht, ein wichtiges Wochenende. Er hatte zwar ein gutes Ergebnis in Bahrain, aber wir haben nicht den Mann vom letzten Jahr gesehen, der schnell war wie die Hölle, aber viele Unfälle baute. Monaco war dieses Jahr die einzige Ausnahme, das hat aber nur ihm wehgetan und niemand anderem. Letztes Jahr hat er ein paar Autos aufgegabelt, aber wir sehen jetzt einen ganz anderen Grosjean. Es steckt in ihm, er muss es nur zeigen. Wenn er das schafft, hat er größere Chancen, sein Cockpit bei Lotus zu behalten, und - was noch viel wichtiger ist - in der Formel 1 zu bleiben.

Warum ist Ferrari über die letzten Rennen immer langsamer geworden?
Johnny Herbert: Was wir bemerken, ist die Balance. Sie hatten letztes Jahr und zum Beginn dieses Jahres ein sehr ausbalanciertes Auto. Vielleicht war es nicht das schnellste, aber es war gut fahrbar. Vor dem Qualifying hier war es noch etwas besser, während es gestern im Training noch nicht so gut aussah. Heute war es schon viel besser. Aber sie mussten dafür hart arbeiten, während es normalerweise wie von alleine ging. Ich glaube, sie haben die Balance und damit auch Pace verloren. Vor allem hier am Nürburgring haben wir gesehen, wie wichtig es ist, das Auto richtig zu platzieren. In einer derart engen Formel 1 verliert man Zehntel, die einen weit zurückwerfen. Es war allerdings schön zu sehen, dass sich Felipe besser geschlagen hat. Sebastian wird morgen hungrig auf den Sieg hier in Deutschland sein. Er hat das Auto, das sehr ausbalanciert aussieht - es scheint nicht zu sehr zu unter- oder übersteuern. Lewis hat vielleicht etwas mehr zu tun.

Er hat sich viel über Übersteuern beklagt...
Johnny Herbert: Ja, heute Morgen. Das hat sich aber mit dem Wetter geändert, die Balance kam ihm dann entgegen. Es gab dennoch ein paar kleine Bewegungen, die es bei Vettel nicht gab. Mark jedoch wäre vor Vettel gewesen, wenn er nicht Übersteuern gehabt hätte. Er musste vom Gas gehen. Das Auto sieht sehr ausbalanciert und schnell aus. Wir wissen, dass es mit den Reifen gut umgeht. Die Reifen kommen Red Bull entgegen. Aber die Mercedes werden ihnen das Leben schwer machen, und man kann Lotus auch nicht außer Acht lassen. Wir wissen, dass sie sehr konstant sind. Die Frage ist, ob sie letztlich die Pace haben. Da bin ich mir nicht so sicher - leider.